Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches das er zunächst gar nichts sähe. -- or, Josef Müller, dessen sich die Leser Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Maßgebliches und Unmaßgebliches das er zunächst gar nichts sähe. — or, Josef Müller, dessen sich die Leser Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229128"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> das er zunächst gar nichts sähe. — or, Josef Müller, dessen sich die Leser<lb/> vielleicht noch als eines begeisterten Verehrers und Interpreten Jean Pauls er¬<lb/> innern, hat in seinem System der Philosophie Mainz, Franz Kirchheim, 1898)<lb/> die schwierige Aufgabe, fast alle Zweige der Philosophie (Erkenntnistheorie, Logik<lb/> und Metaphysik, Psychologie, Moral- und Religionsphilosophie; nur die Ästhetik<lb/> fehlt) in einem Bande von nur 372 Seiten groß Oktav abzuhandeln, mit vielem<lb/> Geschick gelöst. Die hauptsächlichsten ältern und neuern Ansichten werden berück¬<lb/> sichtigt, und der katholische Glaube des Verfassers drängt sich nicht vor. Hie und<lb/> da bringt er nicht tief genug ein; so glaubt er den widerspruchsvollen Begriff<lb/> des unendlichen Raums beseitigt zu haben, was aber nicht der Fall ist; seine, mit<lb/> Bilharz zu reden, logozcntrische Auffassung täuscht ihn über die Schwierigkeit<lb/> hinweg. Schiller kann ihm nichts nützen, denn er zitirt ihn falsch: im Raum<lb/> wohnt das Unendliche nicht; der Vers lautet bekanntlich: Aber, Freunde, im Raum<lb/> wohnt das Erhabene nicht. Dagegen möchten wir den auf Seite 213 ausgesprochnen<lb/> Gedanken der Beachtung empfehlen, daß es verkehrt sei, den Zeitbegriff mit dem<lb/> Raumbegriff zusammen zu behandeln; „der Raum ist Empfindung svielmehr: wird<lb/> empfnndens, die Zeit aber wird nicht sinnlich wahrgenommen, die Zeitvorstellnng<lb/> gehört zu den Verstandesbegriffen." Bilharz und Müller machen sich eines Un¬<lb/> rechts schuldig; das Buch von jenem ist eigentlich nur Erkenntnistheorie, und er<lb/> erwähnt E. von Hartmann gar nicht, obgleich dessen erkeuutnistheorelische Unter¬<lb/> suchungen nicht bloß das wertvollste von seiner Philosophie, sondern an sich höchst<lb/> wertvoll sind; Müller erwähnt ihn in dem Kapitel: Erkenntnistheorie ebenfalls<lb/> nicht. Als Zeichen der Zeit wollen wir noch hervorheben, daß alle vier — ganz<lb/> zufällig auf unserm Büchertisch neben einander geratene — Philosophen Gegner von<lb/> Kant sind; Rülf kann gar nicht begreifen, wie sich heute noch gelehrte Männer<lb/> mit dem „Scholastiker" Kant befreunden können. Die Losung: Zurück zu Kant!<lb/> scheint also schon wieder aufgegeben worden zu sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
das er zunächst gar nichts sähe. — or, Josef Müller, dessen sich die Leser
vielleicht noch als eines begeisterten Verehrers und Interpreten Jean Pauls er¬
innern, hat in seinem System der Philosophie Mainz, Franz Kirchheim, 1898)
die schwierige Aufgabe, fast alle Zweige der Philosophie (Erkenntnistheorie, Logik
und Metaphysik, Psychologie, Moral- und Religionsphilosophie; nur die Ästhetik
fehlt) in einem Bande von nur 372 Seiten groß Oktav abzuhandeln, mit vielem
Geschick gelöst. Die hauptsächlichsten ältern und neuern Ansichten werden berück¬
sichtigt, und der katholische Glaube des Verfassers drängt sich nicht vor. Hie und
da bringt er nicht tief genug ein; so glaubt er den widerspruchsvollen Begriff
des unendlichen Raums beseitigt zu haben, was aber nicht der Fall ist; seine, mit
Bilharz zu reden, logozcntrische Auffassung täuscht ihn über die Schwierigkeit
hinweg. Schiller kann ihm nichts nützen, denn er zitirt ihn falsch: im Raum
wohnt das Unendliche nicht; der Vers lautet bekanntlich: Aber, Freunde, im Raum
wohnt das Erhabene nicht. Dagegen möchten wir den auf Seite 213 ausgesprochnen
Gedanken der Beachtung empfehlen, daß es verkehrt sei, den Zeitbegriff mit dem
Raumbegriff zusammen zu behandeln; „der Raum ist Empfindung svielmehr: wird
empfnndens, die Zeit aber wird nicht sinnlich wahrgenommen, die Zeitvorstellnng
gehört zu den Verstandesbegriffen." Bilharz und Müller machen sich eines Un¬
rechts schuldig; das Buch von jenem ist eigentlich nur Erkenntnistheorie, und er
erwähnt E. von Hartmann gar nicht, obgleich dessen erkeuutnistheorelische Unter¬
suchungen nicht bloß das wertvollste von seiner Philosophie, sondern an sich höchst
wertvoll sind; Müller erwähnt ihn in dem Kapitel: Erkenntnistheorie ebenfalls
nicht. Als Zeichen der Zeit wollen wir noch hervorheben, daß alle vier — ganz
zufällig auf unserm Büchertisch neben einander geratene — Philosophen Gegner von
Kant sind; Rülf kann gar nicht begreifen, wie sich heute noch gelehrte Männer
mit dem „Scholastiker" Kant befreunden können. Die Losung: Zurück zu Kant!
scheint also schon wieder aufgegeben worden zu sein.
Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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