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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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gewissen Stolz nur der Teil, der am wenigsten ans Renommiren denkt und
nur immer wieder vorgeschoben wird. Wir meinen die niedere Geistlichkeit,
die zu leiden gehabt hat, und noch mehr die vielen lange verwaisten Gemeinden.
Sie haben in der That Begeisterung, Opfermut und Treue bewiesen. Wir
freuen uns über diese Eigenschaften auch bei den Gegnern und sehen darin
einesteils einen versöhnenden Zug, andernteils eine Gewähr für die Zukunft.
Das letzte namentlich dann, wenn das kirchliche Interesse, das durch den
Kulturkampf unzweifelhaft erhöht worden ist und manche bisher gleichgiltigen
Kreise ergriffen hat, darauf geleitet wird, die Quelle, aus der diese Eigen¬
schaften den Hauptzufluß erhalten, das regelmäßige Leben und Wirken der
katholischen Kirche, unmittelbar kennen und dadurch schätzen zu lernen.

Für den Ausfall der Kraftprobe war natürlich das größere Wohlwollen des
Staats ein Element der Schwäche, ein Bundesgenosse seiner Gegner. Das landes-
vüterliche Herz unsers alten Kaisers litt unter der Seelennot seiner katholischen
Unterthanen mit. Es war ja nicht die Aufstellung, sondern die Mißachtung
der Anzeigepflicht, die die Verwüstungen angerichtet hatte und steigerte, aber
die Verwüstungen waren da und beschwerten das Gemüt des Herrschers mehr
als Rechthaberei, während die Gottesstreiter mehr den Vorteil berechneten, der
daraus für die Austragung des Streites in ihrem Sinne erwuchs. Dieses
Verhältnis der Gemütsbetciligung ist bis zum Friedensschluß, bis zum "Gang
nach Kanossa" unverändert geblieben; es ist wiederum dasselbe, das wir schon
konstatirt haben: auf Seiten der katholischen Führer weniger, auf Seiten des
Staats mehr Wohlwollen und Herzensanteil an der Gewissensnot der betroffnen
Katholiken, die Umkehrung des natürlichen Verhältnisses. Daß daran auch
Fürst Bismarck, und in derselben Weise wie sein kaiserlicher Herr, mit dein
Gemüt teilgenommen hat, weiß jeder, der die vom echtesten und tiefsten
Christentum erfüllten Briefe gelesen hat, die Bismarck an seinen Schwager, als
diesem ein Sohn gestorben war, und bei einer andern Gelegenheit an Andre
von Roman geschrieben hat; die Ultramontanen richten auch hier nach einem
andern Maßstab, nach dem etwa, den sie an das "unkirchliche" Sterben Bis-
marcks anlegen, und nach der Art, wie sich bei ihnen das Schillersche Wort
abspiegelt: Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.

Neben dem Mitgefühl machten sich, je länger je mehr, aus Seiten der Staats¬
regierung noch andre Rücksichten für den Wunsch geltend, durch Verständigung und
Nachgeben zum Frieden oder, um bismarckisch zu reden, zu einem Waffenstill¬
stande zu gelangen. Die Gefolgschaft, mit der die Regierung den Kulturkampf
führte, bestand wesentlich aus Parteien, die ihre Sonderzwecke immer höher
stellten und außerdem großenteils religiös gleichgiltig oder gar kirchenfeindlich
waren; Glaubenskümpfe aber -- dazu war der Kulturkampf für die meisten
Katholiken geworden infolge der verhängnisvollen Entwicklung, die wir dar¬
zulegen versucht haben --, Glaubenskämpfe schlägt man nur mit Hilfe von


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gewissen Stolz nur der Teil, der am wenigsten ans Renommiren denkt und
nur immer wieder vorgeschoben wird. Wir meinen die niedere Geistlichkeit,
die zu leiden gehabt hat, und noch mehr die vielen lange verwaisten Gemeinden.
Sie haben in der That Begeisterung, Opfermut und Treue bewiesen. Wir
freuen uns über diese Eigenschaften auch bei den Gegnern und sehen darin
einesteils einen versöhnenden Zug, andernteils eine Gewähr für die Zukunft.
Das letzte namentlich dann, wenn das kirchliche Interesse, das durch den
Kulturkampf unzweifelhaft erhöht worden ist und manche bisher gleichgiltigen
Kreise ergriffen hat, darauf geleitet wird, die Quelle, aus der diese Eigen¬
schaften den Hauptzufluß erhalten, das regelmäßige Leben und Wirken der
katholischen Kirche, unmittelbar kennen und dadurch schätzen zu lernen.

Für den Ausfall der Kraftprobe war natürlich das größere Wohlwollen des
Staats ein Element der Schwäche, ein Bundesgenosse seiner Gegner. Das landes-
vüterliche Herz unsers alten Kaisers litt unter der Seelennot seiner katholischen
Unterthanen mit. Es war ja nicht die Aufstellung, sondern die Mißachtung
der Anzeigepflicht, die die Verwüstungen angerichtet hatte und steigerte, aber
die Verwüstungen waren da und beschwerten das Gemüt des Herrschers mehr
als Rechthaberei, während die Gottesstreiter mehr den Vorteil berechneten, der
daraus für die Austragung des Streites in ihrem Sinne erwuchs. Dieses
Verhältnis der Gemütsbetciligung ist bis zum Friedensschluß, bis zum „Gang
nach Kanossa" unverändert geblieben; es ist wiederum dasselbe, das wir schon
konstatirt haben: auf Seiten der katholischen Führer weniger, auf Seiten des
Staats mehr Wohlwollen und Herzensanteil an der Gewissensnot der betroffnen
Katholiken, die Umkehrung des natürlichen Verhältnisses. Daß daran auch
Fürst Bismarck, und in derselben Weise wie sein kaiserlicher Herr, mit dein
Gemüt teilgenommen hat, weiß jeder, der die vom echtesten und tiefsten
Christentum erfüllten Briefe gelesen hat, die Bismarck an seinen Schwager, als
diesem ein Sohn gestorben war, und bei einer andern Gelegenheit an Andre
von Roman geschrieben hat; die Ultramontanen richten auch hier nach einem
andern Maßstab, nach dem etwa, den sie an das „unkirchliche" Sterben Bis-
marcks anlegen, und nach der Art, wie sich bei ihnen das Schillersche Wort
abspiegelt: Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.

Neben dem Mitgefühl machten sich, je länger je mehr, aus Seiten der Staats¬
regierung noch andre Rücksichten für den Wunsch geltend, durch Verständigung und
Nachgeben zum Frieden oder, um bismarckisch zu reden, zu einem Waffenstill¬
stande zu gelangen. Die Gefolgschaft, mit der die Regierung den Kulturkampf
führte, bestand wesentlich aus Parteien, die ihre Sonderzwecke immer höher
stellten und außerdem großenteils religiös gleichgiltig oder gar kirchenfeindlich
waren; Glaubenskümpfe aber — dazu war der Kulturkampf für die meisten
Katholiken geworden infolge der verhängnisvollen Entwicklung, die wir dar¬
zulegen versucht haben —, Glaubenskämpfe schlägt man nur mit Hilfe von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/256>, abgerufen am 24.07.2024.