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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

Anlage, nüchtern und schmucklos in die einförmige Rheinebne hineingesetzt,
das genaue Gegenbild des malerischen, vom Schimmer der Romantik und allen
Reizen der Natur umflossenen Heidelberg. Dazu hatte der Erneuerer der
Stadt nach dem dreißigjährigen Kriege, Kurfürst Karl Ludwig, ihr ein fast
kosmopolitisches Gepräge aufgedrückt, indem er zahlreiche Niederländer und
französische Hugenotten hier ansiedelte und die Friedenskirche für alle drei
christlichen Konfessionen erbaute. Auch eine zahlreiche Judenschaft ließ sich hier
nieder. Unter Karl Theodor erlebte Mannheim vorübergehend auch eine Zeit
litterarischen und künstlerischen Glanzes.

Diese Stadt mit ihrem Mangel an jeder ältern historischen Grundlage,
ihrer freien Lebensluft, ihrer nüchtern verstandesmäßigen Denkweise war die
Heimat des Staatsmannes, der unter allen mittelstaatlichen Ministern weitaus
das Bedeutendste für die Erneuerung des Reiches geleistes hat, Julius
Jolly.")

Die Familie Jolly de Fleury gehörte zu der dichten Schar gebildeter
französischer Protestanten, die der klerikale Fanatismus Ludwigs XIV. durch
die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 aus dem Lande trieb und vor
allem den deutschen Ländern als wertvolle Kräfte zuführte. Der Stammvater
Jean Jollh lebte um 1711 in Hanau; dessen gleichnamiger Enkel wurde
Pfarrer der französischen Gemeinde in Mannheim, wo er 1785 starb. Sein
Sohn Louis (geb. 1780) diente als Pfalz-bayrischer Offizier 1795 bis 1809,
nahm aber dann seinen Abschied und gründete mit seinem Schwager Keßler ein
Geschäft, das er in dem auch durch die Kriegsstürme und Gebietsveränderungen
der Napoleonischen Zeit hart angenommnen, 1781 bis 1811 von 24000 auf
18000 Einwohner herabgekommnen Mannheim nur laugsam zur Blüte brachte.
Aus seiner Ehe mit Eleonore Alt, einer katholischen Vambergerin, wurden
ihm acht Kinder geboren, als jüngster Sohn am 21. Februar 1823 Julius
August Jsaak Jolly. Ein inniges Verhältnis verband alle Familienmitglieder
unter einander, das Haus Jolly war damals das angesehenste Mannheims,
der Mittelpunkt einer reichen Geselligkeit, der Vater als Mitglied der Unions¬
synode, Präsident der Handelskammer (1831), endlich Bürgermeister (1836)
der angesehenste Mann der Stadt, die seit dem von ihm eifrig geförderten
Eintritt Badens in den Zollverein (1834) rasch aufblühte. In dieser energisch



Staatsminister Jolly. Ein Lebensbild von Hermann Baumgarten und Ludwig Jolly.
Tübingen/ Laupp, 18!)7. VIII und 294 S. Von Baumgarten, dem Schwager und Freunde
Jollys, rührt nur der Anfang des Buches her, S. 1--71, bis zum Jahre 1866, der Hauptteil
von seinen- Neffen Ludwig Jolly, Professor in Tübingen. Sehr ungern vermißt man ein
Porträt. Ergänzungen aus eigner Erinnerung bietet die Besprechung des Buches von Adolf
Hausrath, Baden im alten Bund und neuen Reich, Deutsche Rundschau 18W, VI--IX, sowie
die Schrift von G. Meyer, Die Reichsgründung und das Großherzogtum Baden. Heidelberg,
Köster, 18W.
Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

Anlage, nüchtern und schmucklos in die einförmige Rheinebne hineingesetzt,
das genaue Gegenbild des malerischen, vom Schimmer der Romantik und allen
Reizen der Natur umflossenen Heidelberg. Dazu hatte der Erneuerer der
Stadt nach dem dreißigjährigen Kriege, Kurfürst Karl Ludwig, ihr ein fast
kosmopolitisches Gepräge aufgedrückt, indem er zahlreiche Niederländer und
französische Hugenotten hier ansiedelte und die Friedenskirche für alle drei
christlichen Konfessionen erbaute. Auch eine zahlreiche Judenschaft ließ sich hier
nieder. Unter Karl Theodor erlebte Mannheim vorübergehend auch eine Zeit
litterarischen und künstlerischen Glanzes.

Diese Stadt mit ihrem Mangel an jeder ältern historischen Grundlage,
ihrer freien Lebensluft, ihrer nüchtern verstandesmäßigen Denkweise war die
Heimat des Staatsmannes, der unter allen mittelstaatlichen Ministern weitaus
das Bedeutendste für die Erneuerung des Reiches geleistes hat, Julius
Jolly.»)

Die Familie Jolly de Fleury gehörte zu der dichten Schar gebildeter
französischer Protestanten, die der klerikale Fanatismus Ludwigs XIV. durch
die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 aus dem Lande trieb und vor
allem den deutschen Ländern als wertvolle Kräfte zuführte. Der Stammvater
Jean Jollh lebte um 1711 in Hanau; dessen gleichnamiger Enkel wurde
Pfarrer der französischen Gemeinde in Mannheim, wo er 1785 starb. Sein
Sohn Louis (geb. 1780) diente als Pfalz-bayrischer Offizier 1795 bis 1809,
nahm aber dann seinen Abschied und gründete mit seinem Schwager Keßler ein
Geschäft, das er in dem auch durch die Kriegsstürme und Gebietsveränderungen
der Napoleonischen Zeit hart angenommnen, 1781 bis 1811 von 24000 auf
18000 Einwohner herabgekommnen Mannheim nur laugsam zur Blüte brachte.
Aus seiner Ehe mit Eleonore Alt, einer katholischen Vambergerin, wurden
ihm acht Kinder geboren, als jüngster Sohn am 21. Februar 1823 Julius
August Jsaak Jolly. Ein inniges Verhältnis verband alle Familienmitglieder
unter einander, das Haus Jolly war damals das angesehenste Mannheims,
der Mittelpunkt einer reichen Geselligkeit, der Vater als Mitglied der Unions¬
synode, Präsident der Handelskammer (1831), endlich Bürgermeister (1836)
der angesehenste Mann der Stadt, die seit dem von ihm eifrig geförderten
Eintritt Badens in den Zollverein (1834) rasch aufblühte. In dieser energisch



Staatsminister Jolly. Ein Lebensbild von Hermann Baumgarten und Ludwig Jolly.
Tübingen/ Laupp, 18!)7. VIII und 294 S. Von Baumgarten, dem Schwager und Freunde
Jollys, rührt nur der Anfang des Buches her, S. 1—71, bis zum Jahre 1866, der Hauptteil
von seinen- Neffen Ludwig Jolly, Professor in Tübingen. Sehr ungern vermißt man ein
Porträt. Ergänzungen aus eigner Erinnerung bietet die Besprechung des Buches von Adolf
Hausrath, Baden im alten Bund und neuen Reich, Deutsche Rundschau 18W, VI—IX, sowie
die Schrift von G. Meyer, Die Reichsgründung und das Großherzogtum Baden. Heidelberg,
Köster, 18W.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/16>, abgerufen am 12.12.2024.