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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie im Beamtentum

strecken die Waffen! Dann würde der Beweis dafür erbracht sein, daß die,
denen der Kampf obliegt, die einzig wirksame Waffe nicht kennen oder nicht
führen wollen, und daß sie deshalb kein Recht haben, zum Kampf aufzufordern.
Gott bewahre uns vor diesem Unglück. Wenn die Verantwortlicher Leiter der
Beamtenschaft das Verständnis für die ausschlaggebende Macht des Wohl¬
wollens der Vorgesetzten gegen den Untergebnen wirklich für immer verloren
haben sollten, dann müßte man sich freilich sür Koalitionen und Aufstände
in der Beamtenschaft erwärmen. Und das hieße der Sozialdemokratie das
Feld räumen.

Es liegt auf der Hand, daß der materialistisch-kaufmännische Geist, der
seit einem Menschenalter gerade unter den sogenannten Gebildeten zur Herr¬
schaft gelangt ist, den Patriarchalismus vernichten mußte, der in der Beamten¬
hierarchie im Interesse des Wohlbefindens der großen Masse der Untergebnen
ganz unentbehrlich ist. Den einzelnen Vorgesetzten, auch denen an leitender
Stelle, wird kaum ein Vorwurf daraus gemacht werden können, wenn sie sich,
vom Zeitgeist beherrscht, gewöhnten, in den Untergebnen nur noch die bezahlten
Arbeitskräfte zu sehen, die dienstlich möglichst auszunutzen seien, und wenn sie
sich um die Personen so gut wie gar nicht kümmerten. Das hat sich im
einzelnen verschieden vollzogen, im ganzen kommt immer dasselbe heraus. Wie
sich der Großunternehmer bemühte, die Fürsorge und die Verantwortung für
die Person des Arbeiters möglichst loszuwerden, so schien es z. B. vielfach
dem Oberbeamten zweckmüßig, zwischen sich und den Mittel- und Unterbeamten
möglichst jede Beziehung abzubrechen und nur mit "Zwischenmeistern" zu ar¬
beiten. Die Behandlung, die Erziehung, die Disziplin kam damit natürlich
immer mehr in subalterne Hände, die im allereigensten Interesse wieder die
Kluft zwischen oben und unten immer unüberschreitbarer machten. Die Schablone,
der Schematismus wurde dadurch immer mächtiger, die Persönlichkeit und ihre
besondre Begabung, Neigung, Strebsamkeit fand immer weniger Beachtung,
immer weniger Raum, sich zu bethätigen. Nach oben galt es, alle unbequemen
Fragen fernzuhalten, nach unten die Leistung des Apparats ohne Rücksicht auf
Nebenfragen aufs höchste anzuspannen. Nur keine besondre Rücksicht, kein Unter¬
schied, kein Individualisiren! Natürlich wuchs damit die Gepflogenheit des
höhern Beamten, jeden Versuch des Einzelnen, den Bann der Subalternen¬
allmacht zu durchbrechen, im Interesse des Dienstes, d.h. zur Wahrung der
Autorität der Zwischenmeister, energisch zurückzuweisen. Hat man in unsern
hohen Reichsämtern wirklich noch nicht bemerkt, wie furchtbar böses Blut dieser
Zustand macht, wo er um sich greift, wie schwer das dienstliche Interesse da¬
durch auf die Dauer geschädigt wird? Hat man wirklich dort keine Ahnung,
wie trefflich eine solche Zwischenmeisterwirtschaft den Boden für die sozial¬
demokratische Befruchtung vorbereitet? Will man nicht sehen und hören?

Schon dieses eine Beispiel weist darauf hin, wie gerade der Mangel an


Die Sozialdemokratie im Beamtentum

strecken die Waffen! Dann würde der Beweis dafür erbracht sein, daß die,
denen der Kampf obliegt, die einzig wirksame Waffe nicht kennen oder nicht
führen wollen, und daß sie deshalb kein Recht haben, zum Kampf aufzufordern.
Gott bewahre uns vor diesem Unglück. Wenn die Verantwortlicher Leiter der
Beamtenschaft das Verständnis für die ausschlaggebende Macht des Wohl¬
wollens der Vorgesetzten gegen den Untergebnen wirklich für immer verloren
haben sollten, dann müßte man sich freilich sür Koalitionen und Aufstände
in der Beamtenschaft erwärmen. Und das hieße der Sozialdemokratie das
Feld räumen.

Es liegt auf der Hand, daß der materialistisch-kaufmännische Geist, der
seit einem Menschenalter gerade unter den sogenannten Gebildeten zur Herr¬
schaft gelangt ist, den Patriarchalismus vernichten mußte, der in der Beamten¬
hierarchie im Interesse des Wohlbefindens der großen Masse der Untergebnen
ganz unentbehrlich ist. Den einzelnen Vorgesetzten, auch denen an leitender
Stelle, wird kaum ein Vorwurf daraus gemacht werden können, wenn sie sich,
vom Zeitgeist beherrscht, gewöhnten, in den Untergebnen nur noch die bezahlten
Arbeitskräfte zu sehen, die dienstlich möglichst auszunutzen seien, und wenn sie
sich um die Personen so gut wie gar nicht kümmerten. Das hat sich im
einzelnen verschieden vollzogen, im ganzen kommt immer dasselbe heraus. Wie
sich der Großunternehmer bemühte, die Fürsorge und die Verantwortung für
die Person des Arbeiters möglichst loszuwerden, so schien es z. B. vielfach
dem Oberbeamten zweckmüßig, zwischen sich und den Mittel- und Unterbeamten
möglichst jede Beziehung abzubrechen und nur mit „Zwischenmeistern" zu ar¬
beiten. Die Behandlung, die Erziehung, die Disziplin kam damit natürlich
immer mehr in subalterne Hände, die im allereigensten Interesse wieder die
Kluft zwischen oben und unten immer unüberschreitbarer machten. Die Schablone,
der Schematismus wurde dadurch immer mächtiger, die Persönlichkeit und ihre
besondre Begabung, Neigung, Strebsamkeit fand immer weniger Beachtung,
immer weniger Raum, sich zu bethätigen. Nach oben galt es, alle unbequemen
Fragen fernzuhalten, nach unten die Leistung des Apparats ohne Rücksicht auf
Nebenfragen aufs höchste anzuspannen. Nur keine besondre Rücksicht, kein Unter¬
schied, kein Individualisiren! Natürlich wuchs damit die Gepflogenheit des
höhern Beamten, jeden Versuch des Einzelnen, den Bann der Subalternen¬
allmacht zu durchbrechen, im Interesse des Dienstes, d.h. zur Wahrung der
Autorität der Zwischenmeister, energisch zurückzuweisen. Hat man in unsern
hohen Reichsämtern wirklich noch nicht bemerkt, wie furchtbar böses Blut dieser
Zustand macht, wo er um sich greift, wie schwer das dienstliche Interesse da¬
durch auf die Dauer geschädigt wird? Hat man wirklich dort keine Ahnung,
wie trefflich eine solche Zwischenmeisterwirtschaft den Boden für die sozial¬
demokratische Befruchtung vorbereitet? Will man nicht sehen und hören?

Schon dieses eine Beispiel weist darauf hin, wie gerade der Mangel an


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[0071] Die Sozialdemokratie im Beamtentum strecken die Waffen! Dann würde der Beweis dafür erbracht sein, daß die, denen der Kampf obliegt, die einzig wirksame Waffe nicht kennen oder nicht führen wollen, und daß sie deshalb kein Recht haben, zum Kampf aufzufordern. Gott bewahre uns vor diesem Unglück. Wenn die Verantwortlicher Leiter der Beamtenschaft das Verständnis für die ausschlaggebende Macht des Wohl¬ wollens der Vorgesetzten gegen den Untergebnen wirklich für immer verloren haben sollten, dann müßte man sich freilich sür Koalitionen und Aufstände in der Beamtenschaft erwärmen. Und das hieße der Sozialdemokratie das Feld räumen. Es liegt auf der Hand, daß der materialistisch-kaufmännische Geist, der seit einem Menschenalter gerade unter den sogenannten Gebildeten zur Herr¬ schaft gelangt ist, den Patriarchalismus vernichten mußte, der in der Beamten¬ hierarchie im Interesse des Wohlbefindens der großen Masse der Untergebnen ganz unentbehrlich ist. Den einzelnen Vorgesetzten, auch denen an leitender Stelle, wird kaum ein Vorwurf daraus gemacht werden können, wenn sie sich, vom Zeitgeist beherrscht, gewöhnten, in den Untergebnen nur noch die bezahlten Arbeitskräfte zu sehen, die dienstlich möglichst auszunutzen seien, und wenn sie sich um die Personen so gut wie gar nicht kümmerten. Das hat sich im einzelnen verschieden vollzogen, im ganzen kommt immer dasselbe heraus. Wie sich der Großunternehmer bemühte, die Fürsorge und die Verantwortung für die Person des Arbeiters möglichst loszuwerden, so schien es z. B. vielfach dem Oberbeamten zweckmüßig, zwischen sich und den Mittel- und Unterbeamten möglichst jede Beziehung abzubrechen und nur mit „Zwischenmeistern" zu ar¬ beiten. Die Behandlung, die Erziehung, die Disziplin kam damit natürlich immer mehr in subalterne Hände, die im allereigensten Interesse wieder die Kluft zwischen oben und unten immer unüberschreitbarer machten. Die Schablone, der Schematismus wurde dadurch immer mächtiger, die Persönlichkeit und ihre besondre Begabung, Neigung, Strebsamkeit fand immer weniger Beachtung, immer weniger Raum, sich zu bethätigen. Nach oben galt es, alle unbequemen Fragen fernzuhalten, nach unten die Leistung des Apparats ohne Rücksicht auf Nebenfragen aufs höchste anzuspannen. Nur keine besondre Rücksicht, kein Unter¬ schied, kein Individualisiren! Natürlich wuchs damit die Gepflogenheit des höhern Beamten, jeden Versuch des Einzelnen, den Bann der Subalternen¬ allmacht zu durchbrechen, im Interesse des Dienstes, d.h. zur Wahrung der Autorität der Zwischenmeister, energisch zurückzuweisen. Hat man in unsern hohen Reichsämtern wirklich noch nicht bemerkt, wie furchtbar böses Blut dieser Zustand macht, wo er um sich greift, wie schwer das dienstliche Interesse da¬ durch auf die Dauer geschädigt wird? Hat man wirklich dort keine Ahnung, wie trefflich eine solche Zwischenmeisterwirtschaft den Boden für die sozial¬ demokratische Befruchtung vorbereitet? Will man nicht sehen und hören? Schon dieses eine Beispiel weist darauf hin, wie gerade der Mangel an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/71>, abgerufen am 28.07.2024.