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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

fügig zu zeigen. Die Grundherren sind ein bloßer Ballast, die arbeitenden
Klassen Werkzeug, der Stand der Gewerbsherren und Kapitalisten ist die eigent¬
liche Nation, wem anders kann also die politische Herrschaft gebühren?

Der Kapitalist kauft für sein Geld seinen Bedarf an Sicherheit nach außen
und innen, er rechnet die Steuern dafür seinen Produktionskosten zu. Natürlich
sind Güter wie nationale Unabhängigkeit und Macht, Rechtspflege und all¬
gemeine Bildung als dem Erwerb dienstbar gedacht und erscheinen daher als
bezahlte Hilfsmächte der Kapitalsproduktion. Ursprung und Entwicklung dieser
Anschauung, sowie ihr Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Ge¬
sellschaft sind ihr an die Stirn geschrieben. Es ist die Entwicklung des tisr8
stat; dieser ist in dem Maße gestiegen, als der Geldreichtum sich dem Land¬
eigentum genähert und es überwogen hat, und Geldsteuern die persönlichen
Dienste und die Naturalabgaben verdrängten. Die ganze Anschauung ist nichts
andres als die Umschreibung der berühmten Sieyesschen Antwort auf seine
Frage: Was ist der tisrs stg-t,? Bisher war er nichts, in Wirklichkeit ist er
alles in allem!") Und mit dieser Übertreibung und Überhebung gerät er natür¬
lich in Gegensatz zu den allgemeinen Interessen und fordert den Widerspruch der
andern Interessenten heraus.

Giebt man erst zu, daß das Nationalvermögen im Reingewinn besteht, so
läßt sich kaum viel gegen die Folgerungen einwenden. Nun macht aber schon
Bernhardt geltend, daß diese Auffassung falsch ist, daß es der Rohgewinn und
seine gerechte Verteilung ist, worauf die Schätzung des Nationalvermögens
fußen muß, und daß es dabei auf die Befähigung eines Volks ankomme,
sowohl das von der Natur gegebne, wie das dadurch und dazu erworbne
Stammvermögen mit voller Energie und entsprechender Intelligenz zu benutzen.
Ohnedies kann sich die Gesellschaft zwar vermehren, niemals aber das gesell¬
schaftliche Leben sich zu eiuer höhern Stufe gesitteten Daseins erheben. Und
dies ist eben die Hauptsache von allem!

Bei sehr ungleicher Verteilung des Vermögens vermag die inländische
Produktion gewiß nicht unmittelbar dem Bedürfnis der Verzehrer zu entsprechen,
sie ist vielmehr notwendig darauf angewiesen, für die Fremde zu arbeiten,
wahrscheinlich um von dort Gegenstände herbeizuschaffen, die als fremd und
kostbar dem Luxus genehm sind und der Geldeitelkeit Mittel bieten, den vor-
handnen Reichtum zur Schau zu tragen.

Wenn die Engländer in einem auf das äußerste gesteigerten Fabrikwesen



Auch Sieues teilt die produzirenden Klassen der Nation in Personell, die beschäftigt
sind 1, bei der Urproduktion, 2, den Gewerben, 3, dem Handel und 4, den Arbeiten und
Diensten für den unmittelbaren Nutzen oder die Annehmlichkeit der Person. Diese vierte Klasse
umfaßt, wie er hinzufügt, alle Berufsarten, von den höchsten der Wissenschaft und Kunst bis
zu den geringsten häuslichen Diensten -- also Kant und Goethe, Dürer und Mozart, die
Humboldts und Grimms ebenso wie Lakaien, Reitknechte, Barbiere und Stiefelputzer.
Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

fügig zu zeigen. Die Grundherren sind ein bloßer Ballast, die arbeitenden
Klassen Werkzeug, der Stand der Gewerbsherren und Kapitalisten ist die eigent¬
liche Nation, wem anders kann also die politische Herrschaft gebühren?

Der Kapitalist kauft für sein Geld seinen Bedarf an Sicherheit nach außen
und innen, er rechnet die Steuern dafür seinen Produktionskosten zu. Natürlich
sind Güter wie nationale Unabhängigkeit und Macht, Rechtspflege und all¬
gemeine Bildung als dem Erwerb dienstbar gedacht und erscheinen daher als
bezahlte Hilfsmächte der Kapitalsproduktion. Ursprung und Entwicklung dieser
Anschauung, sowie ihr Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Ge¬
sellschaft sind ihr an die Stirn geschrieben. Es ist die Entwicklung des tisr8
stat; dieser ist in dem Maße gestiegen, als der Geldreichtum sich dem Land¬
eigentum genähert und es überwogen hat, und Geldsteuern die persönlichen
Dienste und die Naturalabgaben verdrängten. Die ganze Anschauung ist nichts
andres als die Umschreibung der berühmten Sieyesschen Antwort auf seine
Frage: Was ist der tisrs stg-t,? Bisher war er nichts, in Wirklichkeit ist er
alles in allem!") Und mit dieser Übertreibung und Überhebung gerät er natür¬
lich in Gegensatz zu den allgemeinen Interessen und fordert den Widerspruch der
andern Interessenten heraus.

Giebt man erst zu, daß das Nationalvermögen im Reingewinn besteht, so
läßt sich kaum viel gegen die Folgerungen einwenden. Nun macht aber schon
Bernhardt geltend, daß diese Auffassung falsch ist, daß es der Rohgewinn und
seine gerechte Verteilung ist, worauf die Schätzung des Nationalvermögens
fußen muß, und daß es dabei auf die Befähigung eines Volks ankomme,
sowohl das von der Natur gegebne, wie das dadurch und dazu erworbne
Stammvermögen mit voller Energie und entsprechender Intelligenz zu benutzen.
Ohnedies kann sich die Gesellschaft zwar vermehren, niemals aber das gesell¬
schaftliche Leben sich zu eiuer höhern Stufe gesitteten Daseins erheben. Und
dies ist eben die Hauptsache von allem!

Bei sehr ungleicher Verteilung des Vermögens vermag die inländische
Produktion gewiß nicht unmittelbar dem Bedürfnis der Verzehrer zu entsprechen,
sie ist vielmehr notwendig darauf angewiesen, für die Fremde zu arbeiten,
wahrscheinlich um von dort Gegenstände herbeizuschaffen, die als fremd und
kostbar dem Luxus genehm sind und der Geldeitelkeit Mittel bieten, den vor-
handnen Reichtum zur Schau zu tragen.

Wenn die Engländer in einem auf das äußerste gesteigerten Fabrikwesen



Auch Sieues teilt die produzirenden Klassen der Nation in Personell, die beschäftigt
sind 1, bei der Urproduktion, 2, den Gewerben, 3, dem Handel und 4, den Arbeiten und
Diensten für den unmittelbaren Nutzen oder die Annehmlichkeit der Person. Diese vierte Klasse
umfaßt, wie er hinzufügt, alle Berufsarten, von den höchsten der Wissenschaft und Kunst bis
zu den geringsten häuslichen Diensten — also Kant und Goethe, Dürer und Mozart, die
Humboldts und Grimms ebenso wie Lakaien, Reitknechte, Barbiere und Stiefelputzer.
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[0247] Theodor von Bernhardt als Nationalökonom fügig zu zeigen. Die Grundherren sind ein bloßer Ballast, die arbeitenden Klassen Werkzeug, der Stand der Gewerbsherren und Kapitalisten ist die eigent¬ liche Nation, wem anders kann also die politische Herrschaft gebühren? Der Kapitalist kauft für sein Geld seinen Bedarf an Sicherheit nach außen und innen, er rechnet die Steuern dafür seinen Produktionskosten zu. Natürlich sind Güter wie nationale Unabhängigkeit und Macht, Rechtspflege und all¬ gemeine Bildung als dem Erwerb dienstbar gedacht und erscheinen daher als bezahlte Hilfsmächte der Kapitalsproduktion. Ursprung und Entwicklung dieser Anschauung, sowie ihr Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Ge¬ sellschaft sind ihr an die Stirn geschrieben. Es ist die Entwicklung des tisr8 stat; dieser ist in dem Maße gestiegen, als der Geldreichtum sich dem Land¬ eigentum genähert und es überwogen hat, und Geldsteuern die persönlichen Dienste und die Naturalabgaben verdrängten. Die ganze Anschauung ist nichts andres als die Umschreibung der berühmten Sieyesschen Antwort auf seine Frage: Was ist der tisrs stg-t,? Bisher war er nichts, in Wirklichkeit ist er alles in allem!") Und mit dieser Übertreibung und Überhebung gerät er natür¬ lich in Gegensatz zu den allgemeinen Interessen und fordert den Widerspruch der andern Interessenten heraus. Giebt man erst zu, daß das Nationalvermögen im Reingewinn besteht, so läßt sich kaum viel gegen die Folgerungen einwenden. Nun macht aber schon Bernhardt geltend, daß diese Auffassung falsch ist, daß es der Rohgewinn und seine gerechte Verteilung ist, worauf die Schätzung des Nationalvermögens fußen muß, und daß es dabei auf die Befähigung eines Volks ankomme, sowohl das von der Natur gegebne, wie das dadurch und dazu erworbne Stammvermögen mit voller Energie und entsprechender Intelligenz zu benutzen. Ohnedies kann sich die Gesellschaft zwar vermehren, niemals aber das gesell¬ schaftliche Leben sich zu eiuer höhern Stufe gesitteten Daseins erheben. Und dies ist eben die Hauptsache von allem! Bei sehr ungleicher Verteilung des Vermögens vermag die inländische Produktion gewiß nicht unmittelbar dem Bedürfnis der Verzehrer zu entsprechen, sie ist vielmehr notwendig darauf angewiesen, für die Fremde zu arbeiten, wahrscheinlich um von dort Gegenstände herbeizuschaffen, die als fremd und kostbar dem Luxus genehm sind und der Geldeitelkeit Mittel bieten, den vor- handnen Reichtum zur Schau zu tragen. Wenn die Engländer in einem auf das äußerste gesteigerten Fabrikwesen Auch Sieues teilt die produzirenden Klassen der Nation in Personell, die beschäftigt sind 1, bei der Urproduktion, 2, den Gewerben, 3, dem Handel und 4, den Arbeiten und Diensten für den unmittelbaren Nutzen oder die Annehmlichkeit der Person. Diese vierte Klasse umfaßt, wie er hinzufügt, alle Berufsarten, von den höchsten der Wissenschaft und Kunst bis zu den geringsten häuslichen Diensten — also Kant und Goethe, Dürer und Mozart, die Humboldts und Grimms ebenso wie Lakaien, Reitknechte, Barbiere und Stiefelputzer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/247>, abgerufen am 12.12.2024.