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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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dem Tauschwert der Erzeugnisse seiner Betriebsamkeit ab; ihr Tauschwert also
ist es, der in Betracht kommt und damit in der gesamten Güterwelt über¬
wiegend wichtig wird.

Infolge hiervon bleibt die Anschauung völlig auf dem privatwirtschaft¬
lichen Standpunkt stehen und kann sich nicht zu dem volkswirtschaftlichen er¬
heben. Alles wird atomistisch vereinzelt, und im ganzen sieht die Schule nur
eine Anzahl neben einander stehender Einzelwirtschaften, die Güter zum Genuß
erzeugen, Individuen, die erwerben wollen und diese Güter erzeugen, um sie
zu vertauschen. Das geht so weit, daß es mitunter scheint, als seien die Güter
überhaupt nur da, um gegen einander ausgetauscht zu werden, ja daß man,
um diesen Tausch zu begründen, dem Menschen einen natürlichen Tauschtrieb
angedichtet hat, eine Fiktion, die in neuerer Zeit in Deutschland besonders
nachdrücklich von C. Bücher zurückgewiesen worden ist.

Betrachtet man aber die Volkswirtschaft als Ganzes, so erzeugt schon die
Nation den größten Teil ihres Bedarfs selbst, namentlich muß eigne Arbeit
ihr vorzugsweise die notwendigen Güter des Lebens schaffen. Zu wenig wird
von Smith beachtet, daß der Tauschwert eines Gutes nur sein Preisver¬
hältnis ausdrückt zu andern unter denselben allgemeinen gewerblichen Be¬
dingungen, in demselben volkswirtschaftlich für sich dastehenden Kreise erzeugten
Gütern, keineswegs aber den in ihm liegenden Wert, d. h. sein Verhältnis
zu den menschlichen Bedürfnissen, zu denen das Erzeugnis einer und derselben
Menge von Arbeit ein sehr verschiednes Verhältnis haben kann. Überall ist
da das Bedürfnis und das Interesse der Konsumenten entscheidend, und so
liegt natürlich das Wesen aller Produktion im erzeugten oder ge¬
steigerten Gebrauchswert. A. Smith selber verteidigt noch die Interessen
des ackerbautreibenden Teils der Gesellschaft gegen den Druck des Merkanti¬
lismus, sein Schüler und Bewunderer Ricardo vertritt ausschließlich den geld¬
reichen Teil der Bevölkerung, die Kapitalbesitzer und gewerblichen Unternehmer.
Der Gewinn an Kapital soll so hoch als möglich getrieben, die Grundrente
so tief als möglich herabgedrückt werden. So gelangt die Manchestertheorie
dazu, den Reichtum allein in der angehäuften Menge von Kapital zu sehen.
Der Ackerbau ist ihr nur eine Möglichkeit des Erwerbs unter vielen, und nicht
unbedingter notwendig, als jedes andre Gewerbe. Auch der Weltverkehr wird
nicht als Ganzes aufgefaßt, er bleibt eine Summe einzelner Nationalwirt¬
schaften; es fehlt der entscheidende Gedanke, daß der Verkehr zwar dahin strebt,
alles auszugleichen, jedes Gut dem entsprechenden Bedürfnis entgegenzuführen
und so zu ermöglichen, daß sich jedes Volk vorzugsweise der ihm vorteil¬
haftester Betriebsamkeit widme -- daß er dies alles aber nur kann, insofern
die Produktion im ganzen dem Bedürfnis im ganzen entspricht.

Ebenso wenig wie die Begriffe Tauschwert und Gebrauchswert werden
die Begriffe Produktion und Erwerb gehörig geschieden. Dem Engländer wird


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Theodor von Bernhardi als Nationalökonom

dem Tauschwert der Erzeugnisse seiner Betriebsamkeit ab; ihr Tauschwert also
ist es, der in Betracht kommt und damit in der gesamten Güterwelt über¬
wiegend wichtig wird.

Infolge hiervon bleibt die Anschauung völlig auf dem privatwirtschaft¬
lichen Standpunkt stehen und kann sich nicht zu dem volkswirtschaftlichen er¬
heben. Alles wird atomistisch vereinzelt, und im ganzen sieht die Schule nur
eine Anzahl neben einander stehender Einzelwirtschaften, die Güter zum Genuß
erzeugen, Individuen, die erwerben wollen und diese Güter erzeugen, um sie
zu vertauschen. Das geht so weit, daß es mitunter scheint, als seien die Güter
überhaupt nur da, um gegen einander ausgetauscht zu werden, ja daß man,
um diesen Tausch zu begründen, dem Menschen einen natürlichen Tauschtrieb
angedichtet hat, eine Fiktion, die in neuerer Zeit in Deutschland besonders
nachdrücklich von C. Bücher zurückgewiesen worden ist.

Betrachtet man aber die Volkswirtschaft als Ganzes, so erzeugt schon die
Nation den größten Teil ihres Bedarfs selbst, namentlich muß eigne Arbeit
ihr vorzugsweise die notwendigen Güter des Lebens schaffen. Zu wenig wird
von Smith beachtet, daß der Tauschwert eines Gutes nur sein Preisver¬
hältnis ausdrückt zu andern unter denselben allgemeinen gewerblichen Be¬
dingungen, in demselben volkswirtschaftlich für sich dastehenden Kreise erzeugten
Gütern, keineswegs aber den in ihm liegenden Wert, d. h. sein Verhältnis
zu den menschlichen Bedürfnissen, zu denen das Erzeugnis einer und derselben
Menge von Arbeit ein sehr verschiednes Verhältnis haben kann. Überall ist
da das Bedürfnis und das Interesse der Konsumenten entscheidend, und so
liegt natürlich das Wesen aller Produktion im erzeugten oder ge¬
steigerten Gebrauchswert. A. Smith selber verteidigt noch die Interessen
des ackerbautreibenden Teils der Gesellschaft gegen den Druck des Merkanti¬
lismus, sein Schüler und Bewunderer Ricardo vertritt ausschließlich den geld¬
reichen Teil der Bevölkerung, die Kapitalbesitzer und gewerblichen Unternehmer.
Der Gewinn an Kapital soll so hoch als möglich getrieben, die Grundrente
so tief als möglich herabgedrückt werden. So gelangt die Manchestertheorie
dazu, den Reichtum allein in der angehäuften Menge von Kapital zu sehen.
Der Ackerbau ist ihr nur eine Möglichkeit des Erwerbs unter vielen, und nicht
unbedingter notwendig, als jedes andre Gewerbe. Auch der Weltverkehr wird
nicht als Ganzes aufgefaßt, er bleibt eine Summe einzelner Nationalwirt¬
schaften; es fehlt der entscheidende Gedanke, daß der Verkehr zwar dahin strebt,
alles auszugleichen, jedes Gut dem entsprechenden Bedürfnis entgegenzuführen
und so zu ermöglichen, daß sich jedes Volk vorzugsweise der ihm vorteil¬
haftester Betriebsamkeit widme — daß er dies alles aber nur kann, insofern
die Produktion im ganzen dem Bedürfnis im ganzen entspricht.

Ebenso wenig wie die Begriffe Tauschwert und Gebrauchswert werden
die Begriffe Produktion und Erwerb gehörig geschieden. Dem Engländer wird


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[0212] Theodor von Bernhardi als Nationalökonom dem Tauschwert der Erzeugnisse seiner Betriebsamkeit ab; ihr Tauschwert also ist es, der in Betracht kommt und damit in der gesamten Güterwelt über¬ wiegend wichtig wird. Infolge hiervon bleibt die Anschauung völlig auf dem privatwirtschaft¬ lichen Standpunkt stehen und kann sich nicht zu dem volkswirtschaftlichen er¬ heben. Alles wird atomistisch vereinzelt, und im ganzen sieht die Schule nur eine Anzahl neben einander stehender Einzelwirtschaften, die Güter zum Genuß erzeugen, Individuen, die erwerben wollen und diese Güter erzeugen, um sie zu vertauschen. Das geht so weit, daß es mitunter scheint, als seien die Güter überhaupt nur da, um gegen einander ausgetauscht zu werden, ja daß man, um diesen Tausch zu begründen, dem Menschen einen natürlichen Tauschtrieb angedichtet hat, eine Fiktion, die in neuerer Zeit in Deutschland besonders nachdrücklich von C. Bücher zurückgewiesen worden ist. Betrachtet man aber die Volkswirtschaft als Ganzes, so erzeugt schon die Nation den größten Teil ihres Bedarfs selbst, namentlich muß eigne Arbeit ihr vorzugsweise die notwendigen Güter des Lebens schaffen. Zu wenig wird von Smith beachtet, daß der Tauschwert eines Gutes nur sein Preisver¬ hältnis ausdrückt zu andern unter denselben allgemeinen gewerblichen Be¬ dingungen, in demselben volkswirtschaftlich für sich dastehenden Kreise erzeugten Gütern, keineswegs aber den in ihm liegenden Wert, d. h. sein Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen, zu denen das Erzeugnis einer und derselben Menge von Arbeit ein sehr verschiednes Verhältnis haben kann. Überall ist da das Bedürfnis und das Interesse der Konsumenten entscheidend, und so liegt natürlich das Wesen aller Produktion im erzeugten oder ge¬ steigerten Gebrauchswert. A. Smith selber verteidigt noch die Interessen des ackerbautreibenden Teils der Gesellschaft gegen den Druck des Merkanti¬ lismus, sein Schüler und Bewunderer Ricardo vertritt ausschließlich den geld¬ reichen Teil der Bevölkerung, die Kapitalbesitzer und gewerblichen Unternehmer. Der Gewinn an Kapital soll so hoch als möglich getrieben, die Grundrente so tief als möglich herabgedrückt werden. So gelangt die Manchestertheorie dazu, den Reichtum allein in der angehäuften Menge von Kapital zu sehen. Der Ackerbau ist ihr nur eine Möglichkeit des Erwerbs unter vielen, und nicht unbedingter notwendig, als jedes andre Gewerbe. Auch der Weltverkehr wird nicht als Ganzes aufgefaßt, er bleibt eine Summe einzelner Nationalwirt¬ schaften; es fehlt der entscheidende Gedanke, daß der Verkehr zwar dahin strebt, alles auszugleichen, jedes Gut dem entsprechenden Bedürfnis entgegenzuführen und so zu ermöglichen, daß sich jedes Volk vorzugsweise der ihm vorteil¬ haftester Betriebsamkeit widme — daß er dies alles aber nur kann, insofern die Produktion im ganzen dem Bedürfnis im ganzen entspricht. Ebenso wenig wie die Begriffe Tauschwert und Gebrauchswert werden die Begriffe Produktion und Erwerb gehörig geschieden. Dem Engländer wird Grenzboten IV 1898 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/212>, abgerufen am 24.07.2024.