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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

so am ehesten seine bei einem europäischen Konflikte immerhin bedrohte Existenz
zu sichern, die in dem Augenblick vernichtet wäre, wo es einen Teil der krieg¬
führenden Mächte begünstigte, es sei denn, es suchte und liebe einer Partei
Bundesgenossenschaft auf jede Gefahr. Gegen einzelne an der schweizerischen
Grenze entlang marschirende Korps wird die eidgenössische Kriegsmacht wohl
ausreichen, und damit begreift man die militärischen Rüstungen, die den letzten
politischen Zweck erfüllen sollen. Wäre die Schweiz das Streitobjekt der
Mächte selbst, oder käme ihr Gebiet auch nur für untergeordnete Operationen
in Frage, dann fiele ihr ganzes Wehrsystem schon wegen seiner verhältnismüßig
geringen Stärke wie ein Kartenhaus auseinander, und selbst jede Defensive
wäre ein Unding. Als Bundesgenosse einer Großmacht aber -- womöglich
schon im Frieden -- fiele sie ganz anders in die Wagschale. Ein wirtschaft¬
licher Zusammenschluß Deutschlands, Österreichs, der Niederlande und der
Schweiz wird ja doch die unausbleibliche Folge dem weltumspannenden
Britentum sowie dem immer mehr vordringenden Moskowotismus und Jankee-
tum gegenüber sein müssen.

Es kann sich also nur immerhin um eine sehr bedingte Defensive handeln,
und dieser kommen vor allem die orographischen Verhältnisse des Landes
und die Beschaffenheit seiner 1680 Kilometer langen Grenzen sehr zu statten.
Nur ein Fünftel dieser Grenzen ist offen, während ein andres Fünftel durch
Gewässer und drei Fünftel durch Gebirge gebildet und somit natürlich ver¬
stärkt sind. Ein zweiter die schweizerische Defensive erhöhender Umstand liegt
in dem reich entwickelten, allen Anforderungen des Krieges gewachsenen Eisen¬
bahnnetz, das einen sichern Transport der Truppen verbürgt und ermöglicht,
diese rasch an bedrohte Punkte zu werfen, den Aufmarsch größerer taktischer
Einheiten zu beschleunigen und selbst eine Armee zu konzentriren. Durch die
Schweiz geht der Verkehr zwischen dem nördlichen und dem südlichen Europa,
und die kürzeste Linie führt durch den Se. Gotthard. Die alte Heerstraße
der deutschen Imperatoren ging über den Brenner, und Wochen- und monate¬
lang zogen ihre eiseugepanzerten Heere unter unsagbaren Gefahren den hellen,
heitern Regionen der vsllg. Iwlig. entgegen. Heute gelangt man in neun bis
zehn Stunden von Schaffhausen nach Mailand. Die neuerbauten Linien über
Bulach und durch den Albis haben die Strecke bedeutend gekürzt. Die Ver¬
kehrsmittel bieten im Kriege aber auch eine schwache Seite dar; hat der feind¬
liche Angreifer sie in seinen Besitz genommen, so können sie dem Verteidiger
zu völligem Verderben gereichen, und selbst zerstörte Strecken lassen sich bei
der heutigen fortgeschrittnen Entwicklung der Eisenbahntechnik leicht wiederher¬
stellen, ja sogar der Bau neuer Linien, selbst wenn dabei Tunnelirungsarbeiten
oder Umgehungsbahnen notwendig sind, ist heute ohne besondre Schwierigkeiten
durchzuführen, obgleich die Geländeverhältnisse der Schweiz ziemlich ungünstig
genannt werdeu müssen.


Grenzboten IV I8W 23
Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

so am ehesten seine bei einem europäischen Konflikte immerhin bedrohte Existenz
zu sichern, die in dem Augenblick vernichtet wäre, wo es einen Teil der krieg¬
führenden Mächte begünstigte, es sei denn, es suchte und liebe einer Partei
Bundesgenossenschaft auf jede Gefahr. Gegen einzelne an der schweizerischen
Grenze entlang marschirende Korps wird die eidgenössische Kriegsmacht wohl
ausreichen, und damit begreift man die militärischen Rüstungen, die den letzten
politischen Zweck erfüllen sollen. Wäre die Schweiz das Streitobjekt der
Mächte selbst, oder käme ihr Gebiet auch nur für untergeordnete Operationen
in Frage, dann fiele ihr ganzes Wehrsystem schon wegen seiner verhältnismüßig
geringen Stärke wie ein Kartenhaus auseinander, und selbst jede Defensive
wäre ein Unding. Als Bundesgenosse einer Großmacht aber — womöglich
schon im Frieden — fiele sie ganz anders in die Wagschale. Ein wirtschaft¬
licher Zusammenschluß Deutschlands, Österreichs, der Niederlande und der
Schweiz wird ja doch die unausbleibliche Folge dem weltumspannenden
Britentum sowie dem immer mehr vordringenden Moskowotismus und Jankee-
tum gegenüber sein müssen.

Es kann sich also nur immerhin um eine sehr bedingte Defensive handeln,
und dieser kommen vor allem die orographischen Verhältnisse des Landes
und die Beschaffenheit seiner 1680 Kilometer langen Grenzen sehr zu statten.
Nur ein Fünftel dieser Grenzen ist offen, während ein andres Fünftel durch
Gewässer und drei Fünftel durch Gebirge gebildet und somit natürlich ver¬
stärkt sind. Ein zweiter die schweizerische Defensive erhöhender Umstand liegt
in dem reich entwickelten, allen Anforderungen des Krieges gewachsenen Eisen¬
bahnnetz, das einen sichern Transport der Truppen verbürgt und ermöglicht,
diese rasch an bedrohte Punkte zu werfen, den Aufmarsch größerer taktischer
Einheiten zu beschleunigen und selbst eine Armee zu konzentriren. Durch die
Schweiz geht der Verkehr zwischen dem nördlichen und dem südlichen Europa,
und die kürzeste Linie führt durch den Se. Gotthard. Die alte Heerstraße
der deutschen Imperatoren ging über den Brenner, und Wochen- und monate¬
lang zogen ihre eiseugepanzerten Heere unter unsagbaren Gefahren den hellen,
heitern Regionen der vsllg. Iwlig. entgegen. Heute gelangt man in neun bis
zehn Stunden von Schaffhausen nach Mailand. Die neuerbauten Linien über
Bulach und durch den Albis haben die Strecke bedeutend gekürzt. Die Ver¬
kehrsmittel bieten im Kriege aber auch eine schwache Seite dar; hat der feind¬
liche Angreifer sie in seinen Besitz genommen, so können sie dem Verteidiger
zu völligem Verderben gereichen, und selbst zerstörte Strecken lassen sich bei
der heutigen fortgeschrittnen Entwicklung der Eisenbahntechnik leicht wiederher¬
stellen, ja sogar der Bau neuer Linien, selbst wenn dabei Tunnelirungsarbeiten
oder Umgehungsbahnen notwendig sind, ist heute ohne besondre Schwierigkeiten
durchzuführen, obgleich die Geländeverhältnisse der Schweiz ziemlich ungünstig
genannt werdeu müssen.


Grenzboten IV I8W 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/188>, abgerufen am 04.07.2024.