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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche historische Landschaft

freundlichsten Züge in der Voralpenlandschaft. Am Neckar und am Oberrhein
herrschen die Kuppen und Zwiebeltürme von oft sehr feinen Kurven vor.
Unter den niederdeutschen sind dagegen die Türme der vorpommerschen und
rügischen Dorfkirchen massig; Eckkrönungen sind häufig angebracht, um den
schweren Eindruck zu mildern. Fast kastellartig sind in Mitteldeutschland die
Kirchtürme des Werralandes, während weiter östlich die Mannigfaltigkeit der
Kirchturmformen manch einförmiges Bild des Wellenlandes zwischen Harz und
Erzgebirge belebt. Der zwischen zwei einander überragenden langen Höhen¬
wellen hervorschauende Kirchturm ist immerhin eine edlere Staffage als die
Flügel einer Windmühle.

Die katholischen Gegenden Deutschlands haben allein in ihren Feldfluren
und auf ihren Anhöhen manche andern Zeugnisse ihres Glaubens bewahrt,
der sich oft wunderbar feinfühlig mit einem alten, unbewußten Natursinn ver¬
bindet. Wer wissen will, wie tief das Naturgefühl in der deutscheu Seele
wurzelt, der sehe sich einmal die Lagen der einfachsten Kapellen, Kreuzwege
und Wallfahrtskirchlein an; kaum eines, das nicht den Blick über ein weites,
fruchtbares Land, oder die von selbst zur Umschau anregende Lage auf einem
Gebirgskamm, oder die Schauer einer Waldestiefe mit dem religiösen Em¬
pfinden zu vereinigen gesucht hätte. Außerdem hat jeder alte Bischofssitz und
haben viele Klöster mit den religiösen auch künstlerische Anregungen ausge¬
strahlt. Welcher Wandrer, der durch das Rhönlnnd gezogen ist, hat nicht
empfunden, wie die von der Bischofsstadt ausgehende Kunstübung in der
Gegend von Fulda selbst die "Bildsteiue" reicher gestaltet, mit gewundner Säule,
Reblaubgewinden und reichem Schmuck kleiner Figuren ausgestattet hat. Die
alte christliche Kultur breitet überhaupt einen vergeistigenden Hauch über das
ganze Fuldaerland aus. Der Petersberg mit seinem pyramidenförmigen Auf¬
bau, den die weit überragende Kirche krönt, ist ein echter heiliger Berg. Bis
auf die Gipfel der Rhön haben Waller die Pfade gebahnt. Bildsteiue und
Kruzifixe ersetzen die Wegweiser; die Kapelle und die Steinkanzel auf der stillen
Höhe der Milsenburg vollenden diesen religiösen Charakter der ganzen westlichen
Rhönlandschast.

So hat sich auch die geschichtliche Verwandtschaft der Städte in dem
Stein der Bau- und Bildwerke dauernde Denkmale geschaffen. Der Charakter
der Städte wechselt von Landschaft zu Landschaft. Verwandte Geschicke, ver¬
wandte Bilder. Unmittelbare Nachahmung hat in leicht kenntlicher Weise die
Ostseestädte einander ähnlich gemacht. Lübeck ist in der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts die Musteranlage sür zahlreiche Städtegründungen in
den Ostseeländern geworden, wie Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald,
Stettin, Anklam, Stargard, Kolberg. Die Anklänge an die Lübecker Marien¬
kirche reichen in den alten Hansestädten noch weiter nach Osten und binnen-
wärts. Wie die Leuchttürme schauen zum Verwechseln ähnlich die Türme der


Die deutsche historische Landschaft

freundlichsten Züge in der Voralpenlandschaft. Am Neckar und am Oberrhein
herrschen die Kuppen und Zwiebeltürme von oft sehr feinen Kurven vor.
Unter den niederdeutschen sind dagegen die Türme der vorpommerschen und
rügischen Dorfkirchen massig; Eckkrönungen sind häufig angebracht, um den
schweren Eindruck zu mildern. Fast kastellartig sind in Mitteldeutschland die
Kirchtürme des Werralandes, während weiter östlich die Mannigfaltigkeit der
Kirchturmformen manch einförmiges Bild des Wellenlandes zwischen Harz und
Erzgebirge belebt. Der zwischen zwei einander überragenden langen Höhen¬
wellen hervorschauende Kirchturm ist immerhin eine edlere Staffage als die
Flügel einer Windmühle.

Die katholischen Gegenden Deutschlands haben allein in ihren Feldfluren
und auf ihren Anhöhen manche andern Zeugnisse ihres Glaubens bewahrt,
der sich oft wunderbar feinfühlig mit einem alten, unbewußten Natursinn ver¬
bindet. Wer wissen will, wie tief das Naturgefühl in der deutscheu Seele
wurzelt, der sehe sich einmal die Lagen der einfachsten Kapellen, Kreuzwege
und Wallfahrtskirchlein an; kaum eines, das nicht den Blick über ein weites,
fruchtbares Land, oder die von selbst zur Umschau anregende Lage auf einem
Gebirgskamm, oder die Schauer einer Waldestiefe mit dem religiösen Em¬
pfinden zu vereinigen gesucht hätte. Außerdem hat jeder alte Bischofssitz und
haben viele Klöster mit den religiösen auch künstlerische Anregungen ausge¬
strahlt. Welcher Wandrer, der durch das Rhönlnnd gezogen ist, hat nicht
empfunden, wie die von der Bischofsstadt ausgehende Kunstübung in der
Gegend von Fulda selbst die „Bildsteiue" reicher gestaltet, mit gewundner Säule,
Reblaubgewinden und reichem Schmuck kleiner Figuren ausgestattet hat. Die
alte christliche Kultur breitet überhaupt einen vergeistigenden Hauch über das
ganze Fuldaerland aus. Der Petersberg mit seinem pyramidenförmigen Auf¬
bau, den die weit überragende Kirche krönt, ist ein echter heiliger Berg. Bis
auf die Gipfel der Rhön haben Waller die Pfade gebahnt. Bildsteiue und
Kruzifixe ersetzen die Wegweiser; die Kapelle und die Steinkanzel auf der stillen
Höhe der Milsenburg vollenden diesen religiösen Charakter der ganzen westlichen
Rhönlandschast.

So hat sich auch die geschichtliche Verwandtschaft der Städte in dem
Stein der Bau- und Bildwerke dauernde Denkmale geschaffen. Der Charakter
der Städte wechselt von Landschaft zu Landschaft. Verwandte Geschicke, ver¬
wandte Bilder. Unmittelbare Nachahmung hat in leicht kenntlicher Weise die
Ostseestädte einander ähnlich gemacht. Lübeck ist in der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts die Musteranlage sür zahlreiche Städtegründungen in
den Ostseeländern geworden, wie Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald,
Stettin, Anklam, Stargard, Kolberg. Die Anklänge an die Lübecker Marien¬
kirche reichen in den alten Hansestädten noch weiter nach Osten und binnen-
wärts. Wie die Leuchttürme schauen zum Verwechseln ähnlich die Türme der


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[0267] Die deutsche historische Landschaft freundlichsten Züge in der Voralpenlandschaft. Am Neckar und am Oberrhein herrschen die Kuppen und Zwiebeltürme von oft sehr feinen Kurven vor. Unter den niederdeutschen sind dagegen die Türme der vorpommerschen und rügischen Dorfkirchen massig; Eckkrönungen sind häufig angebracht, um den schweren Eindruck zu mildern. Fast kastellartig sind in Mitteldeutschland die Kirchtürme des Werralandes, während weiter östlich die Mannigfaltigkeit der Kirchturmformen manch einförmiges Bild des Wellenlandes zwischen Harz und Erzgebirge belebt. Der zwischen zwei einander überragenden langen Höhen¬ wellen hervorschauende Kirchturm ist immerhin eine edlere Staffage als die Flügel einer Windmühle. Die katholischen Gegenden Deutschlands haben allein in ihren Feldfluren und auf ihren Anhöhen manche andern Zeugnisse ihres Glaubens bewahrt, der sich oft wunderbar feinfühlig mit einem alten, unbewußten Natursinn ver¬ bindet. Wer wissen will, wie tief das Naturgefühl in der deutscheu Seele wurzelt, der sehe sich einmal die Lagen der einfachsten Kapellen, Kreuzwege und Wallfahrtskirchlein an; kaum eines, das nicht den Blick über ein weites, fruchtbares Land, oder die von selbst zur Umschau anregende Lage auf einem Gebirgskamm, oder die Schauer einer Waldestiefe mit dem religiösen Em¬ pfinden zu vereinigen gesucht hätte. Außerdem hat jeder alte Bischofssitz und haben viele Klöster mit den religiösen auch künstlerische Anregungen ausge¬ strahlt. Welcher Wandrer, der durch das Rhönlnnd gezogen ist, hat nicht empfunden, wie die von der Bischofsstadt ausgehende Kunstübung in der Gegend von Fulda selbst die „Bildsteiue" reicher gestaltet, mit gewundner Säule, Reblaubgewinden und reichem Schmuck kleiner Figuren ausgestattet hat. Die alte christliche Kultur breitet überhaupt einen vergeistigenden Hauch über das ganze Fuldaerland aus. Der Petersberg mit seinem pyramidenförmigen Auf¬ bau, den die weit überragende Kirche krönt, ist ein echter heiliger Berg. Bis auf die Gipfel der Rhön haben Waller die Pfade gebahnt. Bildsteiue und Kruzifixe ersetzen die Wegweiser; die Kapelle und die Steinkanzel auf der stillen Höhe der Milsenburg vollenden diesen religiösen Charakter der ganzen westlichen Rhönlandschast. So hat sich auch die geschichtliche Verwandtschaft der Städte in dem Stein der Bau- und Bildwerke dauernde Denkmale geschaffen. Der Charakter der Städte wechselt von Landschaft zu Landschaft. Verwandte Geschicke, ver¬ wandte Bilder. Unmittelbare Nachahmung hat in leicht kenntlicher Weise die Ostseestädte einander ähnlich gemacht. Lübeck ist in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts die Musteranlage sür zahlreiche Städtegründungen in den Ostseeländern geworden, wie Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald, Stettin, Anklam, Stargard, Kolberg. Die Anklänge an die Lübecker Marien¬ kirche reichen in den alten Hansestädten noch weiter nach Osten und binnen- wärts. Wie die Leuchttürme schauen zum Verwechseln ähnlich die Türme der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/267>, abgerufen am 24.07.2024.