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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

ohne es zu ahnen. "Es war der erste große Augenblick in Jollys politischem
Leben."

Bald darnach geriet Baden in eine überaus schwierige Stellung, als
Noggenbach gegen Mathys entschiedne Meinung den Großherzog bewog, sich
in der Schleswig-holsteinischen Sache des Erbprinzen von Augustenburg auf
das wärmste anzunehmen und ihn sogar am Bundestage zu vertreten. Denn
damit kam Baden in den schärfsten Gegensatz zu beiden Großmächten, nament¬
lich zu Preußen, ohne doch irgendwie die Mittel zu haben, der rasch und sicher
vorschreitendem preußischen Politik ernste Hemmnisse zu bereiten, geschweige sie
zu vereiteln. So unhaltbar wurde dadurch, wie durch innere Schwierigkeiten,
Roggenbachs Stellung, daß dieser Ende September 1865 seinen Abschied nahm.
In dem Augenblicke also, als die deutsche Frage zur Entscheidung drängte,
gab der Verfechter der preußischen Hegemonie in Baden das Heft aus der Hand,
weil seine liberale Anschauung ihm eine Unterstützung der preußischen Politik
verbot. Ein Staatsmann hätte anders gehandelt.

Die Folge war natürlich ein Sieg der klerikalen Großdeutschen und der
Partikularsten. Das augenblicklich wichtigste Ministerium, das des Auswärtigen,
übernahm der bisherige badische Gesandte in Wien, Herr von Edelsheim, und
dieser drängte den Staat immer mehr auf die Seite Österreichs hinüber.
Jolly sah das mit tiefer Besorgnis und unterstützte am 14. Mai 1866 in der
Ersten Kammer den Antrag Vluntschlis, daß Baden in einem etwaigen Kriege
zwischen Preußen und Österreich neutral bleiben möge, da es die preußische
Politik nicht unterstützen könne, und ein Bund mit Osterreich für Baden der
"Selbstvernichtung" gleichkomme. Über Bismarck bekannte er ganz anders zu
denken als früher. "Mir scheint, daß er ein Mann von ganz eminenter Be¬
gabung, von einer ebenso seltnen als schätzenswerten Willenskraft ist. Ich
halte ihn für einen großen Patrioten, der mit unbedingtester Hingebung für
die Größe seines Staats arbeitet, und für mich wenigstens ist die Macht
Preußens von der Größe Deutschlands nicht getrennt zu denken." Nur fehle
ihm der Sinn sür die moralischen Kräfte im Volke. Trotzdem sei es voll¬
endete Thorheit, das von Preußen geforderte Parlament zurückzuweisen. Am
7. Juni, als die Regierung einen außerordentlichen Militärkrcdit verlangte,
vertrat er selbst noch einmal denselben Standpunkt in der Kammer, indem er
seine Hoffnung auf Preußen offen aussprach, und es für "eine Sünde am
deutschen Volke" erklärte, es für das untaugliche Bundesrecht oder auch für
das Erbrecht der Augustenburger in den Krieg zu führen. Unmittelbar nach
dieser Sitzung erbat er seine Entlassung, und auch Mathy schied aus dem
Ministerium. Die ultramontane Partei war Herrin Badens, alle bösen Leiden¬
schaften wurden aufgeregt, und das Land trieb steuerlos in den "scheußlichen
Krieg." So wenig vermochte dieser künstliche, jeder festen Tradition ent¬
behrende, von den schärfsten Gegensätzen zerrissene Staat eine folgerichtige
Politik festzuhalten!


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

ohne es zu ahnen. „Es war der erste große Augenblick in Jollys politischem
Leben."

Bald darnach geriet Baden in eine überaus schwierige Stellung, als
Noggenbach gegen Mathys entschiedne Meinung den Großherzog bewog, sich
in der Schleswig-holsteinischen Sache des Erbprinzen von Augustenburg auf
das wärmste anzunehmen und ihn sogar am Bundestage zu vertreten. Denn
damit kam Baden in den schärfsten Gegensatz zu beiden Großmächten, nament¬
lich zu Preußen, ohne doch irgendwie die Mittel zu haben, der rasch und sicher
vorschreitendem preußischen Politik ernste Hemmnisse zu bereiten, geschweige sie
zu vereiteln. So unhaltbar wurde dadurch, wie durch innere Schwierigkeiten,
Roggenbachs Stellung, daß dieser Ende September 1865 seinen Abschied nahm.
In dem Augenblicke also, als die deutsche Frage zur Entscheidung drängte,
gab der Verfechter der preußischen Hegemonie in Baden das Heft aus der Hand,
weil seine liberale Anschauung ihm eine Unterstützung der preußischen Politik
verbot. Ein Staatsmann hätte anders gehandelt.

Die Folge war natürlich ein Sieg der klerikalen Großdeutschen und der
Partikularsten. Das augenblicklich wichtigste Ministerium, das des Auswärtigen,
übernahm der bisherige badische Gesandte in Wien, Herr von Edelsheim, und
dieser drängte den Staat immer mehr auf die Seite Österreichs hinüber.
Jolly sah das mit tiefer Besorgnis und unterstützte am 14. Mai 1866 in der
Ersten Kammer den Antrag Vluntschlis, daß Baden in einem etwaigen Kriege
zwischen Preußen und Österreich neutral bleiben möge, da es die preußische
Politik nicht unterstützen könne, und ein Bund mit Osterreich für Baden der
„Selbstvernichtung" gleichkomme. Über Bismarck bekannte er ganz anders zu
denken als früher. „Mir scheint, daß er ein Mann von ganz eminenter Be¬
gabung, von einer ebenso seltnen als schätzenswerten Willenskraft ist. Ich
halte ihn für einen großen Patrioten, der mit unbedingtester Hingebung für
die Größe seines Staats arbeitet, und für mich wenigstens ist die Macht
Preußens von der Größe Deutschlands nicht getrennt zu denken." Nur fehle
ihm der Sinn sür die moralischen Kräfte im Volke. Trotzdem sei es voll¬
endete Thorheit, das von Preußen geforderte Parlament zurückzuweisen. Am
7. Juni, als die Regierung einen außerordentlichen Militärkrcdit verlangte,
vertrat er selbst noch einmal denselben Standpunkt in der Kammer, indem er
seine Hoffnung auf Preußen offen aussprach, und es für „eine Sünde am
deutschen Volke" erklärte, es für das untaugliche Bundesrecht oder auch für
das Erbrecht der Augustenburger in den Krieg zu führen. Unmittelbar nach
dieser Sitzung erbat er seine Entlassung, und auch Mathy schied aus dem
Ministerium. Die ultramontane Partei war Herrin Badens, alle bösen Leiden¬
schaften wurden aufgeregt, und das Land trieb steuerlos in den „scheußlichen
Krieg." So wenig vermochte dieser künstliche, jeder festen Tradition ent¬
behrende, von den schärfsten Gegensätzen zerrissene Staat eine folgerichtige
Politik festzuhalten!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/20>, abgerufen am 24.07.2024.