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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der japanische Farbenliohschnitt

Feinschmeckern der Großstädte) mit seinen Anschauungen noch nicht einmal bis
zum Naturalismus vorgedrungen war. Davon weiß der Verfasser dieser Zeilen
ein Liedchen zu singen. Als er vor fünf Jahren in einer größern Stadt des
nordöstlichen Deutschlands, deren Kunstentwicklung hinter der von München
oder Berlin etwa um dreißig Jahre zurückgeblieben ist, öffentliche Vorträge über
moderne Kunst hielt, in denen er etwa den Standpunkt des Menzelschen oder
Uhdeschen Naturalismus vertrat, erregte er damit in den weitesten Kreisen der
konservativen Bürgerschaft ein allgemeines Entsetzen. Noch jetzt sollen sich
ältere Künstler, die dort eine leitende Stellung einnehmen, bekreuzigen, wenn
sein Name genannt wird, und ihrem Schöpfer danken, daß sie diesen Re¬
volutionär, diesen Jugendveroerber los sind, daß jetzt den dortigen jungen
Künstlern derartige umstürzlerische Anschauungen nicht mehr vorgetragen werden.
Heute wird dieser selbe Kunsthistoriker von den Jüngsten schon zum alten Eisen
geworfen, weil er die neueste Bewegung, deu Symbolismus, Primitivismus.
Ornamentalisinus und wie die schönen Ihnen alle heißen, nicht mitmachen
will. So rasch ändern sich -- unter der sanften Nachhilfe des Auslandes --
die deutschen Anschauungen!

Doch das nur nebenbei, um das Ungesunde, das unnatürlich Überhastete
dieser neusten Bewegung zu kennzeichnen. Worauf es hier ankommt, das ist
die Thatsache, daß man dementsprechend auch den japanischen Farbenholzschnitt
jetzt vollkommen anders beurteilt als noch vor wenig Jahren. Das Buch des
Geheimrath von Seidlitz ist in dieser Beziehung charakteristisch.

Seidlitz steht ganz auf dem modernen Standpunkt, er ist vor allem
"Japanist" vom reinsten Wasser. "Der Japanisinns ist nun einmal ein Be¬
standteil unsrer Kultur geworden, weil er gewissen Bedürfnissen der Zeit ent¬
gegenkam und fördernd auf sie einwirkte. . . . Die ohne Japans Einfluß gar
nicht denkbare Entwicklung der europäischen Affiche bildet nur den ersten
Schritt zu einer Erneuerung unsrer gesamten Malerei, vor allem der Mo¬
numentalmalerei. Was wir erstreben, das war dort seit Jahrhunderten vor¬
bereitet. Und handelt es sich auch um ganz andre Bedingungen, um ganz andre
Bedürfnisse, um eine ganz andre Nasse, so steht uns doch die Kunst der Japaner
weit näher als diejenige Kunst der eignen Vergangenheit, mit der wir, so sehr
wir auch ihre Erzeugnisse bewundern, jeden Zusammenhang verloren haben."

Was uns hier auffällt, ist zunächst die Erwähnung der "Affiche." des
"Plakats." Für den, der die neuste Kunstbewegung aufmerksam verfolgt hat,
ist es ja längst kein Geheimnis mehr, daß unsre jungen Künstler -- und mit
ihnen, wie man sieht, auch einige ältere Kunsthistoriker -- der Ansicht sind,
von dem Plakat aus könne und müsse unsre Kunst erneuert werden. Das
Plakat, d. h. also die in deu Dienst der Reklame gestellte, zu kaufmännischen
Zwecken benutzte Kunst soll der Angelpunkt der neuen Entwicklung werden.
Hat man sich wohl klar gemacht, was das bedeutet?


Grenzboten III 1898 12
Der japanische Farbenliohschnitt

Feinschmeckern der Großstädte) mit seinen Anschauungen noch nicht einmal bis
zum Naturalismus vorgedrungen war. Davon weiß der Verfasser dieser Zeilen
ein Liedchen zu singen. Als er vor fünf Jahren in einer größern Stadt des
nordöstlichen Deutschlands, deren Kunstentwicklung hinter der von München
oder Berlin etwa um dreißig Jahre zurückgeblieben ist, öffentliche Vorträge über
moderne Kunst hielt, in denen er etwa den Standpunkt des Menzelschen oder
Uhdeschen Naturalismus vertrat, erregte er damit in den weitesten Kreisen der
konservativen Bürgerschaft ein allgemeines Entsetzen. Noch jetzt sollen sich
ältere Künstler, die dort eine leitende Stellung einnehmen, bekreuzigen, wenn
sein Name genannt wird, und ihrem Schöpfer danken, daß sie diesen Re¬
volutionär, diesen Jugendveroerber los sind, daß jetzt den dortigen jungen
Künstlern derartige umstürzlerische Anschauungen nicht mehr vorgetragen werden.
Heute wird dieser selbe Kunsthistoriker von den Jüngsten schon zum alten Eisen
geworfen, weil er die neueste Bewegung, deu Symbolismus, Primitivismus.
Ornamentalisinus und wie die schönen Ihnen alle heißen, nicht mitmachen
will. So rasch ändern sich — unter der sanften Nachhilfe des Auslandes —
die deutschen Anschauungen!

Doch das nur nebenbei, um das Ungesunde, das unnatürlich Überhastete
dieser neusten Bewegung zu kennzeichnen. Worauf es hier ankommt, das ist
die Thatsache, daß man dementsprechend auch den japanischen Farbenholzschnitt
jetzt vollkommen anders beurteilt als noch vor wenig Jahren. Das Buch des
Geheimrath von Seidlitz ist in dieser Beziehung charakteristisch.

Seidlitz steht ganz auf dem modernen Standpunkt, er ist vor allem
„Japanist" vom reinsten Wasser. „Der Japanisinns ist nun einmal ein Be¬
standteil unsrer Kultur geworden, weil er gewissen Bedürfnissen der Zeit ent¬
gegenkam und fördernd auf sie einwirkte. . . . Die ohne Japans Einfluß gar
nicht denkbare Entwicklung der europäischen Affiche bildet nur den ersten
Schritt zu einer Erneuerung unsrer gesamten Malerei, vor allem der Mo¬
numentalmalerei. Was wir erstreben, das war dort seit Jahrhunderten vor¬
bereitet. Und handelt es sich auch um ganz andre Bedingungen, um ganz andre
Bedürfnisse, um eine ganz andre Nasse, so steht uns doch die Kunst der Japaner
weit näher als diejenige Kunst der eignen Vergangenheit, mit der wir, so sehr
wir auch ihre Erzeugnisse bewundern, jeden Zusammenhang verloren haben."

Was uns hier auffällt, ist zunächst die Erwähnung der „Affiche." des
„Plakats." Für den, der die neuste Kunstbewegung aufmerksam verfolgt hat,
ist es ja längst kein Geheimnis mehr, daß unsre jungen Künstler — und mit
ihnen, wie man sieht, auch einige ältere Kunsthistoriker — der Ansicht sind,
von dem Plakat aus könne und müsse unsre Kunst erneuert werden. Das
Plakat, d. h. also die in deu Dienst der Reklame gestellte, zu kaufmännischen
Zwecken benutzte Kunst soll der Angelpunkt der neuen Entwicklung werden.
Hat man sich wohl klar gemacht, was das bedeutet?


Grenzboten III 1898 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/97>, abgerufen am 01.09.2024.