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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Kirchenpolitik und Zentrum

glaubensstarken Soldaten. Dann gab es für den Staat wohl noch ein Kampf¬
mittel, das den Sieg möglich gemacht hätte: eine allgemeine und unbeschränkte
Vollmacht an die Verwaltung, je nach der Verschiedenheit der Fälle die Kampf¬
gesetze schärfer anzuziehen oder von ihrer Anwendung abzusehen, überhaupt
über alle Machtmittel des Staats frei zu verfügen. Dadurch würden die
Waffen im Kampfe einigermaßen ausgeglichen worden sein, denn die Hierarchie
hat auf ihrem Gebiete diese freie Verfügung. Aber Dispensationsgewalt und
sonstige Stärkung der Regierung und Verwaltung stehen auf dem konstitu¬
tionellen Index, und so fand das Gesetz vom 14. Juli 1880, das den Ansatz
zu ihrer Gewährung machte, keine Nachfolge, trotz seiner günstigen Wirkungen;
war doch auf Grund seiner Ermächtigungen die Besetzung von 353 Pfarreien,
dem größten Teil der erledigten 1103. zugelassen worden. Unter diesen Um¬
stünden blieb nichts übrig als eine Lösung, wodurch das Zentrum zwar nicht
gewonnen wurde, aber für die zunächst notwendige Staatsthütigkeit gegen die
Selbstsucht und Unbelehrbarkeit andrer Parteien ausgespielt werden konnte;
seine Selbstsucht erschien für den Augenblick als die weniger gefährliche. So
kam es zum Kompromiß und vorläufigen Stillstande. Die Schmähungen der
Kampfgenossen und das Siegesgezeter der Gegner legte Fürst Vismarck gelassen
zum übrigen; seine Sammlung von dergleichen war ja so groß, daß es ihm
auf ein Mehr oder Weniger nicht ankam. Aber auf die 8g.1us pudliog., und
nur auf sie, kam es ihm an, und die schuldet ihm, hier wie immer, Dank.

Daß nicht der Staat gesiegt hat, ist sicher. Immerhin war erreicht worden,
daß die durch Staatsgesetz aufgestellte Anzeigepflicht von der Kirche beobachtet
wurde, und noch einige andre notwendige Attribute der Kirchenhoheit blieben
bestehen. Unsers Erachtens ist überhaupt nicht die von der Kirche durchgesetzte
Beschränkung der gesetzlichen Einwirkung des Staates das, was von dessen
Standpunkt aus am meisten zu beklagen ist, denn das Prinzip der Staats¬
souveränität ist gewahrt, und es giebt ja noch eine Zukunft. Sondern die
schlimmste Folge von dem Verlauf und dem Ausgang des Kulturkampfs ist die,
daß die Staatsverwaltung eingeschüchtert ist und sich deshalb scheut, von ihren
Befugnissen, Namentlich der des Einspruchs, Gebrauch zu machen, und daß das
Verständnis der evangelischen Staatsbeamten für die nicht sowohl herrschende
als religiös fördernde Seite der Katholischen Kirche durch die Hitze des Kampfes
und durch den spätern Unmut noch mehr gehemmt wurde. Aber auch der
Sieg der katholischen Hierarchie hat mehr scheinbaren Glanz als wirklichen
Wert, sei es kirchlichen, sei es gar religiösen Wert. Denn die Verwüstungen
waren arg, ihre wirkliche Ursache wird, auch den Katholiken, nicht immer ver¬
borgen bleiben und nicht als Saat der Ehrfurcht wirken, das Stigmcitisiren
der "Auchkatholikeu" wird sich noch einmal verdientermaßen rächen, und wenn
auch einstweilen die Einmütigkeit des Laienelements mit den Kirchenobern noch
zu wachsen scheint, so ist doch seine feste Zusammenfassung unter eignen Häuptern


Kirchenpolitik und Zentrum

glaubensstarken Soldaten. Dann gab es für den Staat wohl noch ein Kampf¬
mittel, das den Sieg möglich gemacht hätte: eine allgemeine und unbeschränkte
Vollmacht an die Verwaltung, je nach der Verschiedenheit der Fälle die Kampf¬
gesetze schärfer anzuziehen oder von ihrer Anwendung abzusehen, überhaupt
über alle Machtmittel des Staats frei zu verfügen. Dadurch würden die
Waffen im Kampfe einigermaßen ausgeglichen worden sein, denn die Hierarchie
hat auf ihrem Gebiete diese freie Verfügung. Aber Dispensationsgewalt und
sonstige Stärkung der Regierung und Verwaltung stehen auf dem konstitu¬
tionellen Index, und so fand das Gesetz vom 14. Juli 1880, das den Ansatz
zu ihrer Gewährung machte, keine Nachfolge, trotz seiner günstigen Wirkungen;
war doch auf Grund seiner Ermächtigungen die Besetzung von 353 Pfarreien,
dem größten Teil der erledigten 1103. zugelassen worden. Unter diesen Um¬
stünden blieb nichts übrig als eine Lösung, wodurch das Zentrum zwar nicht
gewonnen wurde, aber für die zunächst notwendige Staatsthütigkeit gegen die
Selbstsucht und Unbelehrbarkeit andrer Parteien ausgespielt werden konnte;
seine Selbstsucht erschien für den Augenblick als die weniger gefährliche. So
kam es zum Kompromiß und vorläufigen Stillstande. Die Schmähungen der
Kampfgenossen und das Siegesgezeter der Gegner legte Fürst Vismarck gelassen
zum übrigen; seine Sammlung von dergleichen war ja so groß, daß es ihm
auf ein Mehr oder Weniger nicht ankam. Aber auf die 8g.1us pudliog., und
nur auf sie, kam es ihm an, und die schuldet ihm, hier wie immer, Dank.

Daß nicht der Staat gesiegt hat, ist sicher. Immerhin war erreicht worden,
daß die durch Staatsgesetz aufgestellte Anzeigepflicht von der Kirche beobachtet
wurde, und noch einige andre notwendige Attribute der Kirchenhoheit blieben
bestehen. Unsers Erachtens ist überhaupt nicht die von der Kirche durchgesetzte
Beschränkung der gesetzlichen Einwirkung des Staates das, was von dessen
Standpunkt aus am meisten zu beklagen ist, denn das Prinzip der Staats¬
souveränität ist gewahrt, und es giebt ja noch eine Zukunft. Sondern die
schlimmste Folge von dem Verlauf und dem Ausgang des Kulturkampfs ist die,
daß die Staatsverwaltung eingeschüchtert ist und sich deshalb scheut, von ihren
Befugnissen, Namentlich der des Einspruchs, Gebrauch zu machen, und daß das
Verständnis der evangelischen Staatsbeamten für die nicht sowohl herrschende
als religiös fördernde Seite der Katholischen Kirche durch die Hitze des Kampfes
und durch den spätern Unmut noch mehr gehemmt wurde. Aber auch der
Sieg der katholischen Hierarchie hat mehr scheinbaren Glanz als wirklichen
Wert, sei es kirchlichen, sei es gar religiösen Wert. Denn die Verwüstungen
waren arg, ihre wirkliche Ursache wird, auch den Katholiken, nicht immer ver¬
borgen bleiben und nicht als Saat der Ehrfurcht wirken, das Stigmcitisiren
der „Auchkatholikeu" wird sich noch einmal verdientermaßen rächen, und wenn
auch einstweilen die Einmütigkeit des Laienelements mit den Kirchenobern noch
zu wachsen scheint, so ist doch seine feste Zusammenfassung unter eignen Häuptern


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[0257] Kirchenpolitik und Zentrum glaubensstarken Soldaten. Dann gab es für den Staat wohl noch ein Kampf¬ mittel, das den Sieg möglich gemacht hätte: eine allgemeine und unbeschränkte Vollmacht an die Verwaltung, je nach der Verschiedenheit der Fälle die Kampf¬ gesetze schärfer anzuziehen oder von ihrer Anwendung abzusehen, überhaupt über alle Machtmittel des Staats frei zu verfügen. Dadurch würden die Waffen im Kampfe einigermaßen ausgeglichen worden sein, denn die Hierarchie hat auf ihrem Gebiete diese freie Verfügung. Aber Dispensationsgewalt und sonstige Stärkung der Regierung und Verwaltung stehen auf dem konstitu¬ tionellen Index, und so fand das Gesetz vom 14. Juli 1880, das den Ansatz zu ihrer Gewährung machte, keine Nachfolge, trotz seiner günstigen Wirkungen; war doch auf Grund seiner Ermächtigungen die Besetzung von 353 Pfarreien, dem größten Teil der erledigten 1103. zugelassen worden. Unter diesen Um¬ stünden blieb nichts übrig als eine Lösung, wodurch das Zentrum zwar nicht gewonnen wurde, aber für die zunächst notwendige Staatsthütigkeit gegen die Selbstsucht und Unbelehrbarkeit andrer Parteien ausgespielt werden konnte; seine Selbstsucht erschien für den Augenblick als die weniger gefährliche. So kam es zum Kompromiß und vorläufigen Stillstande. Die Schmähungen der Kampfgenossen und das Siegesgezeter der Gegner legte Fürst Vismarck gelassen zum übrigen; seine Sammlung von dergleichen war ja so groß, daß es ihm auf ein Mehr oder Weniger nicht ankam. Aber auf die 8g.1us pudliog., und nur auf sie, kam es ihm an, und die schuldet ihm, hier wie immer, Dank. Daß nicht der Staat gesiegt hat, ist sicher. Immerhin war erreicht worden, daß die durch Staatsgesetz aufgestellte Anzeigepflicht von der Kirche beobachtet wurde, und noch einige andre notwendige Attribute der Kirchenhoheit blieben bestehen. Unsers Erachtens ist überhaupt nicht die von der Kirche durchgesetzte Beschränkung der gesetzlichen Einwirkung des Staates das, was von dessen Standpunkt aus am meisten zu beklagen ist, denn das Prinzip der Staats¬ souveränität ist gewahrt, und es giebt ja noch eine Zukunft. Sondern die schlimmste Folge von dem Verlauf und dem Ausgang des Kulturkampfs ist die, daß die Staatsverwaltung eingeschüchtert ist und sich deshalb scheut, von ihren Befugnissen, Namentlich der des Einspruchs, Gebrauch zu machen, und daß das Verständnis der evangelischen Staatsbeamten für die nicht sowohl herrschende als religiös fördernde Seite der Katholischen Kirche durch die Hitze des Kampfes und durch den spätern Unmut noch mehr gehemmt wurde. Aber auch der Sieg der katholischen Hierarchie hat mehr scheinbaren Glanz als wirklichen Wert, sei es kirchlichen, sei es gar religiösen Wert. Denn die Verwüstungen waren arg, ihre wirkliche Ursache wird, auch den Katholiken, nicht immer ver¬ borgen bleiben und nicht als Saat der Ehrfurcht wirken, das Stigmcitisiren der „Auchkatholikeu" wird sich noch einmal verdientermaßen rächen, und wenn auch einstweilen die Einmütigkeit des Laienelements mit den Kirchenobern noch zu wachsen scheint, so ist doch seine feste Zusammenfassung unter eignen Häuptern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/257>, abgerufen am 12.12.2024.