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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Roumestcm <S. 244), sondern in 1?ron<zue ^uno se Visier iiiuv. Man braucht
das ja vielleicht nicht alles zu wissen, auch als Lehrer des Französischen nicht,
aber mau braucht dann mich keine Bücher darüber zu schreiben, und das Buch
von Pappritz Ware nicht nur ansprechender, sondern auch viel nützlicher gewesen,
wenn sich der Verfasser hätte entschließen können, alle diese bor" Ä'ozuvres über
Kunst, Litteratur usw.. das heißt mindestens ein Drittel des Ganzen, wegzulassen.


Nietzsche und Novalis.

Als ich die Nietzscheartikel geschrieben hatte, fiel
mir ein: wir haben ja einen altern Dichter, der sich in Aphorismen und Paradoxen
verloren hat, den wollen wir einmal zur Vergleichung nachschlagen, und richtig fand
ich in Novalis den ganzen Nietzsche, nur einen, der es zur Versöhnung aller Gegen¬
sätze und zur wehmütig-heitern Ruhe gebracht hatte. Außerdem sind sem Ofter-
dingen und mehr noch seine geistlichen Lieder künstlerische Leistungen von bleibendem
Wert, während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich nichts mehr
gelesen werden wird. Auch verrät der jung verstorbne Dichter mehr pofttwes
Wissen, namentlich in den Naturwissenschaften, als der älter gewordne Philosoph.
An Paradoxie giebt Novalis Nietzsche nichts nach. Man vergleiche z. B.: "Die
Naturlehre muß nicht mehr kapitelweise, fachweise behandelt werden, sie muß ein
Kontinnum, ein organisches Gewächs -- ein Baum werden, oder ein Tier, oder
ein Mensch." Aber zwischen beiden waltet doch auch in dieser Beziehung ein
großer Unterschied ob. Nietzsche hat Bücher voll Paradoxien in Aphvrismenform
Veröffentlicht. Novalis hat diese Sachen nur für sich aufs Papier geworfen, und
l"nge nach seinem Tode haben seine Freunde diese Blätter herausgegeben. Hatte
er selbst länger gelebt und philosophische Bücher herausgeben wollen, so wurde er
ohne Zweifel die Aphorismen nur als Stoff behandelt, daraus ein Ganzes gestaltet
und jeden Salz gestrichen oder umgearbeitet haben, der keinen verständlichen Sinn
ergab. Dazu muß man erwägen, daß er nicht, wie Nietzsche, mit seiner Schrift-
stellerei welterschütternde Thaten zu thun gedachte, sondern daß sie ihm bloß Zeit¬
vertreib und Vildungsmittel war; das bergmännische Amt, das er anstrebte, und
das häusliche Glück, das er sich aufzubauen gedachte, waren ihm die Hauptsache.
An einen ältern Freund schrieb er: "Die Schriftstellerin ist eine Nebensache. Sie
beurteilen mich mehr billig nach der Hauptsache, dem praktischen Leben. Wenn ich
gut, nützlich, thätig, liebevoll und treu bin, so lassen Sie mir einen unnützen, un¬
guem, harten Satz Passiren. Schriften unberühmter Menschen sein solcher wollte
er also seinj sind unschädlich, denn sie werden wenig gelesen und bald vergessen.
Ich behandle meine Schriftstellerei nur als Bildungsmittel. Ich lerne etwas und
Sorgfalt durchdenken und bearbeiten -- das ist alles, was ich davon verlange.
Kommt der Beifall eines klugen Freundes noch obendrein, so ist meine Erwartung
übertroffen. Nach meiner Meinung muß man zur vollendeten Bildung manche Stufen
übersteigen; Hofmeister, Professor, Handwerker sollte man eine Zeit lang werden,
wie Schriftsteller." Es würde ihm also, auch wenn er länger gelebt hatte, gar
nicht eingefallen sein, Berufsschriftsteller zu werden. Nicht anders als die ^cyrisl-
stellerei schätzte er die Philosophie, von der er nicht die thörichte Erwartung hegte.
°aß sie noch einmal etwas Neues finden werde, das geeignet wäre, das ^.eben um¬
zugestalten. "Die Philosophie, schrieb er im Februar 1300. ruht letzt der nur
"ur im Bücherschränke. Ich bin froh, daß ich durch diese Spitzberge der reinen
Vernunft durch bin und wieder im bunten erquickenden Lande der Sen"e und Leib
und Seele wohne. Die Erinnerung an die ausgestandner Mühseligkeiten macht
"'ich froh. Es gehört in die Lehrjahre der Bildung. Übung des Scharfsinns und der
Reflexion sind unentbehrlich. Maki muß nur nicht über die Grammatik die Autoren


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Roumestcm <S. 244), sondern in 1?ron<zue ^uno se Visier iiiuv. Man braucht
das ja vielleicht nicht alles zu wissen, auch als Lehrer des Französischen nicht,
aber mau braucht dann mich keine Bücher darüber zu schreiben, und das Buch
von Pappritz Ware nicht nur ansprechender, sondern auch viel nützlicher gewesen,
wenn sich der Verfasser hätte entschließen können, alle diese bor« Ä'ozuvres über
Kunst, Litteratur usw.. das heißt mindestens ein Drittel des Ganzen, wegzulassen.


Nietzsche und Novalis.

Als ich die Nietzscheartikel geschrieben hatte, fiel
mir ein: wir haben ja einen altern Dichter, der sich in Aphorismen und Paradoxen
verloren hat, den wollen wir einmal zur Vergleichung nachschlagen, und richtig fand
ich in Novalis den ganzen Nietzsche, nur einen, der es zur Versöhnung aller Gegen¬
sätze und zur wehmütig-heitern Ruhe gebracht hatte. Außerdem sind sem Ofter-
dingen und mehr noch seine geistlichen Lieder künstlerische Leistungen von bleibendem
Wert, während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich nichts mehr
gelesen werden wird. Auch verrät der jung verstorbne Dichter mehr pofttwes
Wissen, namentlich in den Naturwissenschaften, als der älter gewordne Philosoph.
An Paradoxie giebt Novalis Nietzsche nichts nach. Man vergleiche z. B.: „Die
Naturlehre muß nicht mehr kapitelweise, fachweise behandelt werden, sie muß ein
Kontinnum, ein organisches Gewächs — ein Baum werden, oder ein Tier, oder
ein Mensch." Aber zwischen beiden waltet doch auch in dieser Beziehung ein
großer Unterschied ob. Nietzsche hat Bücher voll Paradoxien in Aphvrismenform
Veröffentlicht. Novalis hat diese Sachen nur für sich aufs Papier geworfen, und
l"nge nach seinem Tode haben seine Freunde diese Blätter herausgegeben. Hatte
er selbst länger gelebt und philosophische Bücher herausgeben wollen, so wurde er
ohne Zweifel die Aphorismen nur als Stoff behandelt, daraus ein Ganzes gestaltet
und jeden Salz gestrichen oder umgearbeitet haben, der keinen verständlichen Sinn
ergab. Dazu muß man erwägen, daß er nicht, wie Nietzsche, mit seiner Schrift-
stellerei welterschütternde Thaten zu thun gedachte, sondern daß sie ihm bloß Zeit¬
vertreib und Vildungsmittel war; das bergmännische Amt, das er anstrebte, und
das häusliche Glück, das er sich aufzubauen gedachte, waren ihm die Hauptsache.
An einen ältern Freund schrieb er: „Die Schriftstellerin ist eine Nebensache. Sie
beurteilen mich mehr billig nach der Hauptsache, dem praktischen Leben. Wenn ich
gut, nützlich, thätig, liebevoll und treu bin, so lassen Sie mir einen unnützen, un¬
guem, harten Satz Passiren. Schriften unberühmter Menschen sein solcher wollte
er also seinj sind unschädlich, denn sie werden wenig gelesen und bald vergessen.
Ich behandle meine Schriftstellerei nur als Bildungsmittel. Ich lerne etwas und
Sorgfalt durchdenken und bearbeiten — das ist alles, was ich davon verlange.
Kommt der Beifall eines klugen Freundes noch obendrein, so ist meine Erwartung
übertroffen. Nach meiner Meinung muß man zur vollendeten Bildung manche Stufen
übersteigen; Hofmeister, Professor, Handwerker sollte man eine Zeit lang werden,
wie Schriftsteller." Es würde ihm also, auch wenn er länger gelebt hatte, gar
nicht eingefallen sein, Berufsschriftsteller zu werden. Nicht anders als die ^cyrisl-
stellerei schätzte er die Philosophie, von der er nicht die thörichte Erwartung hegte.
°aß sie noch einmal etwas Neues finden werde, das geeignet wäre, das ^.eben um¬
zugestalten. „Die Philosophie, schrieb er im Februar 1300. ruht letzt der nur
"ur im Bücherschränke. Ich bin froh, daß ich durch diese Spitzberge der reinen
Vernunft durch bin und wieder im bunten erquickenden Lande der Sen„e und Leib
und Seele wohne. Die Erinnerung an die ausgestandner Mühseligkeiten macht
"'ich froh. Es gehört in die Lehrjahre der Bildung. Übung des Scharfsinns und der
Reflexion sind unentbehrlich. Maki muß nur nicht über die Grammatik die Autoren


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[0123] Maßgebliches und Unmaßgebliches Roumestcm <S. 244), sondern in 1?ron<zue ^uno se Visier iiiuv. Man braucht das ja vielleicht nicht alles zu wissen, auch als Lehrer des Französischen nicht, aber mau braucht dann mich keine Bücher darüber zu schreiben, und das Buch von Pappritz Ware nicht nur ansprechender, sondern auch viel nützlicher gewesen, wenn sich der Verfasser hätte entschließen können, alle diese bor« Ä'ozuvres über Kunst, Litteratur usw.. das heißt mindestens ein Drittel des Ganzen, wegzulassen. Nietzsche und Novalis. Als ich die Nietzscheartikel geschrieben hatte, fiel mir ein: wir haben ja einen altern Dichter, der sich in Aphorismen und Paradoxen verloren hat, den wollen wir einmal zur Vergleichung nachschlagen, und richtig fand ich in Novalis den ganzen Nietzsche, nur einen, der es zur Versöhnung aller Gegen¬ sätze und zur wehmütig-heitern Ruhe gebracht hatte. Außerdem sind sem Ofter- dingen und mehr noch seine geistlichen Lieder künstlerische Leistungen von bleibendem Wert, während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich nichts mehr gelesen werden wird. Auch verrät der jung verstorbne Dichter mehr pofttwes Wissen, namentlich in den Naturwissenschaften, als der älter gewordne Philosoph. An Paradoxie giebt Novalis Nietzsche nichts nach. Man vergleiche z. B.: „Die Naturlehre muß nicht mehr kapitelweise, fachweise behandelt werden, sie muß ein Kontinnum, ein organisches Gewächs — ein Baum werden, oder ein Tier, oder ein Mensch." Aber zwischen beiden waltet doch auch in dieser Beziehung ein großer Unterschied ob. Nietzsche hat Bücher voll Paradoxien in Aphvrismenform Veröffentlicht. Novalis hat diese Sachen nur für sich aufs Papier geworfen, und l"nge nach seinem Tode haben seine Freunde diese Blätter herausgegeben. Hatte er selbst länger gelebt und philosophische Bücher herausgeben wollen, so wurde er ohne Zweifel die Aphorismen nur als Stoff behandelt, daraus ein Ganzes gestaltet und jeden Salz gestrichen oder umgearbeitet haben, der keinen verständlichen Sinn ergab. Dazu muß man erwägen, daß er nicht, wie Nietzsche, mit seiner Schrift- stellerei welterschütternde Thaten zu thun gedachte, sondern daß sie ihm bloß Zeit¬ vertreib und Vildungsmittel war; das bergmännische Amt, das er anstrebte, und das häusliche Glück, das er sich aufzubauen gedachte, waren ihm die Hauptsache. An einen ältern Freund schrieb er: „Die Schriftstellerin ist eine Nebensache. Sie beurteilen mich mehr billig nach der Hauptsache, dem praktischen Leben. Wenn ich gut, nützlich, thätig, liebevoll und treu bin, so lassen Sie mir einen unnützen, un¬ guem, harten Satz Passiren. Schriften unberühmter Menschen sein solcher wollte er also seinj sind unschädlich, denn sie werden wenig gelesen und bald vergessen. Ich behandle meine Schriftstellerei nur als Bildungsmittel. Ich lerne etwas und Sorgfalt durchdenken und bearbeiten — das ist alles, was ich davon verlange. Kommt der Beifall eines klugen Freundes noch obendrein, so ist meine Erwartung übertroffen. Nach meiner Meinung muß man zur vollendeten Bildung manche Stufen übersteigen; Hofmeister, Professor, Handwerker sollte man eine Zeit lang werden, wie Schriftsteller." Es würde ihm also, auch wenn er länger gelebt hatte, gar nicht eingefallen sein, Berufsschriftsteller zu werden. Nicht anders als die ^cyrisl- stellerei schätzte er die Philosophie, von der er nicht die thörichte Erwartung hegte. °aß sie noch einmal etwas Neues finden werde, das geeignet wäre, das ^.eben um¬ zugestalten. „Die Philosophie, schrieb er im Februar 1300. ruht letzt der nur "ur im Bücherschränke. Ich bin froh, daß ich durch diese Spitzberge der reinen Vernunft durch bin und wieder im bunten erquickenden Lande der Sen„e und Leib und Seele wohne. Die Erinnerung an die ausgestandner Mühseligkeiten macht "'ich froh. Es gehört in die Lehrjahre der Bildung. Übung des Scharfsinns und der Reflexion sind unentbehrlich. Maki muß nur nicht über die Grammatik die Autoren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/123>, abgerufen am 12.12.2024.