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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelalterliches Banenileben

geringen Wert hatten), und wie weit natürliche Gutmütigkeit und christliche
Gottesfurcht mitwirkten. Gutmütigkeit liegt zweifellos im deutschen Volks¬
charakter, wenn sie auch nicht stark genug ist, sich gegen widerstreitende Inter¬
essen durchzusetzen. Der Einfluß der Bibel aber ist in manchen Vorschriften
unverkennbar, z. B. daß, wer im Vorübergehen Feld- und Gartenfrüchte ab¬
pflückt und genießt, nicht als Dieb angesehen werden solle; nur mit fortnehmen
dürfe man nichts; auch darf der Bauer sein hungerndes Pferd mit den Vorder-
füßen in eines andern Acker treten und fressen lassen, aber nichts auf seinen
Wagen laden. Namentlich schwangern Frauen wird erlaubt, sich aus Feld
und Garten, aus Wald und Bach zu nehmen oder sich holen zu lassen, wonach
sie gelüstet. Überhaupt ist die Rücksicht, die man auf Schwangere und Wöch¬
nerinnen, sowie auf Kinder nimmt, geradezu zart zu nennen. Daß im all¬
gemeinen dem Hörigen sein Hausrecht gewahrt wurde, und daß der Fronbote
meistens, wenn er den Zins erhob, draußen vorm Gatter stehen bleiben mußte,
ist früher schon erwähnt worden. Manche Weistümer schreiben aber auch noch
vor, die Zinserhebung müsse "so gnediglich, geruhelich und still" geschehen, daß
weder der Hahn auf dem Gatter erschreckt, noch das Kind in der Wiege geweckt
werde. Lag die Frau des Zinspflichtigen gerade im Kindbette, so mußte der
Frvnbote das Zinshuhn der Frau geben, nachdem er ihm den Kopf abgerissen
hatte, den er als Wahrzeichen mitnahm. Hatte der zum Kriegsdienst ver¬
pflichtete Bauer eine Kindbetterin im Hause, dann durfte er bloß soweit mit¬
ziehen, daß er des Abends wieder daheim sein konnte. Das Vorrecht der
Schwangern, sich Obst und Gemüse aus fremden Gärten zu nehmen und durch
ihren Mann Wild und Fisch holen zu lassen, so viel sie gelüstete, ist schon
erwähnt worden. War die Frau entbunden, und es fehlte an Brot oder
Wein im Hause, so waren Bäcker und Gastwirt verpflichtet, ihrem Boten mitten
in der Nacht zu geben, was sie verlangte. Wollte der Verkäufer uicht auf¬
stehe", so sollte der Bote die Ware nehmen und das Geld oder Pfand auf
ein Faß legen. Der Amtmann hat der Wöchnerin Holz zu liefern, bei der
Geburt eines Knaben ein Fuder, "ists eine Tochter, einen Karren," daß sie
das Kindlein fleißig baden könne. Wird dem fronenden Bauer auf dem Acker
die Niederkunft seiner Frau gemeldet, so soll er die Pferde ausspannen, nach
Hause ziehen und seiner Frau etwas zu gute thun, "damit sie ihm seinen
jungen Bauern desto besser säugen und erziehen könne." Die Kinder wurden
sehr lange gesäugt. Es macht eben einen bedeutenden Unterschied, ob das
Kleine in der Wiege ein junger Bauer ist oder ein junger Proletarier, ob er
Erbe eines Gutes und eines Ranges oder Standes ist -- die Bauern waren
sich ihrer Bedeutung für das Volk, das sie ja eigentlich ausmachten, wohl
bewußt und waren stolz darauf --, sodaß an seiner Erhaltung etwas liegt,
oder ob es ein fürs Elend vorausbestimmtes Geschöpf ist, an dessen Erhaltung
gar nichts liegt. Heut siud hie und da nicht einmal die Bauern mehr,


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geringen Wert hatten), und wie weit natürliche Gutmütigkeit und christliche
Gottesfurcht mitwirkten. Gutmütigkeit liegt zweifellos im deutschen Volks¬
charakter, wenn sie auch nicht stark genug ist, sich gegen widerstreitende Inter¬
essen durchzusetzen. Der Einfluß der Bibel aber ist in manchen Vorschriften
unverkennbar, z. B. daß, wer im Vorübergehen Feld- und Gartenfrüchte ab¬
pflückt und genießt, nicht als Dieb angesehen werden solle; nur mit fortnehmen
dürfe man nichts; auch darf der Bauer sein hungerndes Pferd mit den Vorder-
füßen in eines andern Acker treten und fressen lassen, aber nichts auf seinen
Wagen laden. Namentlich schwangern Frauen wird erlaubt, sich aus Feld
und Garten, aus Wald und Bach zu nehmen oder sich holen zu lassen, wonach
sie gelüstet. Überhaupt ist die Rücksicht, die man auf Schwangere und Wöch¬
nerinnen, sowie auf Kinder nimmt, geradezu zart zu nennen. Daß im all¬
gemeinen dem Hörigen sein Hausrecht gewahrt wurde, und daß der Fronbote
meistens, wenn er den Zins erhob, draußen vorm Gatter stehen bleiben mußte,
ist früher schon erwähnt worden. Manche Weistümer schreiben aber auch noch
vor, die Zinserhebung müsse „so gnediglich, geruhelich und still" geschehen, daß
weder der Hahn auf dem Gatter erschreckt, noch das Kind in der Wiege geweckt
werde. Lag die Frau des Zinspflichtigen gerade im Kindbette, so mußte der
Frvnbote das Zinshuhn der Frau geben, nachdem er ihm den Kopf abgerissen
hatte, den er als Wahrzeichen mitnahm. Hatte der zum Kriegsdienst ver¬
pflichtete Bauer eine Kindbetterin im Hause, dann durfte er bloß soweit mit¬
ziehen, daß er des Abends wieder daheim sein konnte. Das Vorrecht der
Schwangern, sich Obst und Gemüse aus fremden Gärten zu nehmen und durch
ihren Mann Wild und Fisch holen zu lassen, so viel sie gelüstete, ist schon
erwähnt worden. War die Frau entbunden, und es fehlte an Brot oder
Wein im Hause, so waren Bäcker und Gastwirt verpflichtet, ihrem Boten mitten
in der Nacht zu geben, was sie verlangte. Wollte der Verkäufer uicht auf¬
stehe», so sollte der Bote die Ware nehmen und das Geld oder Pfand auf
ein Faß legen. Der Amtmann hat der Wöchnerin Holz zu liefern, bei der
Geburt eines Knaben ein Fuder, „ists eine Tochter, einen Karren," daß sie
das Kindlein fleißig baden könne. Wird dem fronenden Bauer auf dem Acker
die Niederkunft seiner Frau gemeldet, so soll er die Pferde ausspannen, nach
Hause ziehen und seiner Frau etwas zu gute thun, „damit sie ihm seinen
jungen Bauern desto besser säugen und erziehen könne." Die Kinder wurden
sehr lange gesäugt. Es macht eben einen bedeutenden Unterschied, ob das
Kleine in der Wiege ein junger Bauer ist oder ein junger Proletarier, ob er
Erbe eines Gutes und eines Ranges oder Standes ist — die Bauern waren
sich ihrer Bedeutung für das Volk, das sie ja eigentlich ausmachten, wohl
bewußt und waren stolz darauf —, sodaß an seiner Erhaltung etwas liegt,
oder ob es ein fürs Elend vorausbestimmtes Geschöpf ist, an dessen Erhaltung
gar nichts liegt. Heut siud hie und da nicht einmal die Bauern mehr,


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[0063] Mittelalterliches Banenileben geringen Wert hatten), und wie weit natürliche Gutmütigkeit und christliche Gottesfurcht mitwirkten. Gutmütigkeit liegt zweifellos im deutschen Volks¬ charakter, wenn sie auch nicht stark genug ist, sich gegen widerstreitende Inter¬ essen durchzusetzen. Der Einfluß der Bibel aber ist in manchen Vorschriften unverkennbar, z. B. daß, wer im Vorübergehen Feld- und Gartenfrüchte ab¬ pflückt und genießt, nicht als Dieb angesehen werden solle; nur mit fortnehmen dürfe man nichts; auch darf der Bauer sein hungerndes Pferd mit den Vorder- füßen in eines andern Acker treten und fressen lassen, aber nichts auf seinen Wagen laden. Namentlich schwangern Frauen wird erlaubt, sich aus Feld und Garten, aus Wald und Bach zu nehmen oder sich holen zu lassen, wonach sie gelüstet. Überhaupt ist die Rücksicht, die man auf Schwangere und Wöch¬ nerinnen, sowie auf Kinder nimmt, geradezu zart zu nennen. Daß im all¬ gemeinen dem Hörigen sein Hausrecht gewahrt wurde, und daß der Fronbote meistens, wenn er den Zins erhob, draußen vorm Gatter stehen bleiben mußte, ist früher schon erwähnt worden. Manche Weistümer schreiben aber auch noch vor, die Zinserhebung müsse „so gnediglich, geruhelich und still" geschehen, daß weder der Hahn auf dem Gatter erschreckt, noch das Kind in der Wiege geweckt werde. Lag die Frau des Zinspflichtigen gerade im Kindbette, so mußte der Frvnbote das Zinshuhn der Frau geben, nachdem er ihm den Kopf abgerissen hatte, den er als Wahrzeichen mitnahm. Hatte der zum Kriegsdienst ver¬ pflichtete Bauer eine Kindbetterin im Hause, dann durfte er bloß soweit mit¬ ziehen, daß er des Abends wieder daheim sein konnte. Das Vorrecht der Schwangern, sich Obst und Gemüse aus fremden Gärten zu nehmen und durch ihren Mann Wild und Fisch holen zu lassen, so viel sie gelüstete, ist schon erwähnt worden. War die Frau entbunden, und es fehlte an Brot oder Wein im Hause, so waren Bäcker und Gastwirt verpflichtet, ihrem Boten mitten in der Nacht zu geben, was sie verlangte. Wollte der Verkäufer uicht auf¬ stehe», so sollte der Bote die Ware nehmen und das Geld oder Pfand auf ein Faß legen. Der Amtmann hat der Wöchnerin Holz zu liefern, bei der Geburt eines Knaben ein Fuder, „ists eine Tochter, einen Karren," daß sie das Kindlein fleißig baden könne. Wird dem fronenden Bauer auf dem Acker die Niederkunft seiner Frau gemeldet, so soll er die Pferde ausspannen, nach Hause ziehen und seiner Frau etwas zu gute thun, „damit sie ihm seinen jungen Bauern desto besser säugen und erziehen könne." Die Kinder wurden sehr lange gesäugt. Es macht eben einen bedeutenden Unterschied, ob das Kleine in der Wiege ein junger Bauer ist oder ein junger Proletarier, ob er Erbe eines Gutes und eines Ranges oder Standes ist — die Bauern waren sich ihrer Bedeutung für das Volk, das sie ja eigentlich ausmachten, wohl bewußt und waren stolz darauf —, sodaß an seiner Erhaltung etwas liegt, oder ob es ein fürs Elend vorausbestimmtes Geschöpf ist, an dessen Erhaltung gar nichts liegt. Heut siud hie und da nicht einmal die Bauern mehr,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/63>, abgerufen am 28.07.2024.