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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Münchner Plaudereien

"Neigersdorf, du kommst heute zur Tafel, das bitt ich mir aus." Und später
bei der Tafel erhob der König plötzlich sein Glas und rief, dem Grafen zu¬
trinkend, mit lauter Stimme: "Reigersberg, du bist der ehrlichste Mann, den
ich bei Hofe habe." "Weißt du, sagte der Großvater später seinem Enkel, es
hätte doch weder mir noch euch Glück gebracht, wenn ich damals mir ein
paarmal hunderttausend Gulden angeeignet hätte. Wenn ihr auch weniger
erbt, das macht nichts." Als Antwort küßte ich, es war so bei uns Sitte,
dem alten Herrn die Hand, bemerkt der Verfasser.

Eine allerliebste Geschichte vom König Max. Dieser traf einst auf einem
Spaziergang bei Tegernsee einen Steinklopfer, der auf seinem umgekehrten
Karren sein Mittagbrot verzehrte, und rief: "Guten Appetit." "Sag Dank,
gnädiger Herr Kini! Mitgehalten?" Und der König setzte sich zu dem Manne
und aß von seinem Essen. Der aber kniete außer sich vor Freude nieder und
faltete die Hände: "Gnädiger Herr Kini, thun kann i für Ent nix als was
beten," und der König erwiderte: "Ja ja, bete fleißig für mich, ich will für
dich auch noch etwas andres thun." Dies andre war ein Gnadengehalt, das
dem Arbeiter bis an sein Lebensende zu teil wurde.

Erinnerungen an Karl Mathy. Er lernt ihn als Student 1843 in
Mannheim im Schwimmbade kennen, wird dann im April 1849 plötzlich in
München in ein Hotel bestellt, um dem nunmehrigen Abgesandten des Frank¬
furter Parlaments an König Max einen Bericht nach Frankfurt abfassen zu
helfen; der König hatte die ihm angebotne Kaiserkrone abgelehnt und sich bei
der Audienz mit einer Deputation von Münchner Bürgern umgeben, die wie
die Elefanten des Pyrrhus durch ihr Gebrüll den Reichsgesandten in Schrecken
versetzen sollten. Der Verfasser war damals noch Anhänger der Triasidee,
Mathy schon ganz für die preußische Spitze. Bekanntlich schloß der einstige
Oppositionsmann 1867 als Minister Baden an den Norddeutschen Bund an. --
Etwas aus dem Leben Lassalles. Der Verfasser war schon seit Anfang der
fünfziger Jahre bei den Dönniges Hausfreund und wurde später Helenens
Berater und Vertrauter, sodaß sie ihm vieles erzählte, was bisher nicht be¬
kannt geworden war. Lassalle wollte im Frühling 1863 mit etwas ganz be-
sonderm vor den zu berufenden allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß treten.
"Weißt du, sagte er zu Helene, wenn ich spreche, dann muß es durch Deutsch¬
land hallen wie ein Donnerschlag, mit Gewöhnlichen ist es da nicht gethan,
ich muß etwas Großartiges, Packendes hinausrufen, und, ich schäme mich, mir
fällt nichts ein." Er war in der That tagelang sehr niedergeschlagen, seine
Verehrerin zweifelte aber nicht, daß er das Richtige schon finden werde. Eines
Morgens trifft er sie, wie sie auf ihrem Fensterbrett ihre Sperlinge füttert,
deren täglich mehr werden, sodaß das allwöchentlich vermehrte Futter doch
nicht für alle reicht. "Es scheint, so wendet sie sich an Lassalle, als ob mein
Füttern nicht den Bedarf verringere, sondern nur die Zahl der Bedürftigen


Münchner Plaudereien

„Neigersdorf, du kommst heute zur Tafel, das bitt ich mir aus." Und später
bei der Tafel erhob der König plötzlich sein Glas und rief, dem Grafen zu¬
trinkend, mit lauter Stimme: „Reigersberg, du bist der ehrlichste Mann, den
ich bei Hofe habe." „Weißt du, sagte der Großvater später seinem Enkel, es
hätte doch weder mir noch euch Glück gebracht, wenn ich damals mir ein
paarmal hunderttausend Gulden angeeignet hätte. Wenn ihr auch weniger
erbt, das macht nichts." Als Antwort küßte ich, es war so bei uns Sitte,
dem alten Herrn die Hand, bemerkt der Verfasser.

Eine allerliebste Geschichte vom König Max. Dieser traf einst auf einem
Spaziergang bei Tegernsee einen Steinklopfer, der auf seinem umgekehrten
Karren sein Mittagbrot verzehrte, und rief: „Guten Appetit." „Sag Dank,
gnädiger Herr Kini! Mitgehalten?" Und der König setzte sich zu dem Manne
und aß von seinem Essen. Der aber kniete außer sich vor Freude nieder und
faltete die Hände: „Gnädiger Herr Kini, thun kann i für Ent nix als was
beten," und der König erwiderte: „Ja ja, bete fleißig für mich, ich will für
dich auch noch etwas andres thun." Dies andre war ein Gnadengehalt, das
dem Arbeiter bis an sein Lebensende zu teil wurde.

Erinnerungen an Karl Mathy. Er lernt ihn als Student 1843 in
Mannheim im Schwimmbade kennen, wird dann im April 1849 plötzlich in
München in ein Hotel bestellt, um dem nunmehrigen Abgesandten des Frank¬
furter Parlaments an König Max einen Bericht nach Frankfurt abfassen zu
helfen; der König hatte die ihm angebotne Kaiserkrone abgelehnt und sich bei
der Audienz mit einer Deputation von Münchner Bürgern umgeben, die wie
die Elefanten des Pyrrhus durch ihr Gebrüll den Reichsgesandten in Schrecken
versetzen sollten. Der Verfasser war damals noch Anhänger der Triasidee,
Mathy schon ganz für die preußische Spitze. Bekanntlich schloß der einstige
Oppositionsmann 1867 als Minister Baden an den Norddeutschen Bund an. —
Etwas aus dem Leben Lassalles. Der Verfasser war schon seit Anfang der
fünfziger Jahre bei den Dönniges Hausfreund und wurde später Helenens
Berater und Vertrauter, sodaß sie ihm vieles erzählte, was bisher nicht be¬
kannt geworden war. Lassalle wollte im Frühling 1863 mit etwas ganz be-
sonderm vor den zu berufenden allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß treten.
»Weißt du, sagte er zu Helene, wenn ich spreche, dann muß es durch Deutsch¬
land hallen wie ein Donnerschlag, mit Gewöhnlichen ist es da nicht gethan,
ich muß etwas Großartiges, Packendes hinausrufen, und, ich schäme mich, mir
fällt nichts ein." Er war in der That tagelang sehr niedergeschlagen, seine
Verehrerin zweifelte aber nicht, daß er das Richtige schon finden werde. Eines
Morgens trifft er sie, wie sie auf ihrem Fensterbrett ihre Sperlinge füttert,
deren täglich mehr werden, sodaß das allwöchentlich vermehrte Futter doch
nicht für alle reicht. „Es scheint, so wendet sie sich an Lassalle, als ob mein
Füttern nicht den Bedarf verringere, sondern nur die Zahl der Bedürftigen


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[0216] Münchner Plaudereien „Neigersdorf, du kommst heute zur Tafel, das bitt ich mir aus." Und später bei der Tafel erhob der König plötzlich sein Glas und rief, dem Grafen zu¬ trinkend, mit lauter Stimme: „Reigersberg, du bist der ehrlichste Mann, den ich bei Hofe habe." „Weißt du, sagte der Großvater später seinem Enkel, es hätte doch weder mir noch euch Glück gebracht, wenn ich damals mir ein paarmal hunderttausend Gulden angeeignet hätte. Wenn ihr auch weniger erbt, das macht nichts." Als Antwort küßte ich, es war so bei uns Sitte, dem alten Herrn die Hand, bemerkt der Verfasser. Eine allerliebste Geschichte vom König Max. Dieser traf einst auf einem Spaziergang bei Tegernsee einen Steinklopfer, der auf seinem umgekehrten Karren sein Mittagbrot verzehrte, und rief: „Guten Appetit." „Sag Dank, gnädiger Herr Kini! Mitgehalten?" Und der König setzte sich zu dem Manne und aß von seinem Essen. Der aber kniete außer sich vor Freude nieder und faltete die Hände: „Gnädiger Herr Kini, thun kann i für Ent nix als was beten," und der König erwiderte: „Ja ja, bete fleißig für mich, ich will für dich auch noch etwas andres thun." Dies andre war ein Gnadengehalt, das dem Arbeiter bis an sein Lebensende zu teil wurde. Erinnerungen an Karl Mathy. Er lernt ihn als Student 1843 in Mannheim im Schwimmbade kennen, wird dann im April 1849 plötzlich in München in ein Hotel bestellt, um dem nunmehrigen Abgesandten des Frank¬ furter Parlaments an König Max einen Bericht nach Frankfurt abfassen zu helfen; der König hatte die ihm angebotne Kaiserkrone abgelehnt und sich bei der Audienz mit einer Deputation von Münchner Bürgern umgeben, die wie die Elefanten des Pyrrhus durch ihr Gebrüll den Reichsgesandten in Schrecken versetzen sollten. Der Verfasser war damals noch Anhänger der Triasidee, Mathy schon ganz für die preußische Spitze. Bekanntlich schloß der einstige Oppositionsmann 1867 als Minister Baden an den Norddeutschen Bund an. — Etwas aus dem Leben Lassalles. Der Verfasser war schon seit Anfang der fünfziger Jahre bei den Dönniges Hausfreund und wurde später Helenens Berater und Vertrauter, sodaß sie ihm vieles erzählte, was bisher nicht be¬ kannt geworden war. Lassalle wollte im Frühling 1863 mit etwas ganz be- sonderm vor den zu berufenden allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß treten. »Weißt du, sagte er zu Helene, wenn ich spreche, dann muß es durch Deutsch¬ land hallen wie ein Donnerschlag, mit Gewöhnlichen ist es da nicht gethan, ich muß etwas Großartiges, Packendes hinausrufen, und, ich schäme mich, mir fällt nichts ein." Er war in der That tagelang sehr niedergeschlagen, seine Verehrerin zweifelte aber nicht, daß er das Richtige schon finden werde. Eines Morgens trifft er sie, wie sie auf ihrem Fensterbrett ihre Sperlinge füttert, deren täglich mehr werden, sodaß das allwöchentlich vermehrte Futter doch nicht für alle reicht. „Es scheint, so wendet sie sich an Lassalle, als ob mein Füttern nicht den Bedarf verringere, sondern nur die Zahl der Bedürftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/216>, abgerufen am 24.07.2024.