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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche historische Landschaft

Kirchen auf die blaue Ostsee hinaus. Eine andre Familienähnlichkeit umfaßt
tiefergehend alle Seestädte. In den Seestädten riß der Faden der Entwicklung
niemals so leicht ab wie in den Binnenstädten. Lübeck und Danzig zeigen
unter allem Wechsel der Geschicke eine ruhige, wenn auch ebbcnde und flutende
Entwicklung, während Augsburg und Nürnberg nach regsten Leben zuweilen
in Schlaf sinken. Das Meer erlaubt nicht die vollständige Wegleitung und
Abdämmung des Verkehrsstroms. Daher haben die Binnenstädte monumentale
Zeugnisse ihrer Blüte aus wenigen Jahrhunderten, oft nur aus einigen Jahr¬
zehnten, während in den Seestädten kein Jahrhundert ohne neue Schöpfungen
vorbeigegangen ist, die sich an dem nie ganz abreißenden Lebensfaden aufreihen.
Viel mehr Besonderheiten zeigen trotz der gemeinschaftlichen römischen Grund¬
lagen die rheinischen Städte mit ihren herrlichen romanischen und noch mäch¬
tigern gotischen Bauten. Basel, Straßburg. Speyer, Worms. Mainz, Köln
geigen, daß der Rhein einst die Lebensader des römischen Germaniens und des
Reiches der Karolinger war und es mit Unterbrechungen in der ganzen großen
Zeit der deutschen Kaiser aus fränkischem und schwäbischen Stamme geblieben
war. Trier und Frankfurt gehören in diese Familie. Daß aber dieses "deutsche
Kanaan" nicht immer eines der blühendste" Länder der Christenheit war,
sondern schwere Kriegsstürme über sich hinziehen lassen mußte, zeigt die
schwermutsvvlle Größe so manches Bildes, das dort an unsern Augen vorüber¬
zieht, wo auf den altersgrauen Dom das zerstörte Schloß hinabschaut.

Die zahllosen Burgen und naturalem Städtchen am Rhein und an seinen
Nebenflüssen erzählen eine andre Geschichte: sie sind Zeugnisse der Zerklüftung
und Zersplitterung, die mit hundert Schlagbäumen und Sperrketten die mächtige
Lebensader unterband und kaum eine Brücke für den Verkehr von Ufer zu Ufer
bestehen ließ. Wie anders ist wieder die Sprache jüngerer und jüngster Städte,
wie Mannheim und Ludwigshafen und der neu hinzugewachsenen Quartiere
von Straßburg. Köln oder Düsseldorf, in denen der alte Kern der Stadt fast
verschwindet: sie sind aus dem Bedarf eines großen fessellosen Verkehrs ent¬
standen, dem die blühendste Vergangenheit nichts an die Seite zu stellen hat,
modern, regelmäßig, unmalerisch im höchsten Grade, großenteils nur Augen¬
blicksschöpfungen und dem Augenblick aufs stärkste imponirend. In manchen
Beziehungen sind ihnen die zahlreichen kleinen und großen Residenzstädte ver¬
wandt, die ja zum Teil auch ganz künstliche Schöpfungen sind; aber fast allen
fehlte einst das mächtige Verkehrsleben, das durch jene pulst; und manche sind
auch, abgesehen von Schloß und Zubehör, nicht viel mehr als Landstädtchen
von auffallender Regelmäßigkeit und Stille. Nur wenige hat ein Strahl der
Geschichte hell und für immer erleuchtet. Weimar hat seines gleichen nicht
in der Welt. Wie eine Dämmerung liegt es dagegen nur ans kleinern der
Gattung wie Rastatt, Ludwigsburg. Wolfenbüttel, Blankenburg. Dabei durch-
oringt der allgemeine Charakter ihrer Landschaft diese Städte. Haben nicht


Grenzboten IV 1808 3l!
Die deutsche historische Landschaft

Kirchen auf die blaue Ostsee hinaus. Eine andre Familienähnlichkeit umfaßt
tiefergehend alle Seestädte. In den Seestädten riß der Faden der Entwicklung
niemals so leicht ab wie in den Binnenstädten. Lübeck und Danzig zeigen
unter allem Wechsel der Geschicke eine ruhige, wenn auch ebbcnde und flutende
Entwicklung, während Augsburg und Nürnberg nach regsten Leben zuweilen
in Schlaf sinken. Das Meer erlaubt nicht die vollständige Wegleitung und
Abdämmung des Verkehrsstroms. Daher haben die Binnenstädte monumentale
Zeugnisse ihrer Blüte aus wenigen Jahrhunderten, oft nur aus einigen Jahr¬
zehnten, während in den Seestädten kein Jahrhundert ohne neue Schöpfungen
vorbeigegangen ist, die sich an dem nie ganz abreißenden Lebensfaden aufreihen.
Viel mehr Besonderheiten zeigen trotz der gemeinschaftlichen römischen Grund¬
lagen die rheinischen Städte mit ihren herrlichen romanischen und noch mäch¬
tigern gotischen Bauten. Basel, Straßburg. Speyer, Worms. Mainz, Köln
geigen, daß der Rhein einst die Lebensader des römischen Germaniens und des
Reiches der Karolinger war und es mit Unterbrechungen in der ganzen großen
Zeit der deutschen Kaiser aus fränkischem und schwäbischen Stamme geblieben
war. Trier und Frankfurt gehören in diese Familie. Daß aber dieses „deutsche
Kanaan" nicht immer eines der blühendste» Länder der Christenheit war,
sondern schwere Kriegsstürme über sich hinziehen lassen mußte, zeigt die
schwermutsvvlle Größe so manches Bildes, das dort an unsern Augen vorüber¬
zieht, wo auf den altersgrauen Dom das zerstörte Schloß hinabschaut.

Die zahllosen Burgen und naturalem Städtchen am Rhein und an seinen
Nebenflüssen erzählen eine andre Geschichte: sie sind Zeugnisse der Zerklüftung
und Zersplitterung, die mit hundert Schlagbäumen und Sperrketten die mächtige
Lebensader unterband und kaum eine Brücke für den Verkehr von Ufer zu Ufer
bestehen ließ. Wie anders ist wieder die Sprache jüngerer und jüngster Städte,
wie Mannheim und Ludwigshafen und der neu hinzugewachsenen Quartiere
von Straßburg. Köln oder Düsseldorf, in denen der alte Kern der Stadt fast
verschwindet: sie sind aus dem Bedarf eines großen fessellosen Verkehrs ent¬
standen, dem die blühendste Vergangenheit nichts an die Seite zu stellen hat,
modern, regelmäßig, unmalerisch im höchsten Grade, großenteils nur Augen¬
blicksschöpfungen und dem Augenblick aufs stärkste imponirend. In manchen
Beziehungen sind ihnen die zahlreichen kleinen und großen Residenzstädte ver¬
wandt, die ja zum Teil auch ganz künstliche Schöpfungen sind; aber fast allen
fehlte einst das mächtige Verkehrsleben, das durch jene pulst; und manche sind
auch, abgesehen von Schloß und Zubehör, nicht viel mehr als Landstädtchen
von auffallender Regelmäßigkeit und Stille. Nur wenige hat ein Strahl der
Geschichte hell und für immer erleuchtet. Weimar hat seines gleichen nicht
in der Welt. Wie eine Dämmerung liegt es dagegen nur ans kleinern der
Gattung wie Rastatt, Ludwigsburg. Wolfenbüttel, Blankenburg. Dabei durch-
oringt der allgemeine Charakter ihrer Landschaft diese Städte. Haben nicht


Grenzboten IV 1808 3l!
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[0268] Die deutsche historische Landschaft Kirchen auf die blaue Ostsee hinaus. Eine andre Familienähnlichkeit umfaßt tiefergehend alle Seestädte. In den Seestädten riß der Faden der Entwicklung niemals so leicht ab wie in den Binnenstädten. Lübeck und Danzig zeigen unter allem Wechsel der Geschicke eine ruhige, wenn auch ebbcnde und flutende Entwicklung, während Augsburg und Nürnberg nach regsten Leben zuweilen in Schlaf sinken. Das Meer erlaubt nicht die vollständige Wegleitung und Abdämmung des Verkehrsstroms. Daher haben die Binnenstädte monumentale Zeugnisse ihrer Blüte aus wenigen Jahrhunderten, oft nur aus einigen Jahr¬ zehnten, während in den Seestädten kein Jahrhundert ohne neue Schöpfungen vorbeigegangen ist, die sich an dem nie ganz abreißenden Lebensfaden aufreihen. Viel mehr Besonderheiten zeigen trotz der gemeinschaftlichen römischen Grund¬ lagen die rheinischen Städte mit ihren herrlichen romanischen und noch mäch¬ tigern gotischen Bauten. Basel, Straßburg. Speyer, Worms. Mainz, Köln geigen, daß der Rhein einst die Lebensader des römischen Germaniens und des Reiches der Karolinger war und es mit Unterbrechungen in der ganzen großen Zeit der deutschen Kaiser aus fränkischem und schwäbischen Stamme geblieben war. Trier und Frankfurt gehören in diese Familie. Daß aber dieses „deutsche Kanaan" nicht immer eines der blühendste» Länder der Christenheit war, sondern schwere Kriegsstürme über sich hinziehen lassen mußte, zeigt die schwermutsvvlle Größe so manches Bildes, das dort an unsern Augen vorüber¬ zieht, wo auf den altersgrauen Dom das zerstörte Schloß hinabschaut. Die zahllosen Burgen und naturalem Städtchen am Rhein und an seinen Nebenflüssen erzählen eine andre Geschichte: sie sind Zeugnisse der Zerklüftung und Zersplitterung, die mit hundert Schlagbäumen und Sperrketten die mächtige Lebensader unterband und kaum eine Brücke für den Verkehr von Ufer zu Ufer bestehen ließ. Wie anders ist wieder die Sprache jüngerer und jüngster Städte, wie Mannheim und Ludwigshafen und der neu hinzugewachsenen Quartiere von Straßburg. Köln oder Düsseldorf, in denen der alte Kern der Stadt fast verschwindet: sie sind aus dem Bedarf eines großen fessellosen Verkehrs ent¬ standen, dem die blühendste Vergangenheit nichts an die Seite zu stellen hat, modern, regelmäßig, unmalerisch im höchsten Grade, großenteils nur Augen¬ blicksschöpfungen und dem Augenblick aufs stärkste imponirend. In manchen Beziehungen sind ihnen die zahlreichen kleinen und großen Residenzstädte ver¬ wandt, die ja zum Teil auch ganz künstliche Schöpfungen sind; aber fast allen fehlte einst das mächtige Verkehrsleben, das durch jene pulst; und manche sind auch, abgesehen von Schloß und Zubehör, nicht viel mehr als Landstädtchen von auffallender Regelmäßigkeit und Stille. Nur wenige hat ein Strahl der Geschichte hell und für immer erleuchtet. Weimar hat seines gleichen nicht in der Welt. Wie eine Dämmerung liegt es dagegen nur ans kleinern der Gattung wie Rastatt, Ludwigsburg. Wolfenbüttel, Blankenburg. Dabei durch- oringt der allgemeine Charakter ihrer Landschaft diese Städte. Haben nicht Grenzboten IV 1808 3l!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/268>, abgerufen am 12.12.2024.