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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

den besten aller Zustände in der besten aller Welten sehen, so macht unser
Autor schon darauf aufmerksam, daß vielleicht eine Zeit kommen wird, wo
wir zu der Einsicht gelangen, daß bei der unabsehbaren Steigerung der
Produktion, die eine ungünstige Verteilung des Nationaleinkommens und Ver¬
mögens zur Grundlage hat, und die notwendigerweise eine immer ungünstigere
Verteilung zur Folge haben muß, eben auch kein Segen ist; daß die Regie¬
rungen wenigstens ganz und gar nicht berufen sind, das Gewicht ihrer Macht
und ihres Ansehens in die Wagschale zu legen, um die wirtschaftliche Thätig¬
keit der Völker in solche Bahnen zu lenken. Auf Grund einer billigen Ver¬
teilung des Einkommens sind vor allem energisch strebender Sinn, allgemeine
Gesittung und das Bewußtsein menschlicher Würde zu pflegen. Die Lösung
der Spannung, die wir heute, ein halbes Jahrhundert spater, allgemein als
krankhaft empfinden, kann Bernhardt nur in einer bessern Verteilung des
nationalen Einkommens, die dem Markt im Innern einen veränderten Charakter
und eine gleichgewichtige Haltung gäbe, erkennen. Freie Einfuhr billigen Ge¬
treides und weiteres Hetzen nach Exportproduktion allein wird ausdrücklich
verworfen. Am Schluß der Kritik der Reinertragslehre nimmt Bernhardi in
geradezu prophetischer Weise die Entwicklung der sozialistischen Theorie, wie
sie seither stattgefunden hat, samt ihren Folgen vorweg. Der Stand der
Geldreichen -- sagt er --, seine Männer der Wissenschaft an der Spitze, rück¬
sichtslos auf sein Ziel losschreitend sieht nicht, daß sich hinter ihm eine feind¬
liche Partei drohend erhebt, von der man erwarten darf, daß sie ganz anders
leidenschaftlich und zerstörend auftreten wird, und daß er selbst es ist, der
diesen gefährlichen Feinden die Waffen schmiedet. Gerade auf die Lehren
Ricardos und MeCullochs können sich die Fanatiker berufen und sagen:
Wenn die Grundrente ein Unheil und eine Ungerechtigkeit ist, wie ihr
sagt, wenn es also kein Grundeigentum geben muß, warum soll uns das
Kapital heiliger sein als der Grundbesitz, die Kapitalrente heiliger als die
Grundrente? Wodurch entsteht die Kapitalrente? Nach eurer eignen Lehre
dadurch, daß der Arbeiter seine Arbeit nicht nach ihrem vollen Werte bezahlt
erhält. Neue Kapitale werden auf Kosten der Arbeiter gespart, denen allein
fällt die Entsagung, die Ersparung neuer Kapitalien zu. Ist aber das Kapital
auf Kosten der Arbeiter gespart, so muß es auch zu ihrem Vorteil und für
ehre Rechnung genützt werden.

Das seit dem Erscheinen des Buchs verflossene halbe Jahrhundert hat
über die Richtigkeit der Prophezeiung keinen Zweifel mehr gelassen; wir
können es heute nur aus der damaligen Macht und dem Einfluß der gegnerischen
Interessen erklaren, wenn das Buch nicht die seiner Bedeutung entsprechende
Würdigung gefunden hat. Mit Ausrufen zur Sammlung kommen wir der
Notlage nicht an die Wurzel; wir glauben, daß Bernhardi mit seiner Kritik
der Reinertragslehre den Weg positiver Maßnahmen richtig bezeichnet hat.


Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

den besten aller Zustände in der besten aller Welten sehen, so macht unser
Autor schon darauf aufmerksam, daß vielleicht eine Zeit kommen wird, wo
wir zu der Einsicht gelangen, daß bei der unabsehbaren Steigerung der
Produktion, die eine ungünstige Verteilung des Nationaleinkommens und Ver¬
mögens zur Grundlage hat, und die notwendigerweise eine immer ungünstigere
Verteilung zur Folge haben muß, eben auch kein Segen ist; daß die Regie¬
rungen wenigstens ganz und gar nicht berufen sind, das Gewicht ihrer Macht
und ihres Ansehens in die Wagschale zu legen, um die wirtschaftliche Thätig¬
keit der Völker in solche Bahnen zu lenken. Auf Grund einer billigen Ver¬
teilung des Einkommens sind vor allem energisch strebender Sinn, allgemeine
Gesittung und das Bewußtsein menschlicher Würde zu pflegen. Die Lösung
der Spannung, die wir heute, ein halbes Jahrhundert spater, allgemein als
krankhaft empfinden, kann Bernhardt nur in einer bessern Verteilung des
nationalen Einkommens, die dem Markt im Innern einen veränderten Charakter
und eine gleichgewichtige Haltung gäbe, erkennen. Freie Einfuhr billigen Ge¬
treides und weiteres Hetzen nach Exportproduktion allein wird ausdrücklich
verworfen. Am Schluß der Kritik der Reinertragslehre nimmt Bernhardi in
geradezu prophetischer Weise die Entwicklung der sozialistischen Theorie, wie
sie seither stattgefunden hat, samt ihren Folgen vorweg. Der Stand der
Geldreichen — sagt er —, seine Männer der Wissenschaft an der Spitze, rück¬
sichtslos auf sein Ziel losschreitend sieht nicht, daß sich hinter ihm eine feind¬
liche Partei drohend erhebt, von der man erwarten darf, daß sie ganz anders
leidenschaftlich und zerstörend auftreten wird, und daß er selbst es ist, der
diesen gefährlichen Feinden die Waffen schmiedet. Gerade auf die Lehren
Ricardos und MeCullochs können sich die Fanatiker berufen und sagen:
Wenn die Grundrente ein Unheil und eine Ungerechtigkeit ist, wie ihr
sagt, wenn es also kein Grundeigentum geben muß, warum soll uns das
Kapital heiliger sein als der Grundbesitz, die Kapitalrente heiliger als die
Grundrente? Wodurch entsteht die Kapitalrente? Nach eurer eignen Lehre
dadurch, daß der Arbeiter seine Arbeit nicht nach ihrem vollen Werte bezahlt
erhält. Neue Kapitale werden auf Kosten der Arbeiter gespart, denen allein
fällt die Entsagung, die Ersparung neuer Kapitalien zu. Ist aber das Kapital
auf Kosten der Arbeiter gespart, so muß es auch zu ihrem Vorteil und für
ehre Rechnung genützt werden.

Das seit dem Erscheinen des Buchs verflossene halbe Jahrhundert hat
über die Richtigkeit der Prophezeiung keinen Zweifel mehr gelassen; wir
können es heute nur aus der damaligen Macht und dem Einfluß der gegnerischen
Interessen erklaren, wenn das Buch nicht die seiner Bedeutung entsprechende
Würdigung gefunden hat. Mit Ausrufen zur Sammlung kommen wir der
Notlage nicht an die Wurzel; wir glauben, daß Bernhardi mit seiner Kritik
der Reinertragslehre den Weg positiver Maßnahmen richtig bezeichnet hat.


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[0248] Theodor von Bernhard! als Nationalökonom den besten aller Zustände in der besten aller Welten sehen, so macht unser Autor schon darauf aufmerksam, daß vielleicht eine Zeit kommen wird, wo wir zu der Einsicht gelangen, daß bei der unabsehbaren Steigerung der Produktion, die eine ungünstige Verteilung des Nationaleinkommens und Ver¬ mögens zur Grundlage hat, und die notwendigerweise eine immer ungünstigere Verteilung zur Folge haben muß, eben auch kein Segen ist; daß die Regie¬ rungen wenigstens ganz und gar nicht berufen sind, das Gewicht ihrer Macht und ihres Ansehens in die Wagschale zu legen, um die wirtschaftliche Thätig¬ keit der Völker in solche Bahnen zu lenken. Auf Grund einer billigen Ver¬ teilung des Einkommens sind vor allem energisch strebender Sinn, allgemeine Gesittung und das Bewußtsein menschlicher Würde zu pflegen. Die Lösung der Spannung, die wir heute, ein halbes Jahrhundert spater, allgemein als krankhaft empfinden, kann Bernhardt nur in einer bessern Verteilung des nationalen Einkommens, die dem Markt im Innern einen veränderten Charakter und eine gleichgewichtige Haltung gäbe, erkennen. Freie Einfuhr billigen Ge¬ treides und weiteres Hetzen nach Exportproduktion allein wird ausdrücklich verworfen. Am Schluß der Kritik der Reinertragslehre nimmt Bernhardi in geradezu prophetischer Weise die Entwicklung der sozialistischen Theorie, wie sie seither stattgefunden hat, samt ihren Folgen vorweg. Der Stand der Geldreichen — sagt er —, seine Männer der Wissenschaft an der Spitze, rück¬ sichtslos auf sein Ziel losschreitend sieht nicht, daß sich hinter ihm eine feind¬ liche Partei drohend erhebt, von der man erwarten darf, daß sie ganz anders leidenschaftlich und zerstörend auftreten wird, und daß er selbst es ist, der diesen gefährlichen Feinden die Waffen schmiedet. Gerade auf die Lehren Ricardos und MeCullochs können sich die Fanatiker berufen und sagen: Wenn die Grundrente ein Unheil und eine Ungerechtigkeit ist, wie ihr sagt, wenn es also kein Grundeigentum geben muß, warum soll uns das Kapital heiliger sein als der Grundbesitz, die Kapitalrente heiliger als die Grundrente? Wodurch entsteht die Kapitalrente? Nach eurer eignen Lehre dadurch, daß der Arbeiter seine Arbeit nicht nach ihrem vollen Werte bezahlt erhält. Neue Kapitale werden auf Kosten der Arbeiter gespart, denen allein fällt die Entsagung, die Ersparung neuer Kapitalien zu. Ist aber das Kapital auf Kosten der Arbeiter gespart, so muß es auch zu ihrem Vorteil und für ehre Rechnung genützt werden. Das seit dem Erscheinen des Buchs verflossene halbe Jahrhundert hat über die Richtigkeit der Prophezeiung keinen Zweifel mehr gelassen; wir können es heute nur aus der damaligen Macht und dem Einfluß der gegnerischen Interessen erklaren, wenn das Buch nicht die seiner Bedeutung entsprechende Würdigung gefunden hat. Mit Ausrufen zur Sammlung kommen wir der Notlage nicht an die Wurzel; wir glauben, daß Bernhardi mit seiner Kritik der Reinertragslehre den Weg positiver Maßnahmen richtig bezeichnet hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/248>, abgerufen am 04.07.2024.