Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
ver Rede Sinn

Plizirten Gegenständen perspektivische Aufnahmen, die an Schärfe und Nichtig¬
keit Photographien nichts nachgeben, anfertigen kann, ohne ein andres In¬
strument zu gebrauchen als Pinsel und Tusche, genau ebensogut ist es möglich,
daß jemand, der total andre Werkzeuge, andern Pinselstrich und andre Farben¬
mischungsmethoden verwendet, als Raffael, eine Kopie von der Sixtinischen
Madonna lieferte, die von dem Original absolut nicht zu unterscheiden wäre" --
und jeder in Kunstsachen einigermaßen Erfahrne wird ihm sagen, daß beides
gleich unmöglich ist. Er sagt: "Ein klar denkender Künstler wird imstande
sein, mit Hilfe verschiedner Verfahrungsweisen denselben Effekt hervorzurufen"
^ ganz denselben jedenfalls nicht für eine scharfe und von Kundigen ange¬
stellte Vergleichung --, der Satz bedarf also starker Einschränkung. Aus
beiden Sätzen folgert aber der Verfasser, daß "Technik" nicht als Eigenschaft
eines Kunstwerks verstanden werden dürfe, noch als solche des Künstlers oder
endlich beider zugleich. Nun haben wir aber zweifellos oft einen Begriff nötig
für eine Art der Herstellung, die bei einem Bilde auf einen bestimmten Maler,
vielleicht irrtümlich, schließen läßt, weil sie dieser oft anwendet, wir übertragen
dann die Eigenschaft auch auf ihn. er braucht sie ja nicht stündig zu zeigen,
er kann ja über ganz verschiedne Herstellungsweisen verfügen; warum kann ich
nicht von drei, vier Techniken oder Manieren Raffaels oder Palma Vecchios
sprechen? Gewinne der Verfasser irgend etwas dadurch, wenn ich mich ver¬
pflichte, dafür mit ihm etwa "Verfahrungsweise" zu sagen? So ist es auch
mit dem Ausdruck "Stil." gegen den er eifert. Gotischer, romamscher Stil
5" sagen für "Art." sei Schwindel. Art bedeute sachlich dasselbe, und wer
ö- B. vom romanischen Stil spreche, habe "die Verpflichtung, zu defünren,
welche Elemente und welche Zusammensetzungen das Charakteristische jener
Bauart bilden," denn fast alle Elemente eines solchen Stils würden auch in
andern "Bauarten" gefunden. Nach seiner Auffassung wäre "Stil" die
"Summe aller übereinstimmenden Eigenschaften einer gewissen Gruppe der
Art nach oder historisch zusammengehöriger vorhanduer Kunstwerke," aber das
sollte ..nicht die geringste Bedeutung" haben für die noch zu schaffenden Kunst¬
werke, Ebenso bekämpft er den Gebrauch des Worts "realistisch," während
er "idealistisch" für zulässig oder gar unentbehrlich zu halten scheint.

In der Ethik erklärt er den Gebrauch von Gut und Böse und die dann
liegende Begriffsunterscheidung für völlig illegitim, im besten Falle für über¬
flüssig, im schlimmern aber für unwahr und schädlich. Das beruht aber bei
'hin keineswegs auf einer Umwertung in Nietzsches Art. vielmehr denkt er in
Bezug auf die Moral nicht anders als die meisten andern, er weist nur charfer
^rauf hin. daß sich in jenen Ausdrücken eine subjektive Beurteilung ausspreche,
der keine wirkliche oder ausreichende Kenntnis zu Grunde liege: ich glaube.
^ weiß aber nicht, wie andre Menschen sind. Dieser moralische Abschnitt
enthält vieles, weit mehr als jener ästhetische, worüber eme sachliche Ver-


Grmzbotm IV 18S8
ver Rede Sinn

Plizirten Gegenständen perspektivische Aufnahmen, die an Schärfe und Nichtig¬
keit Photographien nichts nachgeben, anfertigen kann, ohne ein andres In¬
strument zu gebrauchen als Pinsel und Tusche, genau ebensogut ist es möglich,
daß jemand, der total andre Werkzeuge, andern Pinselstrich und andre Farben¬
mischungsmethoden verwendet, als Raffael, eine Kopie von der Sixtinischen
Madonna lieferte, die von dem Original absolut nicht zu unterscheiden wäre" —
und jeder in Kunstsachen einigermaßen Erfahrne wird ihm sagen, daß beides
gleich unmöglich ist. Er sagt: „Ein klar denkender Künstler wird imstande
sein, mit Hilfe verschiedner Verfahrungsweisen denselben Effekt hervorzurufen"
^ ganz denselben jedenfalls nicht für eine scharfe und von Kundigen ange¬
stellte Vergleichung —, der Satz bedarf also starker Einschränkung. Aus
beiden Sätzen folgert aber der Verfasser, daß „Technik" nicht als Eigenschaft
eines Kunstwerks verstanden werden dürfe, noch als solche des Künstlers oder
endlich beider zugleich. Nun haben wir aber zweifellos oft einen Begriff nötig
für eine Art der Herstellung, die bei einem Bilde auf einen bestimmten Maler,
vielleicht irrtümlich, schließen läßt, weil sie dieser oft anwendet, wir übertragen
dann die Eigenschaft auch auf ihn. er braucht sie ja nicht stündig zu zeigen,
er kann ja über ganz verschiedne Herstellungsweisen verfügen; warum kann ich
nicht von drei, vier Techniken oder Manieren Raffaels oder Palma Vecchios
sprechen? Gewinne der Verfasser irgend etwas dadurch, wenn ich mich ver¬
pflichte, dafür mit ihm etwa „Verfahrungsweise" zu sagen? So ist es auch
mit dem Ausdruck „Stil." gegen den er eifert. Gotischer, romamscher Stil
5" sagen für „Art." sei Schwindel. Art bedeute sachlich dasselbe, und wer
ö- B. vom romanischen Stil spreche, habe „die Verpflichtung, zu defünren,
welche Elemente und welche Zusammensetzungen das Charakteristische jener
Bauart bilden," denn fast alle Elemente eines solchen Stils würden auch in
andern „Bauarten" gefunden. Nach seiner Auffassung wäre „Stil" die
"Summe aller übereinstimmenden Eigenschaften einer gewissen Gruppe der
Art nach oder historisch zusammengehöriger vorhanduer Kunstwerke," aber das
sollte ..nicht die geringste Bedeutung" haben für die noch zu schaffenden Kunst¬
werke, Ebenso bekämpft er den Gebrauch des Worts „realistisch," während
er „idealistisch" für zulässig oder gar unentbehrlich zu halten scheint.

In der Ethik erklärt er den Gebrauch von Gut und Böse und die dann
liegende Begriffsunterscheidung für völlig illegitim, im besten Falle für über¬
flüssig, im schlimmern aber für unwahr und schädlich. Das beruht aber bei
'hin keineswegs auf einer Umwertung in Nietzsches Art. vielmehr denkt er in
Bezug auf die Moral nicht anders als die meisten andern, er weist nur charfer
^rauf hin. daß sich in jenen Ausdrücken eine subjektive Beurteilung ausspreche,
der keine wirkliche oder ausreichende Kenntnis zu Grunde liege: ich glaube.
^ weiß aber nicht, wie andre Menschen sind. Dieser moralische Abschnitt
enthält vieles, weit mehr als jener ästhetische, worüber eme sachliche Ver-


Grmzbotm IV 18S8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229065"/>
          <fw type="header" place="top"> ver Rede Sinn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_238" prev="#ID_237"> Plizirten Gegenständen perspektivische Aufnahmen, die an Schärfe und Nichtig¬<lb/>
keit Photographien nichts nachgeben, anfertigen kann, ohne ein andres In¬<lb/>
strument zu gebrauchen als Pinsel und Tusche, genau ebensogut ist es möglich,<lb/>
daß jemand, der total andre Werkzeuge, andern Pinselstrich und andre Farben¬<lb/>
mischungsmethoden verwendet, als Raffael, eine Kopie von der Sixtinischen<lb/>
Madonna lieferte, die von dem Original absolut nicht zu unterscheiden wäre" &#x2014;<lb/>
und jeder in Kunstsachen einigermaßen Erfahrne wird ihm sagen, daß beides<lb/>
gleich unmöglich ist.  Er sagt: &#x201E;Ein klar denkender Künstler wird imstande<lb/>
sein, mit Hilfe verschiedner Verfahrungsweisen denselben Effekt hervorzurufen"<lb/>
^ ganz denselben jedenfalls nicht für eine scharfe und von Kundigen ange¬<lb/>
stellte Vergleichung &#x2014;, der Satz bedarf also starker Einschränkung. Aus<lb/>
beiden Sätzen folgert aber der Verfasser, daß &#x201E;Technik" nicht als Eigenschaft<lb/>
eines Kunstwerks verstanden werden dürfe, noch als solche des Künstlers oder<lb/>
endlich beider zugleich. Nun haben wir aber zweifellos oft einen Begriff nötig<lb/>
für eine Art der Herstellung, die bei einem Bilde auf einen bestimmten Maler,<lb/>
vielleicht irrtümlich, schließen läßt, weil sie dieser oft anwendet, wir übertragen<lb/>
dann die Eigenschaft auch auf ihn. er braucht sie ja nicht stündig zu zeigen,<lb/>
er kann ja über ganz verschiedne Herstellungsweisen verfügen; warum kann ich<lb/>
nicht von drei, vier Techniken oder Manieren Raffaels oder Palma Vecchios<lb/>
sprechen? Gewinne der Verfasser irgend etwas dadurch, wenn ich mich ver¬<lb/>
pflichte, dafür mit ihm etwa &#x201E;Verfahrungsweise" zu sagen? So ist es auch<lb/>
mit dem Ausdruck &#x201E;Stil." gegen den er eifert. Gotischer, romamscher Stil<lb/>
5" sagen für &#x201E;Art." sei Schwindel. Art bedeute sachlich dasselbe, und wer<lb/>
ö- B. vom romanischen Stil spreche, habe &#x201E;die Verpflichtung, zu defünren,<lb/>
welche Elemente und welche Zusammensetzungen das Charakteristische jener<lb/>
Bauart bilden," denn fast alle Elemente eines solchen Stils würden auch in<lb/>
andern &#x201E;Bauarten" gefunden.  Nach seiner Auffassung wäre &#x201E;Stil" die<lb/>
"Summe aller übereinstimmenden Eigenschaften einer gewissen Gruppe der<lb/>
Art nach oder historisch zusammengehöriger vorhanduer Kunstwerke," aber das<lb/>
sollte ..nicht die geringste Bedeutung" haben für die noch zu schaffenden Kunst¬<lb/>
werke,  Ebenso bekämpft er den Gebrauch des Worts &#x201E;realistisch," während<lb/>
er &#x201E;idealistisch" für zulässig oder gar unentbehrlich zu halten scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_239" next="#ID_240"> In der Ethik erklärt er den Gebrauch von Gut und Böse und die dann<lb/>
liegende Begriffsunterscheidung für völlig illegitim, im besten Falle für über¬<lb/>
flüssig, im schlimmern aber für unwahr und schädlich. Das beruht aber bei<lb/>
'hin keineswegs auf einer Umwertung in Nietzsches Art. vielmehr denkt er in<lb/>
Bezug auf die Moral nicht anders als die meisten andern, er weist nur charfer<lb/>
^rauf hin. daß sich in jenen Ausdrücken eine subjektive Beurteilung ausspreche,<lb/>
der keine wirkliche oder ausreichende Kenntnis zu Grunde liege: ich glaube.<lb/>
^ weiß aber nicht, wie andre Menschen sind. Dieser moralische Abschnitt<lb/>
enthält vieles, weit mehr als jener ästhetische, worüber eme sachliche Ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbotm IV 18S8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] ver Rede Sinn Plizirten Gegenständen perspektivische Aufnahmen, die an Schärfe und Nichtig¬ keit Photographien nichts nachgeben, anfertigen kann, ohne ein andres In¬ strument zu gebrauchen als Pinsel und Tusche, genau ebensogut ist es möglich, daß jemand, der total andre Werkzeuge, andern Pinselstrich und andre Farben¬ mischungsmethoden verwendet, als Raffael, eine Kopie von der Sixtinischen Madonna lieferte, die von dem Original absolut nicht zu unterscheiden wäre" — und jeder in Kunstsachen einigermaßen Erfahrne wird ihm sagen, daß beides gleich unmöglich ist. Er sagt: „Ein klar denkender Künstler wird imstande sein, mit Hilfe verschiedner Verfahrungsweisen denselben Effekt hervorzurufen" ^ ganz denselben jedenfalls nicht für eine scharfe und von Kundigen ange¬ stellte Vergleichung —, der Satz bedarf also starker Einschränkung. Aus beiden Sätzen folgert aber der Verfasser, daß „Technik" nicht als Eigenschaft eines Kunstwerks verstanden werden dürfe, noch als solche des Künstlers oder endlich beider zugleich. Nun haben wir aber zweifellos oft einen Begriff nötig für eine Art der Herstellung, die bei einem Bilde auf einen bestimmten Maler, vielleicht irrtümlich, schließen läßt, weil sie dieser oft anwendet, wir übertragen dann die Eigenschaft auch auf ihn. er braucht sie ja nicht stündig zu zeigen, er kann ja über ganz verschiedne Herstellungsweisen verfügen; warum kann ich nicht von drei, vier Techniken oder Manieren Raffaels oder Palma Vecchios sprechen? Gewinne der Verfasser irgend etwas dadurch, wenn ich mich ver¬ pflichte, dafür mit ihm etwa „Verfahrungsweise" zu sagen? So ist es auch mit dem Ausdruck „Stil." gegen den er eifert. Gotischer, romamscher Stil 5" sagen für „Art." sei Schwindel. Art bedeute sachlich dasselbe, und wer ö- B. vom romanischen Stil spreche, habe „die Verpflichtung, zu defünren, welche Elemente und welche Zusammensetzungen das Charakteristische jener Bauart bilden," denn fast alle Elemente eines solchen Stils würden auch in andern „Bauarten" gefunden. Nach seiner Auffassung wäre „Stil" die "Summe aller übereinstimmenden Eigenschaften einer gewissen Gruppe der Art nach oder historisch zusammengehöriger vorhanduer Kunstwerke," aber das sollte ..nicht die geringste Bedeutung" haben für die noch zu schaffenden Kunst¬ werke, Ebenso bekämpft er den Gebrauch des Worts „realistisch," während er „idealistisch" für zulässig oder gar unentbehrlich zu halten scheint. In der Ethik erklärt er den Gebrauch von Gut und Böse und die dann liegende Begriffsunterscheidung für völlig illegitim, im besten Falle für über¬ flüssig, im schlimmern aber für unwahr und schädlich. Das beruht aber bei 'hin keineswegs auf einer Umwertung in Nietzsches Art. vielmehr denkt er in Bezug auf die Moral nicht anders als die meisten andern, er weist nur charfer ^rauf hin. daß sich in jenen Ausdrücken eine subjektive Beurteilung ausspreche, der keine wirkliche oder ausreichende Kenntnis zu Grunde liege: ich glaube. ^ weiß aber nicht, wie andre Menschen sind. Dieser moralische Abschnitt enthält vieles, weit mehr als jener ästhetische, worüber eme sachliche Ver- Grmzbotm IV 18S8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/117>, abgerufen am 24.07.2024.