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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Aaiserfahrt nach dem Grient

150 Millionen Franken geschaffen haben, und das schon jetzt einen Park von
50 Lokomotiven und 1450 Wagen unterhält. Schon ist die Konzession zum
Weiterbau bis Cäsarea unweit des Taurus erteilt, und die Zeit darf nicht mehr
fern sein, wo die deutschen Schienenstränge den obern Euphrat erreichen und der
kürzeste Weg nach Indien in den Händen einer deutschen Unternehmung liegt.
Und wie hier die Deutschen die verschütteten uralten Verkehrsstraßen wieder
beleben und diese verödeten Kulturlande wieder in die Kreise des Weltverkehrs
hereinziehen, so haben sie seit 1880 die türkische Armee in ihre Schule ge¬
nommen und sie zu einer leistungsfähigen, vorzüglichen Truppe umgebildet,
die 1897 mit Leichtigkeit den übereilten, schlecht vorbereiteten Angriff der
Griechen zurückwarf und auch einem weit stürkern Gegner einen ganz andern
Widerstand entgegensetzen würde, als den doch auch schon recht schwer über-
windlichen von 1877 und 1878. Dazu kommt der Aufschwung in der Einfuhr
deutscher Waren, der z. B. im Waffenhandel die englische Industrie fast gänzlich
verdrängt hat.

Woher diese Erfolge, an denen die Diplomatie doch nur einen helfenden
und fördernden, keineswegs den entscheidenden Anteil hat? Wir verdanken sie
der deutschen Redlichkeit, Arbeitsamkeit und Pflichttreue. Wir wollen nicht
erobern und nicht durch unsaubre Wühlarbeit das türkische Reich untergraben;
wir wollen zu seinem und unserm Vorteil seine wirtschaftlichen und militä¬
rischen Kräfte entwickeln, damit es sich behaupten kann, was um so eher
möglich sein wird, wenn sein Umfang sich auf die wesentlich von Mohamme¬
danern bewohnten Länder beschränkt. Das ist die einzige vernünftige Lösung
der unsterblichen orientalischen Frage, denn nur ein starker Staat kann dieses
Völkergeschiebe zusammenhalten, ein wirklich nationales Reich ist hier unmög¬
lich, und wir Deutschen haben durchaus keinen Grund zu wünschen, daß diese
Länder das Anhängsel einer alles verschlingenden Weltmacht werden. Ob die
Türkei die ihr jetzt geöffneten Wege entschlossen betreten und bis zum Ziele
verfolgen wird, das hängt freilich von ihr selbst ab, vor allem von der Mög¬
lichkeit, ihre verlotterte Verwaltung zu reformiren. Was für uns selbst weiter
zu erstreben ist, das mögen im einzelnen Sachkenner, Geschäftsleute und Staats¬
männer beurteilen. Uns will scheinen, als wenn das Wichtigste nicht die Er¬
werbung einer Kohlenstation wäre, so wünschenswert diese an sich auch sein
mag, sondern die Vermehrung der deutschen Schulen auch für die Eingebornen.
um die Kenntnis der deutscheu Sprache möglichst zu verbreiten, die Erweite¬
rung und Vermehrung der Konzessionen für wirtschaftliche Unternehmungen,
also vor allem der Ausbau der anatolischen Bahnen, der schon in Aussicht ge-
uommue Handelshafen bei Haidar-Pascha (Skutari) und die Begründung weiterer
deutscher Ackerbaukolonicn unter Reichsschutz, die freilich feste Rechtsverhältnisse
voraussetzen, aber, wie das Beispiel der Templer beweist, solche doch auch er¬
langen können. Auch die Einrichtung deutscher Dampferverbindungen nach den


Die Aaiserfahrt nach dem Grient

150 Millionen Franken geschaffen haben, und das schon jetzt einen Park von
50 Lokomotiven und 1450 Wagen unterhält. Schon ist die Konzession zum
Weiterbau bis Cäsarea unweit des Taurus erteilt, und die Zeit darf nicht mehr
fern sein, wo die deutschen Schienenstränge den obern Euphrat erreichen und der
kürzeste Weg nach Indien in den Händen einer deutschen Unternehmung liegt.
Und wie hier die Deutschen die verschütteten uralten Verkehrsstraßen wieder
beleben und diese verödeten Kulturlande wieder in die Kreise des Weltverkehrs
hereinziehen, so haben sie seit 1880 die türkische Armee in ihre Schule ge¬
nommen und sie zu einer leistungsfähigen, vorzüglichen Truppe umgebildet,
die 1897 mit Leichtigkeit den übereilten, schlecht vorbereiteten Angriff der
Griechen zurückwarf und auch einem weit stürkern Gegner einen ganz andern
Widerstand entgegensetzen würde, als den doch auch schon recht schwer über-
windlichen von 1877 und 1878. Dazu kommt der Aufschwung in der Einfuhr
deutscher Waren, der z. B. im Waffenhandel die englische Industrie fast gänzlich
verdrängt hat.

Woher diese Erfolge, an denen die Diplomatie doch nur einen helfenden
und fördernden, keineswegs den entscheidenden Anteil hat? Wir verdanken sie
der deutschen Redlichkeit, Arbeitsamkeit und Pflichttreue. Wir wollen nicht
erobern und nicht durch unsaubre Wühlarbeit das türkische Reich untergraben;
wir wollen zu seinem und unserm Vorteil seine wirtschaftlichen und militä¬
rischen Kräfte entwickeln, damit es sich behaupten kann, was um so eher
möglich sein wird, wenn sein Umfang sich auf die wesentlich von Mohamme¬
danern bewohnten Länder beschränkt. Das ist die einzige vernünftige Lösung
der unsterblichen orientalischen Frage, denn nur ein starker Staat kann dieses
Völkergeschiebe zusammenhalten, ein wirklich nationales Reich ist hier unmög¬
lich, und wir Deutschen haben durchaus keinen Grund zu wünschen, daß diese
Länder das Anhängsel einer alles verschlingenden Weltmacht werden. Ob die
Türkei die ihr jetzt geöffneten Wege entschlossen betreten und bis zum Ziele
verfolgen wird, das hängt freilich von ihr selbst ab, vor allem von der Mög¬
lichkeit, ihre verlotterte Verwaltung zu reformiren. Was für uns selbst weiter
zu erstreben ist, das mögen im einzelnen Sachkenner, Geschäftsleute und Staats¬
männer beurteilen. Uns will scheinen, als wenn das Wichtigste nicht die Er¬
werbung einer Kohlenstation wäre, so wünschenswert diese an sich auch sein
mag, sondern die Vermehrung der deutschen Schulen auch für die Eingebornen.
um die Kenntnis der deutscheu Sprache möglichst zu verbreiten, die Erweite¬
rung und Vermehrung der Konzessionen für wirtschaftliche Unternehmungen,
also vor allem der Ausbau der anatolischen Bahnen, der schon in Aussicht ge-
uommue Handelshafen bei Haidar-Pascha (Skutari) und die Begründung weiterer
deutscher Ackerbaukolonicn unter Reichsschutz, die freilich feste Rechtsverhältnisse
voraussetzen, aber, wie das Beispiel der Templer beweist, solche doch auch er¬
langen können. Auch die Einrichtung deutscher Dampferverbindungen nach den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/238>, abgerufen am 12.12.2024.