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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelalterliches Bauernleben

wenigstens die ärmern, um die Erhaltung des Nachwuchses sehr besorgt; ihre
Frauen müssen bis zur Niederkunft schwer arbeiten und müssen womöglich
schon am dritten Tage wieder aus dem Bett, sind auch vor Roheiten des
Mannes nicht sicher. Die Kinder wurden im Mittelalter gegen Mißhandlungen
geschützt; wer sie blutig schlug, wurde bestraft, und den Eltern gab man den
Rat, sie niemals, auch mit der Hand nicht, an den Kopf zu schlagen, damit
sie nicht "Thoren" würden. Auch das Vieh menschlich zu behandeln wurde
als Pflicht anerkannt, obwohl bei den Vorschriften, die dieses betreffen, das
Interesse, Vermögensschädigungen abzuwenden, mitgewirkt haben mag. Der
Schweinehirt soll gegen seine Schutzbefohlnen "nicht grob sein," keine großen
"pengel," Stecken oder Geißeln führen und sie nicht mit Steinen werfen, und
je "wüster" diese Tiere stinken, desto reinlicher und trockner soll man ihren
Stall halten, und desto eifriger soll man für reine Luft darin sorgen. Versagt
ein Stück Vieh bei der Arbeit den Dienst, so soll der Knecht nicht zornig
werden und auf das Tier losschlagen, sondern es in den Stall führen, daß
es gepflegt werde. In der geschlossenen Zeit -- die Wiesen wurden ein paar
Monate im Sommer gesperrt -- durfte niemand sein Vieh auf die Weide
treiben; war aber einem Bauern in dieser Zeit ein Stück Vieh auf seine Wiese
eingebrochen, so sollte er es nicht schlagen oder stoßen, sondern "tugenlich"
hinaustreiben. Das Gesinde war keineswegs der Willkür des Herrn preis¬
gegeben, sondern sein Lohn, seine sehr reichliche Kost und gute Behandlung
waren ihm gesichert; wurde es in irgend einer Weise verkürzt, so hatte es ein
Klagerecht. Der vortrefflichsten Naturalverpflegung hatten sich anch die Zins¬
bauern zu erfreuen, die ihren eignen Zins oder den ihrer Gemeinde auf den
Hof brachten; nicht selten überstiegen die Gegengaben, auf die sie Anspruch
hatten, den Wert der Abgabe. Viele von den Vorschriften über die Zins¬
lieferung sind in dem drolligen Märchenstile gehalten, den das deutsche Mittel¬
alter liebte. So wurde der Bote, der dem Freiherrn von Buchenem die
36 Heller der Gemeinde Salzberg zu überbringen hatte -- man nannte ihn
das Walpertsmännchen --, drei Tage lang mit Speisen und Getränken be¬
wirtet; schlief er dabei nicht ein, so mußten ihn die Zinsherren lebenslang
verpflegen. An einem andern Orte gab es außer der Bewirtung auch noch
Geld, Tuch zu Hosen und neue Schuhe und mußten die Zinsbringer des Nachts
in den Schlaf gegeigt werden. ,

Daß dieser Zartheit in der Behandlung von Frauen, Kindern und Vieh,
von Gesinde und Frönern eine Mitunter ungeheuerliche Grausamkeit in Strafen,
Roheit und Unflätigkeit in den Sitten, namentlich bei den Schmausereien und
Tänzen und in der Volkslitteratur, gegenüberstanden, ist allgemein bekannt
und wird durch die in der vorliegenden Schrift mitgeteilten Beispiele aufs
neue beleuchtet und bestätigt. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten
des mittelalterlichen Volkslebens dürfte jedoch mir scheinbar sein. Dieselbe


Mittelalterliches Bauernleben

wenigstens die ärmern, um die Erhaltung des Nachwuchses sehr besorgt; ihre
Frauen müssen bis zur Niederkunft schwer arbeiten und müssen womöglich
schon am dritten Tage wieder aus dem Bett, sind auch vor Roheiten des
Mannes nicht sicher. Die Kinder wurden im Mittelalter gegen Mißhandlungen
geschützt; wer sie blutig schlug, wurde bestraft, und den Eltern gab man den
Rat, sie niemals, auch mit der Hand nicht, an den Kopf zu schlagen, damit
sie nicht „Thoren" würden. Auch das Vieh menschlich zu behandeln wurde
als Pflicht anerkannt, obwohl bei den Vorschriften, die dieses betreffen, das
Interesse, Vermögensschädigungen abzuwenden, mitgewirkt haben mag. Der
Schweinehirt soll gegen seine Schutzbefohlnen „nicht grob sein," keine großen
„pengel," Stecken oder Geißeln führen und sie nicht mit Steinen werfen, und
je „wüster" diese Tiere stinken, desto reinlicher und trockner soll man ihren
Stall halten, und desto eifriger soll man für reine Luft darin sorgen. Versagt
ein Stück Vieh bei der Arbeit den Dienst, so soll der Knecht nicht zornig
werden und auf das Tier losschlagen, sondern es in den Stall führen, daß
es gepflegt werde. In der geschlossenen Zeit — die Wiesen wurden ein paar
Monate im Sommer gesperrt — durfte niemand sein Vieh auf die Weide
treiben; war aber einem Bauern in dieser Zeit ein Stück Vieh auf seine Wiese
eingebrochen, so sollte er es nicht schlagen oder stoßen, sondern „tugenlich"
hinaustreiben. Das Gesinde war keineswegs der Willkür des Herrn preis¬
gegeben, sondern sein Lohn, seine sehr reichliche Kost und gute Behandlung
waren ihm gesichert; wurde es in irgend einer Weise verkürzt, so hatte es ein
Klagerecht. Der vortrefflichsten Naturalverpflegung hatten sich anch die Zins¬
bauern zu erfreuen, die ihren eignen Zins oder den ihrer Gemeinde auf den
Hof brachten; nicht selten überstiegen die Gegengaben, auf die sie Anspruch
hatten, den Wert der Abgabe. Viele von den Vorschriften über die Zins¬
lieferung sind in dem drolligen Märchenstile gehalten, den das deutsche Mittel¬
alter liebte. So wurde der Bote, der dem Freiherrn von Buchenem die
36 Heller der Gemeinde Salzberg zu überbringen hatte — man nannte ihn
das Walpertsmännchen —, drei Tage lang mit Speisen und Getränken be¬
wirtet; schlief er dabei nicht ein, so mußten ihn die Zinsherren lebenslang
verpflegen. An einem andern Orte gab es außer der Bewirtung auch noch
Geld, Tuch zu Hosen und neue Schuhe und mußten die Zinsbringer des Nachts
in den Schlaf gegeigt werden. ,

Daß dieser Zartheit in der Behandlung von Frauen, Kindern und Vieh,
von Gesinde und Frönern eine Mitunter ungeheuerliche Grausamkeit in Strafen,
Roheit und Unflätigkeit in den Sitten, namentlich bei den Schmausereien und
Tänzen und in der Volkslitteratur, gegenüberstanden, ist allgemein bekannt
und wird durch die in der vorliegenden Schrift mitgeteilten Beispiele aufs
neue beleuchtet und bestätigt. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten
des mittelalterlichen Volkslebens dürfte jedoch mir scheinbar sein. Dieselbe


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[0064] Mittelalterliches Bauernleben wenigstens die ärmern, um die Erhaltung des Nachwuchses sehr besorgt; ihre Frauen müssen bis zur Niederkunft schwer arbeiten und müssen womöglich schon am dritten Tage wieder aus dem Bett, sind auch vor Roheiten des Mannes nicht sicher. Die Kinder wurden im Mittelalter gegen Mißhandlungen geschützt; wer sie blutig schlug, wurde bestraft, und den Eltern gab man den Rat, sie niemals, auch mit der Hand nicht, an den Kopf zu schlagen, damit sie nicht „Thoren" würden. Auch das Vieh menschlich zu behandeln wurde als Pflicht anerkannt, obwohl bei den Vorschriften, die dieses betreffen, das Interesse, Vermögensschädigungen abzuwenden, mitgewirkt haben mag. Der Schweinehirt soll gegen seine Schutzbefohlnen „nicht grob sein," keine großen „pengel," Stecken oder Geißeln führen und sie nicht mit Steinen werfen, und je „wüster" diese Tiere stinken, desto reinlicher und trockner soll man ihren Stall halten, und desto eifriger soll man für reine Luft darin sorgen. Versagt ein Stück Vieh bei der Arbeit den Dienst, so soll der Knecht nicht zornig werden und auf das Tier losschlagen, sondern es in den Stall führen, daß es gepflegt werde. In der geschlossenen Zeit — die Wiesen wurden ein paar Monate im Sommer gesperrt — durfte niemand sein Vieh auf die Weide treiben; war aber einem Bauern in dieser Zeit ein Stück Vieh auf seine Wiese eingebrochen, so sollte er es nicht schlagen oder stoßen, sondern „tugenlich" hinaustreiben. Das Gesinde war keineswegs der Willkür des Herrn preis¬ gegeben, sondern sein Lohn, seine sehr reichliche Kost und gute Behandlung waren ihm gesichert; wurde es in irgend einer Weise verkürzt, so hatte es ein Klagerecht. Der vortrefflichsten Naturalverpflegung hatten sich anch die Zins¬ bauern zu erfreuen, die ihren eignen Zins oder den ihrer Gemeinde auf den Hof brachten; nicht selten überstiegen die Gegengaben, auf die sie Anspruch hatten, den Wert der Abgabe. Viele von den Vorschriften über die Zins¬ lieferung sind in dem drolligen Märchenstile gehalten, den das deutsche Mittel¬ alter liebte. So wurde der Bote, der dem Freiherrn von Buchenem die 36 Heller der Gemeinde Salzberg zu überbringen hatte — man nannte ihn das Walpertsmännchen —, drei Tage lang mit Speisen und Getränken be¬ wirtet; schlief er dabei nicht ein, so mußten ihn die Zinsherren lebenslang verpflegen. An einem andern Orte gab es außer der Bewirtung auch noch Geld, Tuch zu Hosen und neue Schuhe und mußten die Zinsbringer des Nachts in den Schlaf gegeigt werden. , Daß dieser Zartheit in der Behandlung von Frauen, Kindern und Vieh, von Gesinde und Frönern eine Mitunter ungeheuerliche Grausamkeit in Strafen, Roheit und Unflätigkeit in den Sitten, namentlich bei den Schmausereien und Tänzen und in der Volkslitteratur, gegenüberstanden, ist allgemein bekannt und wird durch die in der vorliegenden Schrift mitgeteilten Beispiele aufs neue beleuchtet und bestätigt. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten des mittelalterlichen Volkslebens dürfte jedoch mir scheinbar sein. Dieselbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/64>, abgerufen am 28.07.2024.