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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelalterliches Bauernleben

einem Gaul. Wer heute reist, für den haben Erdarbeiter, Grubenarbeiter,
Hüttenleute, vielerlei Eisenarbeiter, Maschinen- und Wagenbauer gearbeitet, und
während seiner Fahrt arbeiten die Bahnbeamten und Bahnarbeiter.

Über den aus Reichtum entsprunguen Übermut und die Üppigkeit der
Bauern wurde zwar überall in deutschen Landen geklagt und gespottet, aber
nirgends waren die Bauern so reich und so üppig wie in Österreich. Der
Verfasser des vorliegenden Buches schreibt das hauptsächlich dem Umstände zu,
daß die großen geistlichen Stifter, denen dort das meiste Land gehörte, den
Bauern sehr geringe Lasten auflegten; sie mögen ihnen wohl auch durch ihre
Musterwirtschaften als Vorbilder genützt haben. Und gerade in reichen
Bauernschaften -- darin kommt ein drittes Gesetz des sozialen Lebens zum
Vorschein -- brach der große Aufruhr des sechzehnten Jahrhunderts aus.
Auch Hagelstauge hebt das hervor. "Der Bauer Süddeutschlands war im
allgemeinen nicht der in dumpfer Knechtschaft hinbrütende Proletarier, der nur
auf den günstigen Augenblick wartete ^gewartet hätte!^> um auf Barrikaden sich
Verlorne Menschenrechte wieder zu erobern; nein, im Gegenteil: er war eine
durch Reichtum und Wohlleben übermütig gewordne Natur, die infolge der
Üppigkeit und Schwelgerei von der Gier nach immer größerm Besitz erfaßt
wurde. Und diese Gier nach Mehr war es, die in Verbindung mit thatsächlich
bestehenden rechtlichen Mißverhältnissen einen Brennstoff aufhäufte, in den
dann der reformatorische Gedanke als zündender Funke hineinschlug. Diese
Revolution teilte das Schicksal der Mehrzahl ihrer Schwestern; sie scheiterte
und wurde auf diese Weise zu jener gewaltigen Bremse, die es verschuldet hat,
daß die so schön begonnene Weiterentwicklung glücklicher ländlicher Verhältnisse
im Sumpfe der Üppigkeit und Habsucht stecken blieb." Die "Mißverhältnisse"
entsprangen bekanntlich dem Bestreben der Herren, mit Hilfe des römischen
Rechts die Leibeigenschaft wieder herzustellen und die Grundherrschaft zur
Eigentümerin des Bauernlandes zu machen; eben der Bauernaufstand, der
ihnen den Anlaß darbot, die Kraft des Bauernstandes Physisch zu brechen,
brachte sie ans Ziel.

Als Beispiel der guten Behandlung, deren sich die Fronbauern und Knechte
in der zweiten Hälfte des Mittelalters erfreuten, haben wir ans Lamprechts
Darstellung des deutschen Wirtschaftslebens einmal angeführt, daß hie und da
auf beiden den Acker begrenzenden Rainen ein Gefäß mit Wein aufgestellt
wurde, aus dem sich der Pflüger bei jeder Wendung laben konnte. Aus
Hagelstange erfahren wir noch, daß auch eßbare Sachen hingestellt wurden:
zu Salrich setzte man dem Pflüger einen Topf mit Honig hin, daß er sich
stärken könne, "so er swagh würde." Es wird sich kaum ermitteln lassen, wie
weit solche Humanität aus der Abhängigkeit der Grundherren von ihren spärlich
gewordnen Leuten entsprang (sehr schwer wurde sie ihnen deswegen nicht, weil
die Naturalien bei der verhältnismäßig geringen Anzahl von Städten einen


Mittelalterliches Bauernleben

einem Gaul. Wer heute reist, für den haben Erdarbeiter, Grubenarbeiter,
Hüttenleute, vielerlei Eisenarbeiter, Maschinen- und Wagenbauer gearbeitet, und
während seiner Fahrt arbeiten die Bahnbeamten und Bahnarbeiter.

Über den aus Reichtum entsprunguen Übermut und die Üppigkeit der
Bauern wurde zwar überall in deutschen Landen geklagt und gespottet, aber
nirgends waren die Bauern so reich und so üppig wie in Österreich. Der
Verfasser des vorliegenden Buches schreibt das hauptsächlich dem Umstände zu,
daß die großen geistlichen Stifter, denen dort das meiste Land gehörte, den
Bauern sehr geringe Lasten auflegten; sie mögen ihnen wohl auch durch ihre
Musterwirtschaften als Vorbilder genützt haben. Und gerade in reichen
Bauernschaften — darin kommt ein drittes Gesetz des sozialen Lebens zum
Vorschein — brach der große Aufruhr des sechzehnten Jahrhunderts aus.
Auch Hagelstauge hebt das hervor. „Der Bauer Süddeutschlands war im
allgemeinen nicht der in dumpfer Knechtschaft hinbrütende Proletarier, der nur
auf den günstigen Augenblick wartete ^gewartet hätte!^> um auf Barrikaden sich
Verlorne Menschenrechte wieder zu erobern; nein, im Gegenteil: er war eine
durch Reichtum und Wohlleben übermütig gewordne Natur, die infolge der
Üppigkeit und Schwelgerei von der Gier nach immer größerm Besitz erfaßt
wurde. Und diese Gier nach Mehr war es, die in Verbindung mit thatsächlich
bestehenden rechtlichen Mißverhältnissen einen Brennstoff aufhäufte, in den
dann der reformatorische Gedanke als zündender Funke hineinschlug. Diese
Revolution teilte das Schicksal der Mehrzahl ihrer Schwestern; sie scheiterte
und wurde auf diese Weise zu jener gewaltigen Bremse, die es verschuldet hat,
daß die so schön begonnene Weiterentwicklung glücklicher ländlicher Verhältnisse
im Sumpfe der Üppigkeit und Habsucht stecken blieb." Die „Mißverhältnisse"
entsprangen bekanntlich dem Bestreben der Herren, mit Hilfe des römischen
Rechts die Leibeigenschaft wieder herzustellen und die Grundherrschaft zur
Eigentümerin des Bauernlandes zu machen; eben der Bauernaufstand, der
ihnen den Anlaß darbot, die Kraft des Bauernstandes Physisch zu brechen,
brachte sie ans Ziel.

Als Beispiel der guten Behandlung, deren sich die Fronbauern und Knechte
in der zweiten Hälfte des Mittelalters erfreuten, haben wir ans Lamprechts
Darstellung des deutschen Wirtschaftslebens einmal angeführt, daß hie und da
auf beiden den Acker begrenzenden Rainen ein Gefäß mit Wein aufgestellt
wurde, aus dem sich der Pflüger bei jeder Wendung laben konnte. Aus
Hagelstange erfahren wir noch, daß auch eßbare Sachen hingestellt wurden:
zu Salrich setzte man dem Pflüger einen Topf mit Honig hin, daß er sich
stärken könne, „so er swagh würde." Es wird sich kaum ermitteln lassen, wie
weit solche Humanität aus der Abhängigkeit der Grundherren von ihren spärlich
gewordnen Leuten entsprang (sehr schwer wurde sie ihnen deswegen nicht, weil
die Naturalien bei der verhältnismäßig geringen Anzahl von Städten einen


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[0062] Mittelalterliches Bauernleben einem Gaul. Wer heute reist, für den haben Erdarbeiter, Grubenarbeiter, Hüttenleute, vielerlei Eisenarbeiter, Maschinen- und Wagenbauer gearbeitet, und während seiner Fahrt arbeiten die Bahnbeamten und Bahnarbeiter. Über den aus Reichtum entsprunguen Übermut und die Üppigkeit der Bauern wurde zwar überall in deutschen Landen geklagt und gespottet, aber nirgends waren die Bauern so reich und so üppig wie in Österreich. Der Verfasser des vorliegenden Buches schreibt das hauptsächlich dem Umstände zu, daß die großen geistlichen Stifter, denen dort das meiste Land gehörte, den Bauern sehr geringe Lasten auflegten; sie mögen ihnen wohl auch durch ihre Musterwirtschaften als Vorbilder genützt haben. Und gerade in reichen Bauernschaften — darin kommt ein drittes Gesetz des sozialen Lebens zum Vorschein — brach der große Aufruhr des sechzehnten Jahrhunderts aus. Auch Hagelstauge hebt das hervor. „Der Bauer Süddeutschlands war im allgemeinen nicht der in dumpfer Knechtschaft hinbrütende Proletarier, der nur auf den günstigen Augenblick wartete ^gewartet hätte!^> um auf Barrikaden sich Verlorne Menschenrechte wieder zu erobern; nein, im Gegenteil: er war eine durch Reichtum und Wohlleben übermütig gewordne Natur, die infolge der Üppigkeit und Schwelgerei von der Gier nach immer größerm Besitz erfaßt wurde. Und diese Gier nach Mehr war es, die in Verbindung mit thatsächlich bestehenden rechtlichen Mißverhältnissen einen Brennstoff aufhäufte, in den dann der reformatorische Gedanke als zündender Funke hineinschlug. Diese Revolution teilte das Schicksal der Mehrzahl ihrer Schwestern; sie scheiterte und wurde auf diese Weise zu jener gewaltigen Bremse, die es verschuldet hat, daß die so schön begonnene Weiterentwicklung glücklicher ländlicher Verhältnisse im Sumpfe der Üppigkeit und Habsucht stecken blieb." Die „Mißverhältnisse" entsprangen bekanntlich dem Bestreben der Herren, mit Hilfe des römischen Rechts die Leibeigenschaft wieder herzustellen und die Grundherrschaft zur Eigentümerin des Bauernlandes zu machen; eben der Bauernaufstand, der ihnen den Anlaß darbot, die Kraft des Bauernstandes Physisch zu brechen, brachte sie ans Ziel. Als Beispiel der guten Behandlung, deren sich die Fronbauern und Knechte in der zweiten Hälfte des Mittelalters erfreuten, haben wir ans Lamprechts Darstellung des deutschen Wirtschaftslebens einmal angeführt, daß hie und da auf beiden den Acker begrenzenden Rainen ein Gefäß mit Wein aufgestellt wurde, aus dem sich der Pflüger bei jeder Wendung laben konnte. Aus Hagelstange erfahren wir noch, daß auch eßbare Sachen hingestellt wurden: zu Salrich setzte man dem Pflüger einen Topf mit Honig hin, daß er sich stärken könne, „so er swagh würde." Es wird sich kaum ermitteln lassen, wie weit solche Humanität aus der Abhängigkeit der Grundherren von ihren spärlich gewordnen Leuten entsprang (sehr schwer wurde sie ihnen deswegen nicht, weil die Naturalien bei der verhältnismäßig geringen Anzahl von Städten einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/62>, abgerufen am 28.07.2024.