Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Theodor vo" Bernhard! als Nationalökonom der Menschheit, freilich unter der Bedingung, daß man die Entwicklung des Nach dieser allgemeinen Feststellung des eignen Standpunktes folgt die Theodor vo» Bernhard! als Nationalökonom der Menschheit, freilich unter der Bedingung, daß man die Entwicklung des Nach dieser allgemeinen Feststellung des eignen Standpunktes folgt die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229159"/> <fw type="header" place="top"> Theodor vo» Bernhard! als Nationalökonom</fw><lb/> <p xml:id="ID_543" prev="#ID_542"> der Menschheit, freilich unter der Bedingung, daß man die Entwicklung des<lb/> geistigen und sittlichen Lebens an sich als Daseinszwecke gelte» läßt und nicht<lb/> das materielle Wohlbehagen und die Ansammlung von Kapital als letzte und<lb/> einzige Ziele betrachtet, die ernste und dauernde Anstrengungen wert sind. Wie<lb/> Treitschke und Rcitzenhofer später gleichfalls nachgewiesen haben, ist auch für<lb/> Bernhardt der Staat keineswegs das Resultat eines Vertrags, den die Willkür<lb/> des Einzelnen zu irgend einer Zeit abgeschlossen hätte, und den eine beliebige<lb/> Menge von Menschen, die sich für das souveräne Volk auszugeben beliebt,<lb/> auch gelegentlich einmal kündigen oder in seinen unbequemen Folgen ablehnen<lb/> könnte; er ist vielmehr ein an sich Notwendiges, das als ethisch-organisches<lb/> Ganzes ein eignes Leben in sich trägt. Er laßt dem Individuum seine Würde<lb/> und seine Freiheit, er sieht auch nicht in diesem ein gleichgiltiges Element,<lb/> sondern er verlangt seine Ein- und Unterordnung. Das für ihn bestimmende<lb/> Gesetz wird ihm nicht von einer äußern Autorität gesetzt, dieses Gesetz ist viel¬<lb/> wehr in der Natur und in dem Geist der Menschen gegeben und bewährt sich<lb/> als ein notwendiges und letztes. Die Einzelnen haben in der Gesellschaft, im<lb/> Staate ihre eigenste Bestimmung zu erfüllen, um in diesem Verein das höchste<lb/> Ziel der Menschheit ewig zu erstreben und zu erneuen. Dem Staat fällt die<lb/> erhabenste aller denkbaren Aufgaben zu, die. mit der ganzen Kraft vollen Be¬<lb/> wußtseins die Zwecke der Menschheit zu fördern.</p><lb/> <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> Nach dieser allgemeinen Feststellung des eignen Standpunktes folgt die<lb/> eingehende Darstellung und Prüfung der englischen, sogenannten klassischen<lb/> Nationalökonomie, deren Hauptzügen wir im nachstehenden folgen. A. Smith,<lb/> ihr großer Begründer, ist el» gläubiger Schüler der französischen Encyklopädisten,<lb/> zu denen auch die Holbach, Helvetius und Lamcttrie zu rechnen sind. Ent¬<lb/> gegen aller Erfahrung geht er von der Voraussetzung aus. daß nicht die<lb/> höhern, geistigen, edlern Eigenschaften den Menschen bestimmt haben, aus<lb/> dem tiefsten Elend seines ursprünglichen Daseins emporzustrebe», sondern daß<lb/> dieses Emporsteigen die naturnotwendige Folge seiner tierischen Bedürfnisse<lb/> und Triebe sei, und daher auch die fernere Veredlung der Menschheit von dem<lb/> Gewührenlassen dieser tierischen Triebe z» erwarten sei. Alles läuft dabei<lb/> auf das materielle Wohlbehagen und den Reichtum des gegenwärtig lebenden<lb/> Geschlechts hinaus. Gelehrte, Künstler und Dichter sind nichts als Handwerker,<lb/> die für einen entbehrlichen Luxus arbeiten, denn alle Wissenschaften sind nur<lb/> Erwerbszweige. Sehr erwünscht ist es im Interesse der Schüler z- B., daß<lb/> die Lehrer ganz von ihnen abhängen, damit nur das gelehrt werde, was man<lb/> Ma Erwerb brauchen kann. Überhaupt sind Erwerb und Ansammlung von<lb/> Kapital die allein ernst zu nehmenden Lebensziele. Nicht der Mensch steht<lb/> dem Menschen im Verkehr gegenüber, sondern der unpersönliche Götze Kapital<lb/> dem ebenso unpersönlichen Diener Arbeit. Die Fürsorge für die untern Klassen<lb/> ist ein Klugheitsgebot der obern, damit die Massen in verständiger Nüchtern-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Theodor vo» Bernhard! als Nationalökonom
der Menschheit, freilich unter der Bedingung, daß man die Entwicklung des
geistigen und sittlichen Lebens an sich als Daseinszwecke gelte» läßt und nicht
das materielle Wohlbehagen und die Ansammlung von Kapital als letzte und
einzige Ziele betrachtet, die ernste und dauernde Anstrengungen wert sind. Wie
Treitschke und Rcitzenhofer später gleichfalls nachgewiesen haben, ist auch für
Bernhardt der Staat keineswegs das Resultat eines Vertrags, den die Willkür
des Einzelnen zu irgend einer Zeit abgeschlossen hätte, und den eine beliebige
Menge von Menschen, die sich für das souveräne Volk auszugeben beliebt,
auch gelegentlich einmal kündigen oder in seinen unbequemen Folgen ablehnen
könnte; er ist vielmehr ein an sich Notwendiges, das als ethisch-organisches
Ganzes ein eignes Leben in sich trägt. Er laßt dem Individuum seine Würde
und seine Freiheit, er sieht auch nicht in diesem ein gleichgiltiges Element,
sondern er verlangt seine Ein- und Unterordnung. Das für ihn bestimmende
Gesetz wird ihm nicht von einer äußern Autorität gesetzt, dieses Gesetz ist viel¬
wehr in der Natur und in dem Geist der Menschen gegeben und bewährt sich
als ein notwendiges und letztes. Die Einzelnen haben in der Gesellschaft, im
Staate ihre eigenste Bestimmung zu erfüllen, um in diesem Verein das höchste
Ziel der Menschheit ewig zu erstreben und zu erneuen. Dem Staat fällt die
erhabenste aller denkbaren Aufgaben zu, die. mit der ganzen Kraft vollen Be¬
wußtseins die Zwecke der Menschheit zu fördern.
Nach dieser allgemeinen Feststellung des eignen Standpunktes folgt die
eingehende Darstellung und Prüfung der englischen, sogenannten klassischen
Nationalökonomie, deren Hauptzügen wir im nachstehenden folgen. A. Smith,
ihr großer Begründer, ist el» gläubiger Schüler der französischen Encyklopädisten,
zu denen auch die Holbach, Helvetius und Lamcttrie zu rechnen sind. Ent¬
gegen aller Erfahrung geht er von der Voraussetzung aus. daß nicht die
höhern, geistigen, edlern Eigenschaften den Menschen bestimmt haben, aus
dem tiefsten Elend seines ursprünglichen Daseins emporzustrebe», sondern daß
dieses Emporsteigen die naturnotwendige Folge seiner tierischen Bedürfnisse
und Triebe sei, und daher auch die fernere Veredlung der Menschheit von dem
Gewührenlassen dieser tierischen Triebe z» erwarten sei. Alles läuft dabei
auf das materielle Wohlbehagen und den Reichtum des gegenwärtig lebenden
Geschlechts hinaus. Gelehrte, Künstler und Dichter sind nichts als Handwerker,
die für einen entbehrlichen Luxus arbeiten, denn alle Wissenschaften sind nur
Erwerbszweige. Sehr erwünscht ist es im Interesse der Schüler z- B., daß
die Lehrer ganz von ihnen abhängen, damit nur das gelehrt werde, was man
Ma Erwerb brauchen kann. Überhaupt sind Erwerb und Ansammlung von
Kapital die allein ernst zu nehmenden Lebensziele. Nicht der Mensch steht
dem Menschen im Verkehr gegenüber, sondern der unpersönliche Götze Kapital
dem ebenso unpersönlichen Diener Arbeit. Die Fürsorge für die untern Klassen
ist ein Klugheitsgebot der obern, damit die Massen in verständiger Nüchtern-
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