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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche historische Landschaft

der Donau zur Elbe, Oder und Weichsel führte. Im Westen haben dann die
Römer Verkehrswege in einer Weise durchgeführt, daß noch heute Römerstraßen
und römische Warttürme in der historischen Landschaft wirksam erscheinen. Wir
haben aber keinen Rest von den alten Knotenpunkten dieses Verkehrs, denn
dieser hatte vor der Römerzeit auf deutschem Boden noch nicht die nachhaltige
Kraft, die zur Städtebildung notwendig ist. Höchstens zeigt eine auffallend
zusammengehäufte Menge von Bronze- oder Vernsteingegenständen an einer
Stelle, ein sogenannter Depotfund, den Rastplatz eines Handelsmanns an.

Erst der Ackerbau trug in das Leben der mitteleuropäischen Völker eine
Entwicklung hinein, die die Zahl der Menschen auf demselben Boden immer
weiter wachsen und zu einzelnen Gruppen sich zusammenschließen ließ. Da
der Ackerbau uicht überall gleichartig war, sondern aus verschiednen Quellen
stammte, so sind bis auf den heutigen Tag auch seine Spuren verschiedenartig.
Die verschiednen Dorf- und Hofanlagen und Gemarkungen sprechen von
Stammeseigentümlichkeiten, die besonders weit auseinander liegen in den sla¬
wischen oder einst slawischen und den germanischen Teilen unsers Landes.
Man glaubt sogar keltische Neste in den westfälischen Langhäusern zu erkennen,
wo Wohnräume und Stall unter demselben Dach und in Einer Flucht liegen.
Römische Einflüsse können in dem Bau und der Anlage der Wohnstütten und
Dörfer in Süd- und Westdeutschland deutlich nachgewiesen werden. Und von
spätern Einwirkungen sind besonders die flandrischen nicht zu verkennen, die
durch die mittelalterliche, von Westen nach Osten gerichtete Kolonisations-
bewegnng ihren Weg bis weit über die Elbe hinaus gefunden haben. Wer
sich mitten in Pommern durch Straßenzeilen mit saubern roten Backsteinhüusern
mit großen Fenstern, niedern Mauern und hohem Dach angemutet fühlt, steht
denselben von Westen her übertragnen Einrichtungen gegenüber, die wir in
einer bestimmten Gemarkungsform und in ganz andrer Ausprägung in den
Anklängen an holländische Hafenstadtanlagen finden, wie sie in allen unsern
Seestädten wiederkehren. Nur wenig hat der Boden diese Unterschiede beein¬
flußt. Das Wohnen in Einzelhöfen und kleinen Hofgruppen (Weilern, Zinken),
das der Alpen- und Voralpenlandschaft einen so reich belebten Charakter giebt,
ist auch in den Vogesen und im Schwarzwald üblich, aber nur, wo Alemannen
und Schwaben vorwiegen; es verschwindet in den fränkischen Gebieten und
kehrt dann in Nordwestdeutschland, besonders in Westfalen, wieder, allerdings
mit einer ganz verschiednen Anlage des Hauses. Den schärfsten Gegensatz zu
dieser Zerstreuung, die den engsten Anschluß der menschlichen Wohnstätten an
die Natur bedeutet, zeigen die befestigten, auf Hügeln oder halbinselartigen
Höhenvorsprüngen zusammengedrängten Dörfer, die auf dem eigentlich deutschen
Boden nirgends so verbreitet sind, wie in den von Mongolen- und Türken-
stürmen bis ins vorige Jahrhundert immer wieder heimgesuchten deutschen
Kolvnialgebietcn Siebenbürgens mit ihren burgenartigen, befestigten Kirchen.


Die deutsche historische Landschaft

der Donau zur Elbe, Oder und Weichsel führte. Im Westen haben dann die
Römer Verkehrswege in einer Weise durchgeführt, daß noch heute Römerstraßen
und römische Warttürme in der historischen Landschaft wirksam erscheinen. Wir
haben aber keinen Rest von den alten Knotenpunkten dieses Verkehrs, denn
dieser hatte vor der Römerzeit auf deutschem Boden noch nicht die nachhaltige
Kraft, die zur Städtebildung notwendig ist. Höchstens zeigt eine auffallend
zusammengehäufte Menge von Bronze- oder Vernsteingegenständen an einer
Stelle, ein sogenannter Depotfund, den Rastplatz eines Handelsmanns an.

Erst der Ackerbau trug in das Leben der mitteleuropäischen Völker eine
Entwicklung hinein, die die Zahl der Menschen auf demselben Boden immer
weiter wachsen und zu einzelnen Gruppen sich zusammenschließen ließ. Da
der Ackerbau uicht überall gleichartig war, sondern aus verschiednen Quellen
stammte, so sind bis auf den heutigen Tag auch seine Spuren verschiedenartig.
Die verschiednen Dorf- und Hofanlagen und Gemarkungen sprechen von
Stammeseigentümlichkeiten, die besonders weit auseinander liegen in den sla¬
wischen oder einst slawischen und den germanischen Teilen unsers Landes.
Man glaubt sogar keltische Neste in den westfälischen Langhäusern zu erkennen,
wo Wohnräume und Stall unter demselben Dach und in Einer Flucht liegen.
Römische Einflüsse können in dem Bau und der Anlage der Wohnstütten und
Dörfer in Süd- und Westdeutschland deutlich nachgewiesen werden. Und von
spätern Einwirkungen sind besonders die flandrischen nicht zu verkennen, die
durch die mittelalterliche, von Westen nach Osten gerichtete Kolonisations-
bewegnng ihren Weg bis weit über die Elbe hinaus gefunden haben. Wer
sich mitten in Pommern durch Straßenzeilen mit saubern roten Backsteinhüusern
mit großen Fenstern, niedern Mauern und hohem Dach angemutet fühlt, steht
denselben von Westen her übertragnen Einrichtungen gegenüber, die wir in
einer bestimmten Gemarkungsform und in ganz andrer Ausprägung in den
Anklängen an holländische Hafenstadtanlagen finden, wie sie in allen unsern
Seestädten wiederkehren. Nur wenig hat der Boden diese Unterschiede beein¬
flußt. Das Wohnen in Einzelhöfen und kleinen Hofgruppen (Weilern, Zinken),
das der Alpen- und Voralpenlandschaft einen so reich belebten Charakter giebt,
ist auch in den Vogesen und im Schwarzwald üblich, aber nur, wo Alemannen
und Schwaben vorwiegen; es verschwindet in den fränkischen Gebieten und
kehrt dann in Nordwestdeutschland, besonders in Westfalen, wieder, allerdings
mit einer ganz verschiednen Anlage des Hauses. Den schärfsten Gegensatz zu
dieser Zerstreuung, die den engsten Anschluß der menschlichen Wohnstätten an
die Natur bedeutet, zeigen die befestigten, auf Hügeln oder halbinselartigen
Höhenvorsprüngen zusammengedrängten Dörfer, die auf dem eigentlich deutschen
Boden nirgends so verbreitet sind, wie in den von Mongolen- und Türken-
stürmen bis ins vorige Jahrhundert immer wieder heimgesuchten deutschen
Kolvnialgebietcn Siebenbürgens mit ihren burgenartigen, befestigten Kirchen.


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[0264] Die deutsche historische Landschaft der Donau zur Elbe, Oder und Weichsel führte. Im Westen haben dann die Römer Verkehrswege in einer Weise durchgeführt, daß noch heute Römerstraßen und römische Warttürme in der historischen Landschaft wirksam erscheinen. Wir haben aber keinen Rest von den alten Knotenpunkten dieses Verkehrs, denn dieser hatte vor der Römerzeit auf deutschem Boden noch nicht die nachhaltige Kraft, die zur Städtebildung notwendig ist. Höchstens zeigt eine auffallend zusammengehäufte Menge von Bronze- oder Vernsteingegenständen an einer Stelle, ein sogenannter Depotfund, den Rastplatz eines Handelsmanns an. Erst der Ackerbau trug in das Leben der mitteleuropäischen Völker eine Entwicklung hinein, die die Zahl der Menschen auf demselben Boden immer weiter wachsen und zu einzelnen Gruppen sich zusammenschließen ließ. Da der Ackerbau uicht überall gleichartig war, sondern aus verschiednen Quellen stammte, so sind bis auf den heutigen Tag auch seine Spuren verschiedenartig. Die verschiednen Dorf- und Hofanlagen und Gemarkungen sprechen von Stammeseigentümlichkeiten, die besonders weit auseinander liegen in den sla¬ wischen oder einst slawischen und den germanischen Teilen unsers Landes. Man glaubt sogar keltische Neste in den westfälischen Langhäusern zu erkennen, wo Wohnräume und Stall unter demselben Dach und in Einer Flucht liegen. Römische Einflüsse können in dem Bau und der Anlage der Wohnstütten und Dörfer in Süd- und Westdeutschland deutlich nachgewiesen werden. Und von spätern Einwirkungen sind besonders die flandrischen nicht zu verkennen, die durch die mittelalterliche, von Westen nach Osten gerichtete Kolonisations- bewegnng ihren Weg bis weit über die Elbe hinaus gefunden haben. Wer sich mitten in Pommern durch Straßenzeilen mit saubern roten Backsteinhüusern mit großen Fenstern, niedern Mauern und hohem Dach angemutet fühlt, steht denselben von Westen her übertragnen Einrichtungen gegenüber, die wir in einer bestimmten Gemarkungsform und in ganz andrer Ausprägung in den Anklängen an holländische Hafenstadtanlagen finden, wie sie in allen unsern Seestädten wiederkehren. Nur wenig hat der Boden diese Unterschiede beein¬ flußt. Das Wohnen in Einzelhöfen und kleinen Hofgruppen (Weilern, Zinken), das der Alpen- und Voralpenlandschaft einen so reich belebten Charakter giebt, ist auch in den Vogesen und im Schwarzwald üblich, aber nur, wo Alemannen und Schwaben vorwiegen; es verschwindet in den fränkischen Gebieten und kehrt dann in Nordwestdeutschland, besonders in Westfalen, wieder, allerdings mit einer ganz verschiednen Anlage des Hauses. Den schärfsten Gegensatz zu dieser Zerstreuung, die den engsten Anschluß der menschlichen Wohnstätten an die Natur bedeutet, zeigen die befestigten, auf Hügeln oder halbinselartigen Höhenvorsprüngen zusammengedrängten Dörfer, die auf dem eigentlich deutschen Boden nirgends so verbreitet sind, wie in den von Mongolen- und Türken- stürmen bis ins vorige Jahrhundert immer wieder heimgesuchten deutschen Kolvnialgebietcn Siebenbürgens mit ihren burgenartigen, befestigten Kirchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/264>, abgerufen am 24.07.2024.