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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Kaiserfahrt nach dem Grient

Selbst wenn sich die Bedeutung der Kaiserreise darauf beschränkte, Ware
sie groß genug. Aber sie geht weit darüber hinaus. Denn sie ist nichts
Geringeres als die nachdrückliche Ankündigung, daß Deutschland in die Reihe
der Mächte eingetreten ist, die einmal die Geschicke des türkischen Orients ent¬
scheiden werden. Es will nicht erobern, aber es fordert auch hier seinen
Platz an der Sonne. Und das beruht nicht auf irgendwelchem fürstlichen
Ehrgeiz, sondern auf einer langen geduldigen, vielseitigen deutschen Kultur¬
arbeit von mehrern Jahrzehnten. Wir stehen heute ganz anders zum Morgen¬
lande als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren, und mag das Wort Fürst
Bismarcks von den Knochen des pommerschen Grenadiers auf Bulgarien noch
heute Anwendung finden, so kann es doch für den Orient überhaupt nicht
mehr gelten. Die Zeiten haben sich gewandelt. Wo auch das Kaiserpaar
erscheint, wird es von ansässigen deutschen Landsleuten begrüßt. Die deutschen
kirchlichen Institute beider Konfessionen im heiligen Lande haben den Anfang
gemacht, und die plötzliche Betonung des auf ganz andern, meist verschwuudnen
Voraussetzungen beruhenden französischen Protektorats, das im letzten Grunde
auf die Kreuzzüge, die AsstA tsi vor ?iAnoos zurückgeht und von Deutschland
natürlich mit Entschiedenheit zurückgewiesen wird, beweist am besten die Be¬
deutung dieser Stiftungen für die Stellung der Nationen, denen sie angehören,
im Orient. Daran aber haben sich im ganzen Morgenlande nicht nur Ge¬
meinden, Schulen und Krankenhäuser geschlossen, sondern noch etwas andres,
dessen sich kein andres Volk des Abendlandes dort rühmen kann, die blühenden
Ackerbaukolonien der württembergischen Templer (seit 1868) in Halfa, Jaffa,
Saron, Nantes, Nazareth, Beirut, Jerusalem (Rephaim), die 1884 insgesamt
schon 1300 Köpfe umschlossen, heute in Jerusalem allein 300 Köpfe zählen und
vor wenigen Jahren die Verwandlung ihres Grundbesitzes in freies Privat¬
eigentum (Müll) von der türkischen Negierung erlangt haben. "Wohin ich blicke,
sehe ich deutsche Kultur," hat kürzlich ein Franzose in Palästina geäußert,
"während ich in Jaffa nur vier Franzosen fand." Wenn der Kaiser jetzt in Halfa,
gegenüber der alten Kreuzfahrerfeste Mon, gelandet ist, wenn er von Jaffa
die Reise nach Jerusalem angetreten hat und hier lagert, wenn er von Beirut
nach Damaskus zieht und sich dort zur Heimreise einschifft, so hat er überall
auf deutschem Kolonialboden gestanden. Und wenn er von Konstantinopel aus
nach Haidar-Pascha bei Skutari und von dort auf der anatolischen Bahn
nach Hereke vor Jsmid, dem alten Nikomedia, fuhr, so umgaben ihn deutsche
Beamte und Unternehmer, trugen ihn deutsche Wagen auf deutschen Schienen.
Bis Angora und bis zur alten Sultausstadt Koma, wo einst vor mehr als
siebenhundert Jahren,, am 18. Mai 1189, Kaiser Friedrich Barbarossa seinen
letzten und glorreichsten Sieg erfocht, längs der Straßen, die einst die Kreuz¬
heere zogen, dehnt sich schon ein Eisenbahnnetz von mehr als 1000 Kilometern,
das deutsche Unternehmer erst seit zehn bis elf Jahren mit einem Kapital von


Die Kaiserfahrt nach dem Grient

Selbst wenn sich die Bedeutung der Kaiserreise darauf beschränkte, Ware
sie groß genug. Aber sie geht weit darüber hinaus. Denn sie ist nichts
Geringeres als die nachdrückliche Ankündigung, daß Deutschland in die Reihe
der Mächte eingetreten ist, die einmal die Geschicke des türkischen Orients ent¬
scheiden werden. Es will nicht erobern, aber es fordert auch hier seinen
Platz an der Sonne. Und das beruht nicht auf irgendwelchem fürstlichen
Ehrgeiz, sondern auf einer langen geduldigen, vielseitigen deutschen Kultur¬
arbeit von mehrern Jahrzehnten. Wir stehen heute ganz anders zum Morgen¬
lande als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren, und mag das Wort Fürst
Bismarcks von den Knochen des pommerschen Grenadiers auf Bulgarien noch
heute Anwendung finden, so kann es doch für den Orient überhaupt nicht
mehr gelten. Die Zeiten haben sich gewandelt. Wo auch das Kaiserpaar
erscheint, wird es von ansässigen deutschen Landsleuten begrüßt. Die deutschen
kirchlichen Institute beider Konfessionen im heiligen Lande haben den Anfang
gemacht, und die plötzliche Betonung des auf ganz andern, meist verschwuudnen
Voraussetzungen beruhenden französischen Protektorats, das im letzten Grunde
auf die Kreuzzüge, die AsstA tsi vor ?iAnoos zurückgeht und von Deutschland
natürlich mit Entschiedenheit zurückgewiesen wird, beweist am besten die Be¬
deutung dieser Stiftungen für die Stellung der Nationen, denen sie angehören,
im Orient. Daran aber haben sich im ganzen Morgenlande nicht nur Ge¬
meinden, Schulen und Krankenhäuser geschlossen, sondern noch etwas andres,
dessen sich kein andres Volk des Abendlandes dort rühmen kann, die blühenden
Ackerbaukolonien der württembergischen Templer (seit 1868) in Halfa, Jaffa,
Saron, Nantes, Nazareth, Beirut, Jerusalem (Rephaim), die 1884 insgesamt
schon 1300 Köpfe umschlossen, heute in Jerusalem allein 300 Köpfe zählen und
vor wenigen Jahren die Verwandlung ihres Grundbesitzes in freies Privat¬
eigentum (Müll) von der türkischen Negierung erlangt haben. „Wohin ich blicke,
sehe ich deutsche Kultur," hat kürzlich ein Franzose in Palästina geäußert,
„während ich in Jaffa nur vier Franzosen fand." Wenn der Kaiser jetzt in Halfa,
gegenüber der alten Kreuzfahrerfeste Mon, gelandet ist, wenn er von Jaffa
die Reise nach Jerusalem angetreten hat und hier lagert, wenn er von Beirut
nach Damaskus zieht und sich dort zur Heimreise einschifft, so hat er überall
auf deutschem Kolonialboden gestanden. Und wenn er von Konstantinopel aus
nach Haidar-Pascha bei Skutari und von dort auf der anatolischen Bahn
nach Hereke vor Jsmid, dem alten Nikomedia, fuhr, so umgaben ihn deutsche
Beamte und Unternehmer, trugen ihn deutsche Wagen auf deutschen Schienen.
Bis Angora und bis zur alten Sultausstadt Koma, wo einst vor mehr als
siebenhundert Jahren,, am 18. Mai 1189, Kaiser Friedrich Barbarossa seinen
letzten und glorreichsten Sieg erfocht, längs der Straßen, die einst die Kreuz¬
heere zogen, dehnt sich schon ein Eisenbahnnetz von mehr als 1000 Kilometern,
das deutsche Unternehmer erst seit zehn bis elf Jahren mit einem Kapital von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/237>, abgerufen am 04.07.2024.