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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Münchner Plaudereien

als dieses haben sie auch in der Form nicht zu bieten, und nicht leicht etwas
so gehaltvolles. Zu einem solchen Buche gehören bevorzugte Lebensverhält¬
nisse. Den Verfasser führte die Stellung seiner Familie und sein eigner Weg
früh in die Nähe hochstehender Personen und geistig bedeutender Menschen.
Als Page am Hofe Ludwigs I. und dann als Student und Mitglied eines
Freundeskreises, aus dem lauter namhafte und im öffentlichen Leben anerkannte
Männer hervorgegangen sind, hatte er schon mehr gesehen und gehört, als den
meisten derartigen Plauderern überhaupt nahe zu treten pflegt. Seine Nei¬
gungen führten ihn demnächst zu sehr verschiednen ernsten Studiengebieten und
zu leichtern litterarischen Beschäftigungen, und der Staatsdienst brachte ihn
bald in schnellem Wechsel in wichtige Stellen, vom Richter und Staatsanwalt
zum Handelsgerichtsrat, vom Ministerialsekretür zum vortragenden Rat des
Ministers Hohenlohe, des jetzigen Reichskanzlers. Wer so marschirt und
überall die Augen offen hält, der kann wahrlich von allem, was er erlebte,
erzählen und wird viel neues und interessantes zu berichten haben von Zeit¬
geschichte und Politik, Litteratur und Kunst, Personen und Zuständen. Soziale
Fragen, Gesetzgebung und neues deutsches Recht, Gesellschaftsleben, Moden¬
wandlungen, geflügelte Worte, Münchner Lokalangelegenheiten und noch vielerlei
mehr zieht in buntem Wechsel an uns vorüber. Wir wählen einiges aus,
was in unsern Lesern das Verlangen nach dem reichhaltigen Buche er¬
wecken mag.

Graf Reigersberg, der Großvater des Verfassers von mütterlicher Seite,
war Minister unter Max Joseph und stand bei dem Könige in großer Gunst
wegen seines Freimuth und seiner Ehrlichkeit. Der König aß gern Käse und
hatte einmal für die Hoftafel Käseeis machen lassen. Als er die Anwesenden
über den Geschmack der ungewohnten Speise befragte und alle sich in Lobes¬
erhebungen ergingen, wandte er sich zuletzt an Reigersberg, der allein ge¬
schwiegen hatte, und der nun die Antwort gab: "Ja, wenn Majestät befehlen,
kann ich nur sagen; es schmeckt scheußlich." "Reigersberg, erwiderte der König,
du bist doch eigentlich ein Grobian (der König nannte seine Vertrauten du),
aber, setzte er hinzu, im Kreise herumblickend, der einzige, der die Wahrheit
sagt, es ist wirklich scheußlich." Ein andresmal als bei der Säkularisirung
des Klosterguts verschiedne Herren des Hofes Dotationen aus der Masse vorab
bekommen sollten, schob der König auch Reigersberg das Papier hin, damit
er sich mit einer bestimmten Summe eintrage. Als dieser sich weigerte, sagte
der König: "Was hast du denn wieder für Mucken, brauchst du kein Geld?"
"Das Geld gehört nicht Eurer Majestät persönlich, sondern es sind Staats¬
gelder, die nicht verschenkt werden können!" "So, aber der und der hat sich
doch hingeschrieben." "Majestät, das ist denen ihre Sache, ich bitte nach
meiner Überzeugung handeln zu dürfen." Der König wandte ihm mit einem
derben Ausruf den Rücken, kehrte sich dann noch einmal um und sagte:


Münchner Plaudereien

als dieses haben sie auch in der Form nicht zu bieten, und nicht leicht etwas
so gehaltvolles. Zu einem solchen Buche gehören bevorzugte Lebensverhält¬
nisse. Den Verfasser führte die Stellung seiner Familie und sein eigner Weg
früh in die Nähe hochstehender Personen und geistig bedeutender Menschen.
Als Page am Hofe Ludwigs I. und dann als Student und Mitglied eines
Freundeskreises, aus dem lauter namhafte und im öffentlichen Leben anerkannte
Männer hervorgegangen sind, hatte er schon mehr gesehen und gehört, als den
meisten derartigen Plauderern überhaupt nahe zu treten pflegt. Seine Nei¬
gungen führten ihn demnächst zu sehr verschiednen ernsten Studiengebieten und
zu leichtern litterarischen Beschäftigungen, und der Staatsdienst brachte ihn
bald in schnellem Wechsel in wichtige Stellen, vom Richter und Staatsanwalt
zum Handelsgerichtsrat, vom Ministerialsekretür zum vortragenden Rat des
Ministers Hohenlohe, des jetzigen Reichskanzlers. Wer so marschirt und
überall die Augen offen hält, der kann wahrlich von allem, was er erlebte,
erzählen und wird viel neues und interessantes zu berichten haben von Zeit¬
geschichte und Politik, Litteratur und Kunst, Personen und Zuständen. Soziale
Fragen, Gesetzgebung und neues deutsches Recht, Gesellschaftsleben, Moden¬
wandlungen, geflügelte Worte, Münchner Lokalangelegenheiten und noch vielerlei
mehr zieht in buntem Wechsel an uns vorüber. Wir wählen einiges aus,
was in unsern Lesern das Verlangen nach dem reichhaltigen Buche er¬
wecken mag.

Graf Reigersberg, der Großvater des Verfassers von mütterlicher Seite,
war Minister unter Max Joseph und stand bei dem Könige in großer Gunst
wegen seines Freimuth und seiner Ehrlichkeit. Der König aß gern Käse und
hatte einmal für die Hoftafel Käseeis machen lassen. Als er die Anwesenden
über den Geschmack der ungewohnten Speise befragte und alle sich in Lobes¬
erhebungen ergingen, wandte er sich zuletzt an Reigersberg, der allein ge¬
schwiegen hatte, und der nun die Antwort gab: „Ja, wenn Majestät befehlen,
kann ich nur sagen; es schmeckt scheußlich." „Reigersberg, erwiderte der König,
du bist doch eigentlich ein Grobian (der König nannte seine Vertrauten du),
aber, setzte er hinzu, im Kreise herumblickend, der einzige, der die Wahrheit
sagt, es ist wirklich scheußlich." Ein andresmal als bei der Säkularisirung
des Klosterguts verschiedne Herren des Hofes Dotationen aus der Masse vorab
bekommen sollten, schob der König auch Reigersberg das Papier hin, damit
er sich mit einer bestimmten Summe eintrage. Als dieser sich weigerte, sagte
der König: „Was hast du denn wieder für Mucken, brauchst du kein Geld?"
„Das Geld gehört nicht Eurer Majestät persönlich, sondern es sind Staats¬
gelder, die nicht verschenkt werden können!" „So, aber der und der hat sich
doch hingeschrieben." „Majestät, das ist denen ihre Sache, ich bitte nach
meiner Überzeugung handeln zu dürfen." Der König wandte ihm mit einem
derben Ausruf den Rücken, kehrte sich dann noch einmal um und sagte:


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[0215] Münchner Plaudereien als dieses haben sie auch in der Form nicht zu bieten, und nicht leicht etwas so gehaltvolles. Zu einem solchen Buche gehören bevorzugte Lebensverhält¬ nisse. Den Verfasser führte die Stellung seiner Familie und sein eigner Weg früh in die Nähe hochstehender Personen und geistig bedeutender Menschen. Als Page am Hofe Ludwigs I. und dann als Student und Mitglied eines Freundeskreises, aus dem lauter namhafte und im öffentlichen Leben anerkannte Männer hervorgegangen sind, hatte er schon mehr gesehen und gehört, als den meisten derartigen Plauderern überhaupt nahe zu treten pflegt. Seine Nei¬ gungen führten ihn demnächst zu sehr verschiednen ernsten Studiengebieten und zu leichtern litterarischen Beschäftigungen, und der Staatsdienst brachte ihn bald in schnellem Wechsel in wichtige Stellen, vom Richter und Staatsanwalt zum Handelsgerichtsrat, vom Ministerialsekretür zum vortragenden Rat des Ministers Hohenlohe, des jetzigen Reichskanzlers. Wer so marschirt und überall die Augen offen hält, der kann wahrlich von allem, was er erlebte, erzählen und wird viel neues und interessantes zu berichten haben von Zeit¬ geschichte und Politik, Litteratur und Kunst, Personen und Zuständen. Soziale Fragen, Gesetzgebung und neues deutsches Recht, Gesellschaftsleben, Moden¬ wandlungen, geflügelte Worte, Münchner Lokalangelegenheiten und noch vielerlei mehr zieht in buntem Wechsel an uns vorüber. Wir wählen einiges aus, was in unsern Lesern das Verlangen nach dem reichhaltigen Buche er¬ wecken mag. Graf Reigersberg, der Großvater des Verfassers von mütterlicher Seite, war Minister unter Max Joseph und stand bei dem Könige in großer Gunst wegen seines Freimuth und seiner Ehrlichkeit. Der König aß gern Käse und hatte einmal für die Hoftafel Käseeis machen lassen. Als er die Anwesenden über den Geschmack der ungewohnten Speise befragte und alle sich in Lobes¬ erhebungen ergingen, wandte er sich zuletzt an Reigersberg, der allein ge¬ schwiegen hatte, und der nun die Antwort gab: „Ja, wenn Majestät befehlen, kann ich nur sagen; es schmeckt scheußlich." „Reigersberg, erwiderte der König, du bist doch eigentlich ein Grobian (der König nannte seine Vertrauten du), aber, setzte er hinzu, im Kreise herumblickend, der einzige, der die Wahrheit sagt, es ist wirklich scheußlich." Ein andresmal als bei der Säkularisirung des Klosterguts verschiedne Herren des Hofes Dotationen aus der Masse vorab bekommen sollten, schob der König auch Reigersberg das Papier hin, damit er sich mit einer bestimmten Summe eintrage. Als dieser sich weigerte, sagte der König: „Was hast du denn wieder für Mucken, brauchst du kein Geld?" „Das Geld gehört nicht Eurer Majestät persönlich, sondern es sind Staats¬ gelder, die nicht verschenkt werden können!" „So, aber der und der hat sich doch hingeschrieben." „Majestät, das ist denen ihre Sache, ich bitte nach meiner Überzeugung handeln zu dürfen." Der König wandte ihm mit einem derben Ausruf den Rücken, kehrte sich dann noch einmal um und sagte:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/215>, abgerufen am 24.07.2024.