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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Aus Württemberg

für gut findet -- eine Forderung, deren Tragweite man nur dann richtig
würdigt, wenn man bedenkt, daß die katholische Kirche fo ziemlich das ganze
praktische Verhalten des Menschen als zur Religion gehörig ansieht. Die
Mönchsorden würden künftig ein breites Thor sür sich geöffnet sehen, und
wenn der Staat aus einem der zwei oben genannten Gründe etwa einmal Ein¬
sprache erheben wollte, so würde die katholische Kirche sofort sagen: Die evan¬
gelische Minderheit muß an dem und dem Ort eben hinter der katholischen
Mehrheit der Ortsbürger zurückstehen, und: Unsern Bedürfnissen entspricht die
vorhandne Zahl von Klöstern noch nicht. Beharrt dann der Staat auf seinem
Nein, so ist der Streit da. Was endlich die Volksschule betrifft, so kann bis
jetzt mit einfacher Mehrheit beider Kammern beschlossen werdeu, zur Simultan¬
schule überzugehen; künftig, wenn die Konfessionsschule in die Verfassung auf¬
genommen würde, wären dazu zwei Drittel der Stimmen erforderlich.

In den Tagen vom 11., 13. und 14. Mai hat nun die zweite Kammer
diese Anträge in vier langen Sitzungen (einmal ward nämlich sogar eine Abend-
sitzuug zu Hilfe genommen) beraten, und es sind dabei alle einschlägigen Er¬
wägungen ausführlich und genau erörtert worden. Auf katholischer Seite sagte
man: Die Verfassung verbürgt uns freie Religionsübung; zu dieser gehört die
Freiheit des Religionsunterrichts und das Ordenswesen, also gebt uns einfach
unser Recht! Demgegenüber erklärte der Kultusminister Dr. v. Sarwey, daß
zwar das kirchliche Recht des Bischofs, Orden einzuführen, unbestritten sei,
daß aber der Staat seinerseits das ebenso unzweifelhafte Recht habe, sich ver¬
neinend zu Verhalten; wenn er dieses Recht ausübe, so gelte der alte Satz:
Hui jurs 8no utiwr, usminsm lasäit. Das ist, rief da der Abgeordnete Grober,
eine schikanöse Ausübung des Rechts, und eine solche gilt überall für un-
erlaubt. Wirklich? fragte man ans evangelischer Seite dagegen. Ist es bloß
Bosheit und Gewaltsamkeit, daß wir den Staat sich gegen Männerorden sträuben
sehen? Hier erhielten nun der Papst und so und so viele unduldsame Bischöfe,
die seit Jahren unablässig den Protestantismus als Urquell von Revolution
und Entsittlichung ankläffen, ihre verdiente Antwort. Die württembergische
Landessynode hat im letzten Oktober gegen die Canisiusbulle Leos XIII. schneidig
protestirt; jetzt trat ihr der Landtag des Königreichs zur Seite. Wenn wir,
erklärte der evangelische Prälat v. Sandberger, wahrnehmen, daß man evan¬
gelische Ehen als ungiltig, die evangelische Taufe als unwirksam behandelt,
daß man römischerseits der ganzen evangelischen Bildung einen Krieg auf Tod
und Leben ankündigt, so müssen wir uns vorsehen. Der Papst will uns ver¬
nichten; die Mänuerorden sind nicht bloß Körperschaften zur religiösen Selbst¬
einkehr und zum Zweck wohlthätiger Bestrebungen, sondern sie sind die Miliz
der streitende" Kirche; es ist nur Notwehr, wenn ein zu 70 Prozent evan¬
gelisches Land ihnen seine Grenzen verschließt. Ähnlich äußerte sich der be¬
rühmte Tübinger Kirchenhistoriker Dr. Weizsäcker: Wir befinden uns noch in


Aus Württemberg

für gut findet — eine Forderung, deren Tragweite man nur dann richtig
würdigt, wenn man bedenkt, daß die katholische Kirche fo ziemlich das ganze
praktische Verhalten des Menschen als zur Religion gehörig ansieht. Die
Mönchsorden würden künftig ein breites Thor sür sich geöffnet sehen, und
wenn der Staat aus einem der zwei oben genannten Gründe etwa einmal Ein¬
sprache erheben wollte, so würde die katholische Kirche sofort sagen: Die evan¬
gelische Minderheit muß an dem und dem Ort eben hinter der katholischen
Mehrheit der Ortsbürger zurückstehen, und: Unsern Bedürfnissen entspricht die
vorhandne Zahl von Klöstern noch nicht. Beharrt dann der Staat auf seinem
Nein, so ist der Streit da. Was endlich die Volksschule betrifft, so kann bis
jetzt mit einfacher Mehrheit beider Kammern beschlossen werdeu, zur Simultan¬
schule überzugehen; künftig, wenn die Konfessionsschule in die Verfassung auf¬
genommen würde, wären dazu zwei Drittel der Stimmen erforderlich.

In den Tagen vom 11., 13. und 14. Mai hat nun die zweite Kammer
diese Anträge in vier langen Sitzungen (einmal ward nämlich sogar eine Abend-
sitzuug zu Hilfe genommen) beraten, und es sind dabei alle einschlägigen Er¬
wägungen ausführlich und genau erörtert worden. Auf katholischer Seite sagte
man: Die Verfassung verbürgt uns freie Religionsübung; zu dieser gehört die
Freiheit des Religionsunterrichts und das Ordenswesen, also gebt uns einfach
unser Recht! Demgegenüber erklärte der Kultusminister Dr. v. Sarwey, daß
zwar das kirchliche Recht des Bischofs, Orden einzuführen, unbestritten sei,
daß aber der Staat seinerseits das ebenso unzweifelhafte Recht habe, sich ver¬
neinend zu Verhalten; wenn er dieses Recht ausübe, so gelte der alte Satz:
Hui jurs 8no utiwr, usminsm lasäit. Das ist, rief da der Abgeordnete Grober,
eine schikanöse Ausübung des Rechts, und eine solche gilt überall für un-
erlaubt. Wirklich? fragte man ans evangelischer Seite dagegen. Ist es bloß
Bosheit und Gewaltsamkeit, daß wir den Staat sich gegen Männerorden sträuben
sehen? Hier erhielten nun der Papst und so und so viele unduldsame Bischöfe,
die seit Jahren unablässig den Protestantismus als Urquell von Revolution
und Entsittlichung ankläffen, ihre verdiente Antwort. Die württembergische
Landessynode hat im letzten Oktober gegen die Canisiusbulle Leos XIII. schneidig
protestirt; jetzt trat ihr der Landtag des Königreichs zur Seite. Wenn wir,
erklärte der evangelische Prälat v. Sandberger, wahrnehmen, daß man evan¬
gelische Ehen als ungiltig, die evangelische Taufe als unwirksam behandelt,
daß man römischerseits der ganzen evangelischen Bildung einen Krieg auf Tod
und Leben ankündigt, so müssen wir uns vorsehen. Der Papst will uns ver¬
nichten; die Mänuerorden sind nicht bloß Körperschaften zur religiösen Selbst¬
einkehr und zum Zweck wohlthätiger Bestrebungen, sondern sie sind die Miliz
der streitende» Kirche; es ist nur Notwehr, wenn ein zu 70 Prozent evan¬
gelisches Land ihnen seine Grenzen verschließt. Ähnlich äußerte sich der be¬
rühmte Tübinger Kirchenhistoriker Dr. Weizsäcker: Wir befinden uns noch in


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[0077] Aus Württemberg für gut findet — eine Forderung, deren Tragweite man nur dann richtig würdigt, wenn man bedenkt, daß die katholische Kirche fo ziemlich das ganze praktische Verhalten des Menschen als zur Religion gehörig ansieht. Die Mönchsorden würden künftig ein breites Thor sür sich geöffnet sehen, und wenn der Staat aus einem der zwei oben genannten Gründe etwa einmal Ein¬ sprache erheben wollte, so würde die katholische Kirche sofort sagen: Die evan¬ gelische Minderheit muß an dem und dem Ort eben hinter der katholischen Mehrheit der Ortsbürger zurückstehen, und: Unsern Bedürfnissen entspricht die vorhandne Zahl von Klöstern noch nicht. Beharrt dann der Staat auf seinem Nein, so ist der Streit da. Was endlich die Volksschule betrifft, so kann bis jetzt mit einfacher Mehrheit beider Kammern beschlossen werdeu, zur Simultan¬ schule überzugehen; künftig, wenn die Konfessionsschule in die Verfassung auf¬ genommen würde, wären dazu zwei Drittel der Stimmen erforderlich. In den Tagen vom 11., 13. und 14. Mai hat nun die zweite Kammer diese Anträge in vier langen Sitzungen (einmal ward nämlich sogar eine Abend- sitzuug zu Hilfe genommen) beraten, und es sind dabei alle einschlägigen Er¬ wägungen ausführlich und genau erörtert worden. Auf katholischer Seite sagte man: Die Verfassung verbürgt uns freie Religionsübung; zu dieser gehört die Freiheit des Religionsunterrichts und das Ordenswesen, also gebt uns einfach unser Recht! Demgegenüber erklärte der Kultusminister Dr. v. Sarwey, daß zwar das kirchliche Recht des Bischofs, Orden einzuführen, unbestritten sei, daß aber der Staat seinerseits das ebenso unzweifelhafte Recht habe, sich ver¬ neinend zu Verhalten; wenn er dieses Recht ausübe, so gelte der alte Satz: Hui jurs 8no utiwr, usminsm lasäit. Das ist, rief da der Abgeordnete Grober, eine schikanöse Ausübung des Rechts, und eine solche gilt überall für un- erlaubt. Wirklich? fragte man ans evangelischer Seite dagegen. Ist es bloß Bosheit und Gewaltsamkeit, daß wir den Staat sich gegen Männerorden sträuben sehen? Hier erhielten nun der Papst und so und so viele unduldsame Bischöfe, die seit Jahren unablässig den Protestantismus als Urquell von Revolution und Entsittlichung ankläffen, ihre verdiente Antwort. Die württembergische Landessynode hat im letzten Oktober gegen die Canisiusbulle Leos XIII. schneidig protestirt; jetzt trat ihr der Landtag des Königreichs zur Seite. Wenn wir, erklärte der evangelische Prälat v. Sandberger, wahrnehmen, daß man evan¬ gelische Ehen als ungiltig, die evangelische Taufe als unwirksam behandelt, daß man römischerseits der ganzen evangelischen Bildung einen Krieg auf Tod und Leben ankündigt, so müssen wir uns vorsehen. Der Papst will uns ver¬ nichten; die Mänuerorden sind nicht bloß Körperschaften zur religiösen Selbst¬ einkehr und zum Zweck wohlthätiger Bestrebungen, sondern sie sind die Miliz der streitende» Kirche; es ist nur Notwehr, wenn ein zu 70 Prozent evan¬ gelisches Land ihnen seine Grenzen verschließt. Ähnlich äußerte sich der be¬ rühmte Tübinger Kirchenhistoriker Dr. Weizsäcker: Wir befinden uns noch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/77>, abgerufen am 28.07.2024.