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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Below gegen Lamprecht

Genau so verhält es sich mit einem Satze Hasbachs, den Below an
zweiter Stelle zitirt. Hasbach sagt da bei einer summarischen Darstellung der
Reaktion gegen den Rationalismus vor hundert Jahren ganz richtig: "Das
historisch Gewordne in Sprache, Sitte, Gewohnheit, Recht, Gesellschaft und
Staat mußte die Autorität erlangen, die ihm gebührte." Wenn er hinzufügt:
"Der Begriff der Entwicklung mußte in seiner Reinheit erkannt, das Reich
des Besondern und nationalen im Gegensatz zum staatlich-Allgemeinen und
zum Kosmopolitismus verteidigt werden," so meint er mit dem ersten Teile
dieses Satzes dasselbe, nur allgemeiner ausgedrückt, was auch der zweite sagt,
etwa: was für dich, Frankreich, den Franzosen, paßt, paßt deswegen nicht
auch für mich, Deutschland, den Deutschen, schon weil wir eine verschiedne
Vergangenheit haben. Wenn man hier unter "Entwicklung" Evolution im
modernen Sinne verstehen wollte, wäre ja der Satz, auf die Romantik vor
hundert Jahren bezogen, eine ganz unwahre Phrase.

Noch einfacher liegt die Sache bei dem dritten Zitat Velows. Scherer
hat von dem Zeitalter der Romantik gesagt: "Die Geschichte trat an die
Stelle der konstruirenden Verminst.*) Savignh verfolgte das römische Recht
in seiner geschichtlichen Entwicklung; er wies Vererbung, Fortbildung und
Entstellung nach. . . . Selbst die Hegelsche Philosophie verdankt ihre Erfolge
zum Teil dem Umstände, daß sie den Drang nach Erkenntnis des Werdens
auf dem kürzesten Wege zu befriedigen schien." Was Hegels Erfolge betrifft,
so gilt von seinem Publikum dasselbe wie von ihm: der selbsteigne Triumph
des absoluten Idealismus war bei den Empfängern der Lehre so gut wie bei
dem Stifter die eigentliche Wurzel, mit der sie haftete, aber nicht die historische
Ausfüllung der logischen Fächer. Im übrigen spricht ja aber Scherer deutlich
aus, daß an die Stelle der systematischen, zeitlosen Betrachtung die Erkenntnis
und das Bewußtsein gesetzt würden, daß geistige Dinge, denn um die handelt
es sich bloß, ebenso gut eine Geschichte haben wie Staaten und Regentenhäuser.
Übertragung des Begriffs der Geschichte ans bis dahin nur systematisch an¬
gefaßte Gebiete, das ist es, was damals gewonnen wurde, aber keine evolu-
tionistische Forschung! Alle Beispiele Belows beziehen sich auf diese Über¬
tragung der damaligen Art der Geschichtswissenschaft auf die übrigen Geistes-
wissenschaften, während Lamprecht innerhalb der Geschichtswissenschaft selbst
eine tiefere, damals gar nicht in Frage gekommne Schicht abhaut.

Es hat keinen Zweck, an den noch folgenden Zitaten Belows, mit denen
er Lamprecht übersiebnen möchte, immer wieder denselben Irrtum nachzuweisen.
Ob er ein Zeugnis aus der eigentlichen Romantik, aus der Rechtswissenschaft,



*) "Das letztere würde etwa die Methode sein, die L, Waitz verwirft." Bewahre! Wnitz
war ja Historiker, Und was Scherer sagt, bezieht sich auf Gebiete, die bis dahin nicht als
Geschichte, sondern immer nur systematisch traktirt worden waren. Aber freilich: Waitz war
nicht Evolntionist,
Below gegen Lamprecht

Genau so verhält es sich mit einem Satze Hasbachs, den Below an
zweiter Stelle zitirt. Hasbach sagt da bei einer summarischen Darstellung der
Reaktion gegen den Rationalismus vor hundert Jahren ganz richtig: „Das
historisch Gewordne in Sprache, Sitte, Gewohnheit, Recht, Gesellschaft und
Staat mußte die Autorität erlangen, die ihm gebührte." Wenn er hinzufügt:
„Der Begriff der Entwicklung mußte in seiner Reinheit erkannt, das Reich
des Besondern und nationalen im Gegensatz zum staatlich-Allgemeinen und
zum Kosmopolitismus verteidigt werden," so meint er mit dem ersten Teile
dieses Satzes dasselbe, nur allgemeiner ausgedrückt, was auch der zweite sagt,
etwa: was für dich, Frankreich, den Franzosen, paßt, paßt deswegen nicht
auch für mich, Deutschland, den Deutschen, schon weil wir eine verschiedne
Vergangenheit haben. Wenn man hier unter „Entwicklung" Evolution im
modernen Sinne verstehen wollte, wäre ja der Satz, auf die Romantik vor
hundert Jahren bezogen, eine ganz unwahre Phrase.

Noch einfacher liegt die Sache bei dem dritten Zitat Velows. Scherer
hat von dem Zeitalter der Romantik gesagt: „Die Geschichte trat an die
Stelle der konstruirenden Verminst.*) Savignh verfolgte das römische Recht
in seiner geschichtlichen Entwicklung; er wies Vererbung, Fortbildung und
Entstellung nach. . . . Selbst die Hegelsche Philosophie verdankt ihre Erfolge
zum Teil dem Umstände, daß sie den Drang nach Erkenntnis des Werdens
auf dem kürzesten Wege zu befriedigen schien." Was Hegels Erfolge betrifft,
so gilt von seinem Publikum dasselbe wie von ihm: der selbsteigne Triumph
des absoluten Idealismus war bei den Empfängern der Lehre so gut wie bei
dem Stifter die eigentliche Wurzel, mit der sie haftete, aber nicht die historische
Ausfüllung der logischen Fächer. Im übrigen spricht ja aber Scherer deutlich
aus, daß an die Stelle der systematischen, zeitlosen Betrachtung die Erkenntnis
und das Bewußtsein gesetzt würden, daß geistige Dinge, denn um die handelt
es sich bloß, ebenso gut eine Geschichte haben wie Staaten und Regentenhäuser.
Übertragung des Begriffs der Geschichte ans bis dahin nur systematisch an¬
gefaßte Gebiete, das ist es, was damals gewonnen wurde, aber keine evolu-
tionistische Forschung! Alle Beispiele Belows beziehen sich auf diese Über¬
tragung der damaligen Art der Geschichtswissenschaft auf die übrigen Geistes-
wissenschaften, während Lamprecht innerhalb der Geschichtswissenschaft selbst
eine tiefere, damals gar nicht in Frage gekommne Schicht abhaut.

Es hat keinen Zweck, an den noch folgenden Zitaten Belows, mit denen
er Lamprecht übersiebnen möchte, immer wieder denselben Irrtum nachzuweisen.
Ob er ein Zeugnis aus der eigentlichen Romantik, aus der Rechtswissenschaft,



*) «Das letztere würde etwa die Methode sein, die L, Waitz verwirft." Bewahre! Wnitz
war ja Historiker, Und was Scherer sagt, bezieht sich auf Gebiete, die bis dahin nicht als
Geschichte, sondern immer nur systematisch traktirt worden waren. Aber freilich: Waitz war
nicht Evolntionist,
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[0627] Below gegen Lamprecht Genau so verhält es sich mit einem Satze Hasbachs, den Below an zweiter Stelle zitirt. Hasbach sagt da bei einer summarischen Darstellung der Reaktion gegen den Rationalismus vor hundert Jahren ganz richtig: „Das historisch Gewordne in Sprache, Sitte, Gewohnheit, Recht, Gesellschaft und Staat mußte die Autorität erlangen, die ihm gebührte." Wenn er hinzufügt: „Der Begriff der Entwicklung mußte in seiner Reinheit erkannt, das Reich des Besondern und nationalen im Gegensatz zum staatlich-Allgemeinen und zum Kosmopolitismus verteidigt werden," so meint er mit dem ersten Teile dieses Satzes dasselbe, nur allgemeiner ausgedrückt, was auch der zweite sagt, etwa: was für dich, Frankreich, den Franzosen, paßt, paßt deswegen nicht auch für mich, Deutschland, den Deutschen, schon weil wir eine verschiedne Vergangenheit haben. Wenn man hier unter „Entwicklung" Evolution im modernen Sinne verstehen wollte, wäre ja der Satz, auf die Romantik vor hundert Jahren bezogen, eine ganz unwahre Phrase. Noch einfacher liegt die Sache bei dem dritten Zitat Velows. Scherer hat von dem Zeitalter der Romantik gesagt: „Die Geschichte trat an die Stelle der konstruirenden Verminst.*) Savignh verfolgte das römische Recht in seiner geschichtlichen Entwicklung; er wies Vererbung, Fortbildung und Entstellung nach. . . . Selbst die Hegelsche Philosophie verdankt ihre Erfolge zum Teil dem Umstände, daß sie den Drang nach Erkenntnis des Werdens auf dem kürzesten Wege zu befriedigen schien." Was Hegels Erfolge betrifft, so gilt von seinem Publikum dasselbe wie von ihm: der selbsteigne Triumph des absoluten Idealismus war bei den Empfängern der Lehre so gut wie bei dem Stifter die eigentliche Wurzel, mit der sie haftete, aber nicht die historische Ausfüllung der logischen Fächer. Im übrigen spricht ja aber Scherer deutlich aus, daß an die Stelle der systematischen, zeitlosen Betrachtung die Erkenntnis und das Bewußtsein gesetzt würden, daß geistige Dinge, denn um die handelt es sich bloß, ebenso gut eine Geschichte haben wie Staaten und Regentenhäuser. Übertragung des Begriffs der Geschichte ans bis dahin nur systematisch an¬ gefaßte Gebiete, das ist es, was damals gewonnen wurde, aber keine evolu- tionistische Forschung! Alle Beispiele Belows beziehen sich auf diese Über¬ tragung der damaligen Art der Geschichtswissenschaft auf die übrigen Geistes- wissenschaften, während Lamprecht innerhalb der Geschichtswissenschaft selbst eine tiefere, damals gar nicht in Frage gekommne Schicht abhaut. Es hat keinen Zweck, an den noch folgenden Zitaten Belows, mit denen er Lamprecht übersiebnen möchte, immer wieder denselben Irrtum nachzuweisen. Ob er ein Zeugnis aus der eigentlichen Romantik, aus der Rechtswissenschaft, *) «Das letztere würde etwa die Methode sein, die L, Waitz verwirft." Bewahre! Wnitz war ja Historiker, Und was Scherer sagt, bezieht sich auf Gebiete, die bis dahin nicht als Geschichte, sondern immer nur systematisch traktirt worden waren. Aber freilich: Waitz war nicht Evolntionist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/627>, abgerufen am 01.09.2024.