Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.von Weißenburg bis Metz Wenn man von Karlsruhe her bei dem Hafen von Maxau den Rhein von Weißenburg bis Metz Wenn man von Karlsruhe her bei dem Hafen von Maxau den Rhein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229235"/> <fw type="header" place="top"> von Weißenburg bis Metz</fw><lb/> <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Wenn man von Karlsruhe her bei dem Hafen von Maxau den Rhein<lb/> überschreitet, an der Stelle, wo 1870 Napoleon III. dies thun wollte, um<lb/> Süddeutschland zu überrennen, so tauchen über dem Röhricht, den Weidenbüschen<lb/> und den fruchtbaren Feldern der Stromniederung in blauer Ferne bald die<lb/> malerischen Umrisse der Hardt und der Vogesen auf, und je mehr man sich<lb/> ihnen nähert, desto deutlicher heben sich die dunkeln Waldungen über den<lb/> lichten Rebgeländen ab. Da, wo die Lauter aus den Vorbergen der Vogesen<lb/> in die Ebene heraustritt, liegt das uralte Weißenburg, um den starken, spitzen<lb/> Turm der Stiftskirche zu Se. Peter und Paul zusammengedrängt und dicht<lb/> an die Höhen geschmiegt, die, von Weinpflanzungen und kleinen weißen Winzer¬<lb/> häuschen bedeckt, bis unmittelbar an die Stadt herantreten. Meist enge, un¬<lb/> regelmäßige Gassen mit offnen Rinnsteinen laufen zwischen durchschnittlich ein¬<lb/> stöckigen Häusern von den Thoren nach dem Markte und dem sich unmittelbar<lb/> daran anschließenden Kirchplatze zusammen. Dort ragt die Stiftskirche auf, ein<lb/> massiger Bau von romanischer Anlage mit dem Hanptturm über der Vierung<lb/> und einem noch ganz romanischen Glockenturm an der Westseite, aber gotisch<lb/> umgebaut und an der Nordseite mit einem gotischen Kreuzgange umgeben.<lb/> Dicht daneben liegt das Bezirksamt; es trug, wie alle Amtsgebüude im<lb/> ganzen Reichslande in diesen ersten Augusttagen, die Neichsflagge auf Halb¬<lb/> mast zu Ehren Bismarcks. Weißenburg ist eine kleine verschlafne Stadt ohne<lb/> rechtes Leben, aber Französisches ist nichts mehr an ihr. Nur die Apotheke<lb/> nennt sich noch ?NMnig,e,in;, und der „Gasthof zum Schwan" am Markte MW1<lb/> an V^Mo; sonst sind alle Firmenschilder ausschließlich deutsch, die Einwohner<lb/> reden nicht nur ihr Elsässer „Dieses," sondern auch Hochdeutsch, auf den<lb/> Gassen bewegen sich unsre Soldaten wie in irgend einer märkischen Garnison,<lb/> im „Schwan" speisen die Offiziere, große Kasernen sind am Landauer Thore<lb/> entstanden, andre vor dem Hagenauer Thore im Entstehen begriffen, daneben<lb/> stattliche Villen, besonders wohl für Offiziere, denn feit kurzem ist das gesamte<lb/> 6V. Regiment hier vereinigt, und am ehemaligen, jetzt geschleiften Hagenauer<lb/> Thore erhebt sich der schöne Neubau der kaiserlichen Post. Daß Weißenburg<lb/> »och vor dreißig Jahren französisch war, kann ihm hente niemand mehr an¬<lb/> sehen. Beziehungen zu Frankreich bestehen natürlich noch. Der Schwiegersohn<lb/> des jetzigen Bürgermeisters ist ein französischer Offizier, der übrigens, wenn<lb/> er auf Urlaub herkommt, kameradschaftlich mit unsern Offiziere» verkehrt, und<lb/> in der angesehenen Familie sah., der ein Teil des Geisberges gehört, meint<lb/> man, wenn von „unsern Verhältnissen" die Rede ist, die französischen, aber<lb/> sie verschmäht nicht den Umgang mit unsern Offizieren, und es ist doch immerhin<lb/> bezeichnend für die Bevölkerung der Stadt und des Kreises, daß sie dem ersten<lb/> deutschen Kreisdirektor Stichaner wegen seiner Verdienste um den Bezirk ein<lb/> Denkmal an der Straße nach dem Bahnhofe gesetzt hat. Das dauerhafteste,<lb/> was die französische Herrschaft der Stadt hinterlassen hat, sind die Festungs-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0286]
von Weißenburg bis Metz
Wenn man von Karlsruhe her bei dem Hafen von Maxau den Rhein
überschreitet, an der Stelle, wo 1870 Napoleon III. dies thun wollte, um
Süddeutschland zu überrennen, so tauchen über dem Röhricht, den Weidenbüschen
und den fruchtbaren Feldern der Stromniederung in blauer Ferne bald die
malerischen Umrisse der Hardt und der Vogesen auf, und je mehr man sich
ihnen nähert, desto deutlicher heben sich die dunkeln Waldungen über den
lichten Rebgeländen ab. Da, wo die Lauter aus den Vorbergen der Vogesen
in die Ebene heraustritt, liegt das uralte Weißenburg, um den starken, spitzen
Turm der Stiftskirche zu Se. Peter und Paul zusammengedrängt und dicht
an die Höhen geschmiegt, die, von Weinpflanzungen und kleinen weißen Winzer¬
häuschen bedeckt, bis unmittelbar an die Stadt herantreten. Meist enge, un¬
regelmäßige Gassen mit offnen Rinnsteinen laufen zwischen durchschnittlich ein¬
stöckigen Häusern von den Thoren nach dem Markte und dem sich unmittelbar
daran anschließenden Kirchplatze zusammen. Dort ragt die Stiftskirche auf, ein
massiger Bau von romanischer Anlage mit dem Hanptturm über der Vierung
und einem noch ganz romanischen Glockenturm an der Westseite, aber gotisch
umgebaut und an der Nordseite mit einem gotischen Kreuzgange umgeben.
Dicht daneben liegt das Bezirksamt; es trug, wie alle Amtsgebüude im
ganzen Reichslande in diesen ersten Augusttagen, die Neichsflagge auf Halb¬
mast zu Ehren Bismarcks. Weißenburg ist eine kleine verschlafne Stadt ohne
rechtes Leben, aber Französisches ist nichts mehr an ihr. Nur die Apotheke
nennt sich noch ?NMnig,e,in;, und der „Gasthof zum Schwan" am Markte MW1
an V^Mo; sonst sind alle Firmenschilder ausschließlich deutsch, die Einwohner
reden nicht nur ihr Elsässer „Dieses," sondern auch Hochdeutsch, auf den
Gassen bewegen sich unsre Soldaten wie in irgend einer märkischen Garnison,
im „Schwan" speisen die Offiziere, große Kasernen sind am Landauer Thore
entstanden, andre vor dem Hagenauer Thore im Entstehen begriffen, daneben
stattliche Villen, besonders wohl für Offiziere, denn feit kurzem ist das gesamte
6V. Regiment hier vereinigt, und am ehemaligen, jetzt geschleiften Hagenauer
Thore erhebt sich der schöne Neubau der kaiserlichen Post. Daß Weißenburg
»och vor dreißig Jahren französisch war, kann ihm hente niemand mehr an¬
sehen. Beziehungen zu Frankreich bestehen natürlich noch. Der Schwiegersohn
des jetzigen Bürgermeisters ist ein französischer Offizier, der übrigens, wenn
er auf Urlaub herkommt, kameradschaftlich mit unsern Offiziere» verkehrt, und
in der angesehenen Familie sah., der ein Teil des Geisberges gehört, meint
man, wenn von „unsern Verhältnissen" die Rede ist, die französischen, aber
sie verschmäht nicht den Umgang mit unsern Offizieren, und es ist doch immerhin
bezeichnend für die Bevölkerung der Stadt und des Kreises, daß sie dem ersten
deutschen Kreisdirektor Stichaner wegen seiner Verdienste um den Bezirk ein
Denkmal an der Straße nach dem Bahnhofe gesetzt hat. Das dauerhafteste,
was die französische Herrschaft der Stadt hinterlassen hat, sind die Festungs-
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