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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

siedelten, wo sich später auch der junge Viktor Scheffel einfand. In dieser
trotz alledem fröhlichen Verbannungszeit lernte Jolly von Falkenstein, daß
"ohne große militärische Traditionen und machtvolle historische Erinnerungen
ein nationales Staatswesen undenkbar" ist. Er lernte in diesem Hause aber
auch die Tochter Elisabeth lieben und erhielt am 3. März 1851 ihre Hand.

Gerade die ersten Jahre seiner sehr glücklichen Ehe (seit 18. Dezember 1852)
wurden dem jungen Paare durch mannigfache Sorgen verdüstert. Am 8. De¬
zember 1853 starb Jollys Vater, wenige Wochen nachher am 31. Dezember
der Schwiegervater Falkenstein, und eine Professur wollte sich in dieser Zeit
der Reaktion trotz unendlichen Fleißes und vieler Bemühungen für den charakter¬
fester Liberalen, der zudem ein überzeugter Anhänger Preußens war, nirgends
finden; selbst den leeren Titel eines außerordentlichen Professors erhielt er erst
1857. Er hatte unter denselben Hemmnissen zu leiden, die so vielen tüchtigen
Männern in dieser schlechten Zeit das Aufstreben gehemmt oder ganz ver¬
kümmert haben.

Da kam eine überraschende Wendung nach einer ganz andern Richtung
durch den Kampf um das Konkordat, das das österreichisch gesinnte Ministe¬
rium Stengel-Meysenbug am 28. Juni 1859 mit Rom abgeschlossen hatte.
Als die zweite Kammer im März 1860 das Konkordat verwarf, entließ der
junge Großherzog Friedrich das Ministerium und berief an seiner Stelle am
2. April den populärsten Staatsmann des Landes, August Lamey. In die
Debatte über die neuen kirchlichen Gesetze griff auch Jolly ein, indem er in
einer Flugschrift den Gedanken durchführte, daß die Kirche als irdische Anstalt
dem Staate Unterthan sein müsse. Die Schrift erweckte das allgemeine Inter¬
esse, auch des Großherzogs, in solchem Maße, daß Jolly den vertraulichen
Auftrag erhielt, auf eine Schrift des Erzbistums Freiburg die abwehrende
Antwort zu verfassen; aber die Hoffnung, daß ihm dies eine Professur ver¬
schaffen werde, erfüllte sich nicht. Dafür erwirkte Franz von Roggenbach nach
langen Bemühungen im April 1861 Jollys Berufung zum Regierungsrat ins
Ministerium des Innern und übernahm selbst am 1. Mai das Ministerium
des Auswärtigen. Als nun auch Hermann Baumgarten zu derselben Zeit als
Professor der Geschichte an das Polytechnikum in Karlsruhe berufen wurde,
bildete sich ein enger Freundeskreis, der auf die Politik Badens den größten
Einfluß üben sollte.

Mit Lamey, dem Minister des Innern und dem Vorsitzenden des Mini¬
steriums, stimmten Noggenbach und Jolly keineswegs überein, weder im Cha¬
rakter noch in der politischen Anschanung. Lamey, sagt Vanmgarteu, "war
ein typischer Vertreter des süddeutschen, speziell des badischen Naturells, höchst
talentvoll, von glänzender Leichtigkeit der Arbeit wie der Rede, von einziger
Leutseligkeit und Gemütlichkeit, nie scharf oder verletzend, aber auch selten prüzis
und genan. . . . Jolly dagegen stand dem badischen Wesen eigentlich fremd


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

siedelten, wo sich später auch der junge Viktor Scheffel einfand. In dieser
trotz alledem fröhlichen Verbannungszeit lernte Jolly von Falkenstein, daß
„ohne große militärische Traditionen und machtvolle historische Erinnerungen
ein nationales Staatswesen undenkbar" ist. Er lernte in diesem Hause aber
auch die Tochter Elisabeth lieben und erhielt am 3. März 1851 ihre Hand.

Gerade die ersten Jahre seiner sehr glücklichen Ehe (seit 18. Dezember 1852)
wurden dem jungen Paare durch mannigfache Sorgen verdüstert. Am 8. De¬
zember 1853 starb Jollys Vater, wenige Wochen nachher am 31. Dezember
der Schwiegervater Falkenstein, und eine Professur wollte sich in dieser Zeit
der Reaktion trotz unendlichen Fleißes und vieler Bemühungen für den charakter¬
fester Liberalen, der zudem ein überzeugter Anhänger Preußens war, nirgends
finden; selbst den leeren Titel eines außerordentlichen Professors erhielt er erst
1857. Er hatte unter denselben Hemmnissen zu leiden, die so vielen tüchtigen
Männern in dieser schlechten Zeit das Aufstreben gehemmt oder ganz ver¬
kümmert haben.

Da kam eine überraschende Wendung nach einer ganz andern Richtung
durch den Kampf um das Konkordat, das das österreichisch gesinnte Ministe¬
rium Stengel-Meysenbug am 28. Juni 1859 mit Rom abgeschlossen hatte.
Als die zweite Kammer im März 1860 das Konkordat verwarf, entließ der
junge Großherzog Friedrich das Ministerium und berief an seiner Stelle am
2. April den populärsten Staatsmann des Landes, August Lamey. In die
Debatte über die neuen kirchlichen Gesetze griff auch Jolly ein, indem er in
einer Flugschrift den Gedanken durchführte, daß die Kirche als irdische Anstalt
dem Staate Unterthan sein müsse. Die Schrift erweckte das allgemeine Inter¬
esse, auch des Großherzogs, in solchem Maße, daß Jolly den vertraulichen
Auftrag erhielt, auf eine Schrift des Erzbistums Freiburg die abwehrende
Antwort zu verfassen; aber die Hoffnung, daß ihm dies eine Professur ver¬
schaffen werde, erfüllte sich nicht. Dafür erwirkte Franz von Roggenbach nach
langen Bemühungen im April 1861 Jollys Berufung zum Regierungsrat ins
Ministerium des Innern und übernahm selbst am 1. Mai das Ministerium
des Auswärtigen. Als nun auch Hermann Baumgarten zu derselben Zeit als
Professor der Geschichte an das Polytechnikum in Karlsruhe berufen wurde,
bildete sich ein enger Freundeskreis, der auf die Politik Badens den größten
Einfluß üben sollte.

Mit Lamey, dem Minister des Innern und dem Vorsitzenden des Mini¬
steriums, stimmten Noggenbach und Jolly keineswegs überein, weder im Cha¬
rakter noch in der politischen Anschanung. Lamey, sagt Vanmgarteu, „war
ein typischer Vertreter des süddeutschen, speziell des badischen Naturells, höchst
talentvoll, von glänzender Leichtigkeit der Arbeit wie der Rede, von einziger
Leutseligkeit und Gemütlichkeit, nie scharf oder verletzend, aber auch selten prüzis
und genan. . . . Jolly dagegen stand dem badischen Wesen eigentlich fremd


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/18>, abgerufen am 24.07.2024.