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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgriindung

großen Ganzen aufzugehen, waren sie eine Zeit lang die stärksten Hindernisse
einer straffem nationalen Einheit. Endlich gelang der Ausgleich in der Weise,
daß Preußen seine Fähigkeit zur Führung der Nation durch die That bewies,
die Mittelstaaten teils auf die selbständige äußere Politik und andre aus der
formellen Souveränität fließende Hoheitsrechte verzichteten, um dafür die
Teilnahme an einer sehr wirksamen Gesamtsouveräuität einzutauschen, teils
wie Hannover und Kurhessen ganz verschwanden, wobei es immerhin sehr be¬
merkenswert ist, daß auch das aufsteigende Kaisertum der Hohenzollern ebenso
wie das mittelalterliche seine nationale Aufgabe nur dadurch lösen konnte, daß
es einige der neuhergestellten Stammesstaaten zerstörte.

Auch die innere Entwicklung der Mittelstaaten ist durch die Art ihrer
Entstehung bestimmt worden. Während die norddeutschen Mittelstaaten Han¬
nover und Kurhessen 1803/1815 verhältnismäßig nur wenig umfängliche Er¬
werbungen auf dem Boden des Stammgebietes machten, Sachsen sogar die
größere Hälfte seines alten Gebietes verlor, wurden die süddeutschen Mittel-
stcmtcn jetzt erst wirklich gebildet durch die Verbindung eines bald größern,
bald kleinern ältern historischen Kerns mit neuen, zum Teil ganz fremdartigen,
bunten Lnnderfetzen, die weder uuter sich noch mit dem neuen Herrscherhause
einen innern Zusammenhang hatten. So besteht das moderne Bayern zur
einen Hälfte aus alten geistlichen, reichsstädtischen, fürstlichen, reichsritterlichen,
nicht bayrischen, sondern fränkischen und schwäbischen, obendrein zum großen
Teil protestantischen Territorien mit einer reifern ältern, überwiegend städtischen
Kultur, zur andern aus dem katholischen Altbayern, einem Lande der Kirche,
des Adels und der Bauern. Ganz ähnlich wurde Württemberg gebildet, nur
daß seine Neuerwerbungen fast alle auf schwäbischen Boden lagen; bei Baden,
Hessen-Darmstadt und Nassau überwogen sogar die neuen Landesteile den
alten Kern bei weitem, Als Ganzes waren alle diese Staaten nicht nur ge¬
wissermaßen geschichtslos und ohne einheitliche starke Tradition, sondern auch
ohne die Sicherheit und den Stolz, durch die sich eine Großmacht ihre Unter¬
thanen verbindet. Es ist bare unhistorische Willkür, wenn das bayrische
Nationalmuseum in München in seinen Wandgemälden die große Vergangenheit
von Nürnberg, Augsburg, Ulm u. dergl. zur bayrischen Geschichte zieht; die
großen Überlieferungen dieser Städte haben mit Altbayern und dem Hause
Wittelsbach nicht das Geringste zu thun.

Diese bunte, zum Teil geradezu willkürliche Zusammensetzung hat nun
schon seit 1306 auch die innere Politik der Staaten bestimmt. Sie veranlaßte
zunächst die gewaltsame, ja revolutionäre Einheitspolitik, mit der in Bayern
Montgelas, in Württemberg König Friedrich I. die alten und die neuen Landes¬
teile im Sinne einer modernen Staatsordnung zu verschmelzen strebte, sodann
nach 1815 die Verleihung konstitutioneller Verfassungen als eines weitern Ein¬
heitsbandes, endlich die volle rechtliche Parität der Konfessionen, denn von


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgriindung

großen Ganzen aufzugehen, waren sie eine Zeit lang die stärksten Hindernisse
einer straffem nationalen Einheit. Endlich gelang der Ausgleich in der Weise,
daß Preußen seine Fähigkeit zur Führung der Nation durch die That bewies,
die Mittelstaaten teils auf die selbständige äußere Politik und andre aus der
formellen Souveränität fließende Hoheitsrechte verzichteten, um dafür die
Teilnahme an einer sehr wirksamen Gesamtsouveräuität einzutauschen, teils
wie Hannover und Kurhessen ganz verschwanden, wobei es immerhin sehr be¬
merkenswert ist, daß auch das aufsteigende Kaisertum der Hohenzollern ebenso
wie das mittelalterliche seine nationale Aufgabe nur dadurch lösen konnte, daß
es einige der neuhergestellten Stammesstaaten zerstörte.

Auch die innere Entwicklung der Mittelstaaten ist durch die Art ihrer
Entstehung bestimmt worden. Während die norddeutschen Mittelstaaten Han¬
nover und Kurhessen 1803/1815 verhältnismäßig nur wenig umfängliche Er¬
werbungen auf dem Boden des Stammgebietes machten, Sachsen sogar die
größere Hälfte seines alten Gebietes verlor, wurden die süddeutschen Mittel-
stcmtcn jetzt erst wirklich gebildet durch die Verbindung eines bald größern,
bald kleinern ältern historischen Kerns mit neuen, zum Teil ganz fremdartigen,
bunten Lnnderfetzen, die weder uuter sich noch mit dem neuen Herrscherhause
einen innern Zusammenhang hatten. So besteht das moderne Bayern zur
einen Hälfte aus alten geistlichen, reichsstädtischen, fürstlichen, reichsritterlichen,
nicht bayrischen, sondern fränkischen und schwäbischen, obendrein zum großen
Teil protestantischen Territorien mit einer reifern ältern, überwiegend städtischen
Kultur, zur andern aus dem katholischen Altbayern, einem Lande der Kirche,
des Adels und der Bauern. Ganz ähnlich wurde Württemberg gebildet, nur
daß seine Neuerwerbungen fast alle auf schwäbischen Boden lagen; bei Baden,
Hessen-Darmstadt und Nassau überwogen sogar die neuen Landesteile den
alten Kern bei weitem, Als Ganzes waren alle diese Staaten nicht nur ge¬
wissermaßen geschichtslos und ohne einheitliche starke Tradition, sondern auch
ohne die Sicherheit und den Stolz, durch die sich eine Großmacht ihre Unter¬
thanen verbindet. Es ist bare unhistorische Willkür, wenn das bayrische
Nationalmuseum in München in seinen Wandgemälden die große Vergangenheit
von Nürnberg, Augsburg, Ulm u. dergl. zur bayrischen Geschichte zieht; die
großen Überlieferungen dieser Städte haben mit Altbayern und dem Hause
Wittelsbach nicht das Geringste zu thun.

Diese bunte, zum Teil geradezu willkürliche Zusammensetzung hat nun
schon seit 1306 auch die innere Politik der Staaten bestimmt. Sie veranlaßte
zunächst die gewaltsame, ja revolutionäre Einheitspolitik, mit der in Bayern
Montgelas, in Württemberg König Friedrich I. die alten und die neuen Landes¬
teile im Sinne einer modernen Staatsordnung zu verschmelzen strebte, sodann
nach 1815 die Verleihung konstitutioneller Verfassungen als eines weitern Ein¬
heitsbandes, endlich die volle rechtliche Parität der Konfessionen, denn von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/14>, abgerufen am 24.07.2024.