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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhardi als Nationalökonom

ewigen Interessen der Menschheit gegenüber dem Egoismus der Einzelnen
sein? Wer behauptet, daß die Dinge, gerade wenn man sie unbedingt sich
selbst überläßt, zum Heil des Ganzen am allerbesten gedeihen, der müßte wohl
Staat und Regierung für überflüssig erklären. So kann dieser Grundsatz
auch in Bezug auf die materielle Grundlage des menschlichen Daseins nicht
richtig sein.

Regierung ist nichts andres, als daß der Mensch den Elementen, die die
Interessen der Gesamtheit und der Zukunft vertreten, in einer moralischen
Person eine bestimmte, mit der gehörigen Macht ausgerüstete Vertretung giebt.
Ist das Eingreifen dieser in einer Hauptbeziehuug des Lebens unvermeid¬
licherweise schädlich, so ist nicht zu begreifen, warum sie in einer andern not¬
wendig sein soll.

Der Hohn über den reinen Rechtsstaat (S. 500) ist völlig gerechtfertigt:
der notwendige Inhalt des Staatslebens wäre, eigentlich gar keinen Inhalt
M haben; der Staat wäre dem Einzelnen dienstbar. Der Staat ist sür Bern¬
hard! wie sür Treitschke und Ratzenhofer eine Notwendigkeit, nicht ein Institut,
das die Willkür geschaffen hat, und das möglicherweise auch nicht sein könnte.
Ein Staat, der nicht für die Zukunft sorgte, der nicht das Recht hätte, für sein
eignes Fortbestehen zu sorgen, der unbedingt das geschehen lassen müßte, was
anerkanntermaßen zum Untergang führt, wäre gewiß eine sehr seltsame Er¬
scheinung, und da er dem Einzelnen verbietet, was in die Rechtssphäre eines
andern störend eingreift, wie sollte er da nicht berechtigt sein, ihm gegenüber
auch die Rechtssphäre der Gesamtheit und der Zukunft zu wahren!

In dem Verlangen, die Staatsgewalt zu beschränken, geben sich aber
gerade die veraltetsten mittelalterlich ständischen Ansichten kund, denn der Grund-
Mg der mittelalterlichen Bildungen besteht eben in der Vernachlässigung des
Allgemeinen und in der ungebührlichen Hervorhebung des Besondersten. Man
kann sich noch nicht entwöhnen, den "Racker" von Staat als ein außerhalb
der Gesellschaft stehendes, auf eigne Hand selbstsüchtiges Wesen zu denken, dem
gegenüber man sich zu schützen und zu wahren habe. Den Einwurf der
Manchestermänner, daß alle hemmenden und beschränkenden Verfügungen ja
doch ohnmächtig wären, fertigt Bernhardt fast mit den Worten Carlyles ab.
die dieser auf Friedrich den Großen anwendet: "Regieren ist überall gut, wenn
weise, schlimm nur. wenn es nicht weise ist, ... Die verzweifelte Idee, das
Regieren ganz aufzugeben, als eine Erlösung von dem menschlichen Blödsinn
in euern Regierenden und von ihrem Mangel selbst des Wunsches, gerecht
und weise zu sein, war Friedrich nie in den Sinn gekommen."*)

Bei der Besprechung der Schädlichkeit einer übertriebnen Parzellirung des
Bodens schließt sich Bernhardt der von Röscher geäußerten Ansicht an, daß



") Cnrlyle, Friedrich der Große, IV, ZI7 ff.
Theodor von Bernhardi als Nationalökonom

ewigen Interessen der Menschheit gegenüber dem Egoismus der Einzelnen
sein? Wer behauptet, daß die Dinge, gerade wenn man sie unbedingt sich
selbst überläßt, zum Heil des Ganzen am allerbesten gedeihen, der müßte wohl
Staat und Regierung für überflüssig erklären. So kann dieser Grundsatz
auch in Bezug auf die materielle Grundlage des menschlichen Daseins nicht
richtig sein.

Regierung ist nichts andres, als daß der Mensch den Elementen, die die
Interessen der Gesamtheit und der Zukunft vertreten, in einer moralischen
Person eine bestimmte, mit der gehörigen Macht ausgerüstete Vertretung giebt.
Ist das Eingreifen dieser in einer Hauptbeziehuug des Lebens unvermeid¬
licherweise schädlich, so ist nicht zu begreifen, warum sie in einer andern not¬
wendig sein soll.

Der Hohn über den reinen Rechtsstaat (S. 500) ist völlig gerechtfertigt:
der notwendige Inhalt des Staatslebens wäre, eigentlich gar keinen Inhalt
M haben; der Staat wäre dem Einzelnen dienstbar. Der Staat ist sür Bern¬
hard! wie sür Treitschke und Ratzenhofer eine Notwendigkeit, nicht ein Institut,
das die Willkür geschaffen hat, und das möglicherweise auch nicht sein könnte.
Ein Staat, der nicht für die Zukunft sorgte, der nicht das Recht hätte, für sein
eignes Fortbestehen zu sorgen, der unbedingt das geschehen lassen müßte, was
anerkanntermaßen zum Untergang führt, wäre gewiß eine sehr seltsame Er¬
scheinung, und da er dem Einzelnen verbietet, was in die Rechtssphäre eines
andern störend eingreift, wie sollte er da nicht berechtigt sein, ihm gegenüber
auch die Rechtssphäre der Gesamtheit und der Zukunft zu wahren!

In dem Verlangen, die Staatsgewalt zu beschränken, geben sich aber
gerade die veraltetsten mittelalterlich ständischen Ansichten kund, denn der Grund-
Mg der mittelalterlichen Bildungen besteht eben in der Vernachlässigung des
Allgemeinen und in der ungebührlichen Hervorhebung des Besondersten. Man
kann sich noch nicht entwöhnen, den „Racker" von Staat als ein außerhalb
der Gesellschaft stehendes, auf eigne Hand selbstsüchtiges Wesen zu denken, dem
gegenüber man sich zu schützen und zu wahren habe. Den Einwurf der
Manchestermänner, daß alle hemmenden und beschränkenden Verfügungen ja
doch ohnmächtig wären, fertigt Bernhardt fast mit den Worten Carlyles ab.
die dieser auf Friedrich den Großen anwendet: „Regieren ist überall gut, wenn
weise, schlimm nur. wenn es nicht weise ist, ... Die verzweifelte Idee, das
Regieren ganz aufzugeben, als eine Erlösung von dem menschlichen Blödsinn
in euern Regierenden und von ihrem Mangel selbst des Wunsches, gerecht
und weise zu sein, war Friedrich nie in den Sinn gekommen."*)

Bei der Besprechung der Schädlichkeit einer übertriebnen Parzellirung des
Bodens schließt sich Bernhardt der von Röscher geäußerten Ansicht an, daß



") Cnrlyle, Friedrich der Große, IV, ZI7 ff.
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[0131] Theodor von Bernhardi als Nationalökonom ewigen Interessen der Menschheit gegenüber dem Egoismus der Einzelnen sein? Wer behauptet, daß die Dinge, gerade wenn man sie unbedingt sich selbst überläßt, zum Heil des Ganzen am allerbesten gedeihen, der müßte wohl Staat und Regierung für überflüssig erklären. So kann dieser Grundsatz auch in Bezug auf die materielle Grundlage des menschlichen Daseins nicht richtig sein. Regierung ist nichts andres, als daß der Mensch den Elementen, die die Interessen der Gesamtheit und der Zukunft vertreten, in einer moralischen Person eine bestimmte, mit der gehörigen Macht ausgerüstete Vertretung giebt. Ist das Eingreifen dieser in einer Hauptbeziehuug des Lebens unvermeid¬ licherweise schädlich, so ist nicht zu begreifen, warum sie in einer andern not¬ wendig sein soll. Der Hohn über den reinen Rechtsstaat (S. 500) ist völlig gerechtfertigt: der notwendige Inhalt des Staatslebens wäre, eigentlich gar keinen Inhalt M haben; der Staat wäre dem Einzelnen dienstbar. Der Staat ist sür Bern¬ hard! wie sür Treitschke und Ratzenhofer eine Notwendigkeit, nicht ein Institut, das die Willkür geschaffen hat, und das möglicherweise auch nicht sein könnte. Ein Staat, der nicht für die Zukunft sorgte, der nicht das Recht hätte, für sein eignes Fortbestehen zu sorgen, der unbedingt das geschehen lassen müßte, was anerkanntermaßen zum Untergang führt, wäre gewiß eine sehr seltsame Er¬ scheinung, und da er dem Einzelnen verbietet, was in die Rechtssphäre eines andern störend eingreift, wie sollte er da nicht berechtigt sein, ihm gegenüber auch die Rechtssphäre der Gesamtheit und der Zukunft zu wahren! In dem Verlangen, die Staatsgewalt zu beschränken, geben sich aber gerade die veraltetsten mittelalterlich ständischen Ansichten kund, denn der Grund- Mg der mittelalterlichen Bildungen besteht eben in der Vernachlässigung des Allgemeinen und in der ungebührlichen Hervorhebung des Besondersten. Man kann sich noch nicht entwöhnen, den „Racker" von Staat als ein außerhalb der Gesellschaft stehendes, auf eigne Hand selbstsüchtiges Wesen zu denken, dem gegenüber man sich zu schützen und zu wahren habe. Den Einwurf der Manchestermänner, daß alle hemmenden und beschränkenden Verfügungen ja doch ohnmächtig wären, fertigt Bernhardt fast mit den Worten Carlyles ab. die dieser auf Friedrich den Großen anwendet: „Regieren ist überall gut, wenn weise, schlimm nur. wenn es nicht weise ist, ... Die verzweifelte Idee, das Regieren ganz aufzugeben, als eine Erlösung von dem menschlichen Blödsinn in euern Regierenden und von ihrem Mangel selbst des Wunsches, gerecht und weise zu sein, war Friedrich nie in den Sinn gekommen."*) Bei der Besprechung der Schädlichkeit einer übertriebnen Parzellirung des Bodens schließt sich Bernhardt der von Röscher geäußerten Ansicht an, daß ") Cnrlyle, Friedrich der Große, IV, ZI7 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/131>, abgerufen am 04.07.2024.