Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der japanische Farbenholzschnitt

unmöglich gehaltnen neuen Stil zu erfinden, da griff man nach der japanischen
Kunst wie nach einem rettenden Strohhalm, mit dessen Hilfe man sich noch
eine Zeit lang über Wasser halten zu können hoffte. Das war doch wenigstens
etwas, und zwar etwas andres, und in solchen verzweifelten Fällen ist jede
Veränderung eine Verbesserung, mag sie sonst sein, welcher Art sie will.
Vergeblich! Unsre neuste kunstgewerbliche Bewegung, über die ich den Lesern
der Grenzboten vielleicht ein andermal Bericht erstatten werde, beweist, daß
diese Hoffnung sich nicht bewährt hat, daß das Heil auf die Dauer überhaupt
nicht in der Nachahmung liegen kann. Immerhin diente die dekorative Kunst
der Japaner für eine gewisse Zeit als gute Schulung und hat insofern ihren
Beruf wohl erfüllt.

Während es hier nun die dekorative Seite der japanischen Kunst war,
die zur Bewundrung und Nachahmung reizte, war es beim japanischen Farben¬
holzschnitt etwas ganz andres, nämlich der Naturalismus. Dies muß aber
besonders betont werden, weil nur daraus die Begeisterung zu erklären ist,
mit der die damaligen Maler sich dieser neu entdeckten Kunst zuwandten.
Gerade als diese Blätter in Paris bekannt wurden, stand die französische
Malerei unter dem Zeichen des Naturalismus. Die vielseitige und rücksichtslose
Nachahmung der Natur, dabei ihre möglichst intime Auffassung, das war das
Ideal der jungen Künstlergeneration, die sich etwa seit einem Jahrzehnt, unter
fortwährenden Anfeindungen der ältern Schule, zur Anerkennung durchzukämpfen
suchte. Nachahmung der Natur hieß aber im damaligen Sinne nicht Kopiren
der Natur mit allen ihren gleichgiltigen und kleinlichen Einzelheiten, sondern
Darstellen der Natur in ihren großen allgemeinen Zügen, in ihrem wesent¬
lichen Stimmungsgehalt. Man wollte die Natur gar nicht so wiedergeben,
wie sie wirklich, objektiv betrachtet, war, sondern wie sie erschien, wie sie sich
dem Auge, dem seusibelu Küiistlerauge unter bestimmten Bedingungen, unter
einer bestimmten Beleuchtung darstellte. Der Impressionismus wurde immer¬
mehr das herrschende Kunstprinzip.

Und da boten die japanischen Farbenholzschnitte ein bis dahin ungeahntes
und geradezu imponirendes Vorbild dar. Hier hatte man ja das, was man
wollte, was man sich längst erträumt und ersehnt hatte: eine Kunst von offenbar
ganz naivem Charakter, die weder belehren, noch philosophische oder praktische
Gedanken anregen, sondern einfach darstellen, schildern, einen Natureindrnck
wiedergeben wollte. Eine Kunst, die nicht darauf ausging, das "Schöne"
darzustellen -- ihre Gegenstände waren vielmehr oft recht "häßlich" --, sondern
deren Schönheit eben in der Lebendigkeit und Intimität bestand, mit der sie
die Natur auffaßte. Und wie wußten diese Künstler ihre Blumen und Vögel,
ihre Fische und Insekten zu charakterisiren, das Wesentliche der Erscheinung
zu erfassen, das, worauf es ankam, aus der Natur herauszuholen, mit wenigen
wirksamen Linien, in scharfer Markirung, scharfer Accentuirung hinzustellen!
Das war nicht Naturalismus im gewöhnlichen niedern Sinne, das war kunst-


Der japanische Farbenholzschnitt

unmöglich gehaltnen neuen Stil zu erfinden, da griff man nach der japanischen
Kunst wie nach einem rettenden Strohhalm, mit dessen Hilfe man sich noch
eine Zeit lang über Wasser halten zu können hoffte. Das war doch wenigstens
etwas, und zwar etwas andres, und in solchen verzweifelten Fällen ist jede
Veränderung eine Verbesserung, mag sie sonst sein, welcher Art sie will.
Vergeblich! Unsre neuste kunstgewerbliche Bewegung, über die ich den Lesern
der Grenzboten vielleicht ein andermal Bericht erstatten werde, beweist, daß
diese Hoffnung sich nicht bewährt hat, daß das Heil auf die Dauer überhaupt
nicht in der Nachahmung liegen kann. Immerhin diente die dekorative Kunst
der Japaner für eine gewisse Zeit als gute Schulung und hat insofern ihren
Beruf wohl erfüllt.

Während es hier nun die dekorative Seite der japanischen Kunst war,
die zur Bewundrung und Nachahmung reizte, war es beim japanischen Farben¬
holzschnitt etwas ganz andres, nämlich der Naturalismus. Dies muß aber
besonders betont werden, weil nur daraus die Begeisterung zu erklären ist,
mit der die damaligen Maler sich dieser neu entdeckten Kunst zuwandten.
Gerade als diese Blätter in Paris bekannt wurden, stand die französische
Malerei unter dem Zeichen des Naturalismus. Die vielseitige und rücksichtslose
Nachahmung der Natur, dabei ihre möglichst intime Auffassung, das war das
Ideal der jungen Künstlergeneration, die sich etwa seit einem Jahrzehnt, unter
fortwährenden Anfeindungen der ältern Schule, zur Anerkennung durchzukämpfen
suchte. Nachahmung der Natur hieß aber im damaligen Sinne nicht Kopiren
der Natur mit allen ihren gleichgiltigen und kleinlichen Einzelheiten, sondern
Darstellen der Natur in ihren großen allgemeinen Zügen, in ihrem wesent¬
lichen Stimmungsgehalt. Man wollte die Natur gar nicht so wiedergeben,
wie sie wirklich, objektiv betrachtet, war, sondern wie sie erschien, wie sie sich
dem Auge, dem seusibelu Küiistlerauge unter bestimmten Bedingungen, unter
einer bestimmten Beleuchtung darstellte. Der Impressionismus wurde immer¬
mehr das herrschende Kunstprinzip.

Und da boten die japanischen Farbenholzschnitte ein bis dahin ungeahntes
und geradezu imponirendes Vorbild dar. Hier hatte man ja das, was man
wollte, was man sich längst erträumt und ersehnt hatte: eine Kunst von offenbar
ganz naivem Charakter, die weder belehren, noch philosophische oder praktische
Gedanken anregen, sondern einfach darstellen, schildern, einen Natureindrnck
wiedergeben wollte. Eine Kunst, die nicht darauf ausging, das „Schöne"
darzustellen — ihre Gegenstände waren vielmehr oft recht „häßlich" —, sondern
deren Schönheit eben in der Lebendigkeit und Intimität bestand, mit der sie
die Natur auffaßte. Und wie wußten diese Künstler ihre Blumen und Vögel,
ihre Fische und Insekten zu charakterisiren, das Wesentliche der Erscheinung
zu erfassen, das, worauf es ankam, aus der Natur herauszuholen, mit wenigen
wirksamen Linien, in scharfer Markirung, scharfer Accentuirung hinzustellen!
Das war nicht Naturalismus im gewöhnlichen niedern Sinne, das war kunst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228395"/>
          <fw type="header" place="top"> Der japanische Farbenholzschnitt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> unmöglich gehaltnen neuen Stil zu erfinden, da griff man nach der japanischen<lb/>
Kunst wie nach einem rettenden Strohhalm, mit dessen Hilfe man sich noch<lb/>
eine Zeit lang über Wasser halten zu können hoffte. Das war doch wenigstens<lb/>
etwas, und zwar etwas andres, und in solchen verzweifelten Fällen ist jede<lb/>
Veränderung eine Verbesserung, mag sie sonst sein, welcher Art sie will.<lb/>
Vergeblich! Unsre neuste kunstgewerbliche Bewegung, über die ich den Lesern<lb/>
der Grenzboten vielleicht ein andermal Bericht erstatten werde, beweist, daß<lb/>
diese Hoffnung sich nicht bewährt hat, daß das Heil auf die Dauer überhaupt<lb/>
nicht in der Nachahmung liegen kann. Immerhin diente die dekorative Kunst<lb/>
der Japaner für eine gewisse Zeit als gute Schulung und hat insofern ihren<lb/>
Beruf wohl erfüllt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> Während es hier nun die dekorative Seite der japanischen Kunst war,<lb/>
die zur Bewundrung und Nachahmung reizte, war es beim japanischen Farben¬<lb/>
holzschnitt etwas ganz andres, nämlich der Naturalismus. Dies muß aber<lb/>
besonders betont werden, weil nur daraus die Begeisterung zu erklären ist,<lb/>
mit der die damaligen Maler sich dieser neu entdeckten Kunst zuwandten.<lb/>
Gerade als diese Blätter in Paris bekannt wurden, stand die französische<lb/>
Malerei unter dem Zeichen des Naturalismus. Die vielseitige und rücksichtslose<lb/>
Nachahmung der Natur, dabei ihre möglichst intime Auffassung, das war das<lb/>
Ideal der jungen Künstlergeneration, die sich etwa seit einem Jahrzehnt, unter<lb/>
fortwährenden Anfeindungen der ältern Schule, zur Anerkennung durchzukämpfen<lb/>
suchte. Nachahmung der Natur hieß aber im damaligen Sinne nicht Kopiren<lb/>
der Natur mit allen ihren gleichgiltigen und kleinlichen Einzelheiten, sondern<lb/>
Darstellen der Natur in ihren großen allgemeinen Zügen, in ihrem wesent¬<lb/>
lichen Stimmungsgehalt. Man wollte die Natur gar nicht so wiedergeben,<lb/>
wie sie wirklich, objektiv betrachtet, war, sondern wie sie erschien, wie sie sich<lb/>
dem Auge, dem seusibelu Küiistlerauge unter bestimmten Bedingungen, unter<lb/>
einer bestimmten Beleuchtung darstellte. Der Impressionismus wurde immer¬<lb/>
mehr das herrschende Kunstprinzip.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286" next="#ID_287"> Und da boten die japanischen Farbenholzschnitte ein bis dahin ungeahntes<lb/>
und geradezu imponirendes Vorbild dar. Hier hatte man ja das, was man<lb/>
wollte, was man sich längst erträumt und ersehnt hatte: eine Kunst von offenbar<lb/>
ganz naivem Charakter, die weder belehren, noch philosophische oder praktische<lb/>
Gedanken anregen, sondern einfach darstellen, schildern, einen Natureindrnck<lb/>
wiedergeben wollte. Eine Kunst, die nicht darauf ausging, das &#x201E;Schöne"<lb/>
darzustellen &#x2014; ihre Gegenstände waren vielmehr oft recht &#x201E;häßlich" &#x2014;, sondern<lb/>
deren Schönheit eben in der Lebendigkeit und Intimität bestand, mit der sie<lb/>
die Natur auffaßte. Und wie wußten diese Künstler ihre Blumen und Vögel,<lb/>
ihre Fische und Insekten zu charakterisiren, das Wesentliche der Erscheinung<lb/>
zu erfassen, das, worauf es ankam, aus der Natur herauszuholen, mit wenigen<lb/>
wirksamen Linien, in scharfer Markirung, scharfer Accentuirung hinzustellen!<lb/>
Das war nicht Naturalismus im gewöhnlichen niedern Sinne, das war kunst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Der japanische Farbenholzschnitt unmöglich gehaltnen neuen Stil zu erfinden, da griff man nach der japanischen Kunst wie nach einem rettenden Strohhalm, mit dessen Hilfe man sich noch eine Zeit lang über Wasser halten zu können hoffte. Das war doch wenigstens etwas, und zwar etwas andres, und in solchen verzweifelten Fällen ist jede Veränderung eine Verbesserung, mag sie sonst sein, welcher Art sie will. Vergeblich! Unsre neuste kunstgewerbliche Bewegung, über die ich den Lesern der Grenzboten vielleicht ein andermal Bericht erstatten werde, beweist, daß diese Hoffnung sich nicht bewährt hat, daß das Heil auf die Dauer überhaupt nicht in der Nachahmung liegen kann. Immerhin diente die dekorative Kunst der Japaner für eine gewisse Zeit als gute Schulung und hat insofern ihren Beruf wohl erfüllt. Während es hier nun die dekorative Seite der japanischen Kunst war, die zur Bewundrung und Nachahmung reizte, war es beim japanischen Farben¬ holzschnitt etwas ganz andres, nämlich der Naturalismus. Dies muß aber besonders betont werden, weil nur daraus die Begeisterung zu erklären ist, mit der die damaligen Maler sich dieser neu entdeckten Kunst zuwandten. Gerade als diese Blätter in Paris bekannt wurden, stand die französische Malerei unter dem Zeichen des Naturalismus. Die vielseitige und rücksichtslose Nachahmung der Natur, dabei ihre möglichst intime Auffassung, das war das Ideal der jungen Künstlergeneration, die sich etwa seit einem Jahrzehnt, unter fortwährenden Anfeindungen der ältern Schule, zur Anerkennung durchzukämpfen suchte. Nachahmung der Natur hieß aber im damaligen Sinne nicht Kopiren der Natur mit allen ihren gleichgiltigen und kleinlichen Einzelheiten, sondern Darstellen der Natur in ihren großen allgemeinen Zügen, in ihrem wesent¬ lichen Stimmungsgehalt. Man wollte die Natur gar nicht so wiedergeben, wie sie wirklich, objektiv betrachtet, war, sondern wie sie erschien, wie sie sich dem Auge, dem seusibelu Küiistlerauge unter bestimmten Bedingungen, unter einer bestimmten Beleuchtung darstellte. Der Impressionismus wurde immer¬ mehr das herrschende Kunstprinzip. Und da boten die japanischen Farbenholzschnitte ein bis dahin ungeahntes und geradezu imponirendes Vorbild dar. Hier hatte man ja das, was man wollte, was man sich längst erträumt und ersehnt hatte: eine Kunst von offenbar ganz naivem Charakter, die weder belehren, noch philosophische oder praktische Gedanken anregen, sondern einfach darstellen, schildern, einen Natureindrnck wiedergeben wollte. Eine Kunst, die nicht darauf ausging, das „Schöne" darzustellen — ihre Gegenstände waren vielmehr oft recht „häßlich" —, sondern deren Schönheit eben in der Lebendigkeit und Intimität bestand, mit der sie die Natur auffaßte. Und wie wußten diese Künstler ihre Blumen und Vögel, ihre Fische und Insekten zu charakterisiren, das Wesentliche der Erscheinung zu erfassen, das, worauf es ankam, aus der Natur herauszuholen, mit wenigen wirksamen Linien, in scharfer Markirung, scharfer Accentuirung hinzustellen! Das war nicht Naturalismus im gewöhnlichen niedern Sinne, das war kunst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/93>, abgerufen am 01.09.2024.