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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Über das Alter der französischen Generäle

Durchschnittsalter, wie es der französische Krieg bei den Führern unsrer Armee
aufwies. Wenn wir vorhin sagten, daß der greise Kaiser Wilhelm I., der
sich selbst vollster Rüstigkeit erfreute, diese Kraft und Gesundheit auch bei
seinen mit ihm alt gewordnen Generälen voraussetzte und sich nicht gern von
ihnen trennen wollte, die ihm vier Jahre früher, auf den böhmischen Schlacht¬
feldern, schon fo hervorragende Dienste geleistet hatten, so liegt es auf der
andern Seite außerordentlich nahe, daß ein jüngerer Kriegsherr auch jüngere
Generäle an der Spitze seiner Armeen und Armeekorps sehen möchte. Es
entspricht einer sehr begreiflichen und, unsrer Überzeugung nach, sehr richtigen
Beurteilung der Verhältnisse, wenn in den letzten zehn Jahren ein etwas be¬
schleunigtes Tempo in dem Wechsel der höhern Führerstellen eingeschlagen
worden ist. Daß der Kaiser auch in diesem Falle zu individualisiren weiß
und sich nicht von einem Prinzip beherrschen läßt, das beweist der Umstand,
daß auch bejahrte Herren auf verantwortungsvollen Posten stehen. Der Aus¬
wahl und der Ausbildung der höhern Führer ist in Deutschland immer eine
besondre Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der Große Generalstab ist eine
Schule, um die uns alle andern Armeen beneiden: die verschiedenartigsten
Generalstabsreisen, Kriegsspielübungen und endlich die großen Herbstübungen
verfolgen in der Hauptsache den Zweck, Führer zu bilden. Besonders muß
aber bemerkt werden, daß in allen Chargen, auch den höchsten, die Anforde¬
rungen in intellektueller und in körperlicher Hinsicht möglichst hoch gestellt
werden, und daß Untüchtigkeit ohne Frage das Ausscheiden aus der Armee
oder doch aus der Stellung zur Folge haben muß.

In diesen Verhältnissen und in der Beachtung solcher Grundsätze liegt
eine wesentliche Bürgschaft für den Sieg in kommenden Kriegen. Wer unsre
Armee kennt und einen Einblick hat in die stete und gewissenhafte Fürsorge,
die ganz besonders der Frage der Kommandoführung gewidmet wird, der wird
mit ernstem Vertrauen in die Zukunft sehen können. Es erscheint unter diesen
Verhältnissen Wohl berechtigt, wenn man der Frage näher tritt: Wie steht es
in dieser Beziehung bei unsern westlichen Nachbarn? Daß diese Frage nicht
müßig ist, kann man daraus ersehen, daß kürzlich eine französische Militär¬
zeitung bei der Besprechung der Avancementsverhältnisfe französischer Generäle
schrieb: Huöllö <möst.inen vini8 toruztts plus 1s 8g.ng' "zells-ol: 0ü est-it
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Wenn also bei uns die Frage der Tüchtigkeit der Führer mehr oder weniger
militärisch ist, so ist sie in Frankreich vorwiegend politisch. Der Gedanke an
Revanche und an die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen wird mit allen
Mitteln in der französischen Armee gehegt und gepflegt und wird sozusagen
als ein Gegenstand der militärischen Erziehung betrachtet. Es ist kein Ge¬
heimnis, daß fortwährend nach dem "großen General" gesucht wird, der einmal
den Nevanchekricg führen könne; man stößt aber dabei immer auf gewisse


Über das Alter der französischen Generäle

Durchschnittsalter, wie es der französische Krieg bei den Führern unsrer Armee
aufwies. Wenn wir vorhin sagten, daß der greise Kaiser Wilhelm I., der
sich selbst vollster Rüstigkeit erfreute, diese Kraft und Gesundheit auch bei
seinen mit ihm alt gewordnen Generälen voraussetzte und sich nicht gern von
ihnen trennen wollte, die ihm vier Jahre früher, auf den böhmischen Schlacht¬
feldern, schon fo hervorragende Dienste geleistet hatten, so liegt es auf der
andern Seite außerordentlich nahe, daß ein jüngerer Kriegsherr auch jüngere
Generäle an der Spitze seiner Armeen und Armeekorps sehen möchte. Es
entspricht einer sehr begreiflichen und, unsrer Überzeugung nach, sehr richtigen
Beurteilung der Verhältnisse, wenn in den letzten zehn Jahren ein etwas be¬
schleunigtes Tempo in dem Wechsel der höhern Führerstellen eingeschlagen
worden ist. Daß der Kaiser auch in diesem Falle zu individualisiren weiß
und sich nicht von einem Prinzip beherrschen läßt, das beweist der Umstand,
daß auch bejahrte Herren auf verantwortungsvollen Posten stehen. Der Aus¬
wahl und der Ausbildung der höhern Führer ist in Deutschland immer eine
besondre Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der Große Generalstab ist eine
Schule, um die uns alle andern Armeen beneiden: die verschiedenartigsten
Generalstabsreisen, Kriegsspielübungen und endlich die großen Herbstübungen
verfolgen in der Hauptsache den Zweck, Führer zu bilden. Besonders muß
aber bemerkt werden, daß in allen Chargen, auch den höchsten, die Anforde¬
rungen in intellektueller und in körperlicher Hinsicht möglichst hoch gestellt
werden, und daß Untüchtigkeit ohne Frage das Ausscheiden aus der Armee
oder doch aus der Stellung zur Folge haben muß.

In diesen Verhältnissen und in der Beachtung solcher Grundsätze liegt
eine wesentliche Bürgschaft für den Sieg in kommenden Kriegen. Wer unsre
Armee kennt und einen Einblick hat in die stete und gewissenhafte Fürsorge,
die ganz besonders der Frage der Kommandoführung gewidmet wird, der wird
mit ernstem Vertrauen in die Zukunft sehen können. Es erscheint unter diesen
Verhältnissen Wohl berechtigt, wenn man der Frage näher tritt: Wie steht es
in dieser Beziehung bei unsern westlichen Nachbarn? Daß diese Frage nicht
müßig ist, kann man daraus ersehen, daß kürzlich eine französische Militär¬
zeitung bei der Besprechung der Avancementsverhältnisfe französischer Generäle
schrieb: Huöllö <möst.inen vini8 toruztts plus 1s 8g.ng' «zells-ol: 0ü est-it
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Wenn also bei uns die Frage der Tüchtigkeit der Führer mehr oder weniger
militärisch ist, so ist sie in Frankreich vorwiegend politisch. Der Gedanke an
Revanche und an die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen wird mit allen
Mitteln in der französischen Armee gehegt und gepflegt und wird sozusagen
als ein Gegenstand der militärischen Erziehung betrachtet. Es ist kein Ge¬
heimnis, daß fortwährend nach dem „großen General" gesucht wird, der einmal
den Nevanchekricg führen könne; man stößt aber dabei immer auf gewisse


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[0611] Über das Alter der französischen Generäle Durchschnittsalter, wie es der französische Krieg bei den Führern unsrer Armee aufwies. Wenn wir vorhin sagten, daß der greise Kaiser Wilhelm I., der sich selbst vollster Rüstigkeit erfreute, diese Kraft und Gesundheit auch bei seinen mit ihm alt gewordnen Generälen voraussetzte und sich nicht gern von ihnen trennen wollte, die ihm vier Jahre früher, auf den böhmischen Schlacht¬ feldern, schon fo hervorragende Dienste geleistet hatten, so liegt es auf der andern Seite außerordentlich nahe, daß ein jüngerer Kriegsherr auch jüngere Generäle an der Spitze seiner Armeen und Armeekorps sehen möchte. Es entspricht einer sehr begreiflichen und, unsrer Überzeugung nach, sehr richtigen Beurteilung der Verhältnisse, wenn in den letzten zehn Jahren ein etwas be¬ schleunigtes Tempo in dem Wechsel der höhern Führerstellen eingeschlagen worden ist. Daß der Kaiser auch in diesem Falle zu individualisiren weiß und sich nicht von einem Prinzip beherrschen läßt, das beweist der Umstand, daß auch bejahrte Herren auf verantwortungsvollen Posten stehen. Der Aus¬ wahl und der Ausbildung der höhern Führer ist in Deutschland immer eine besondre Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der Große Generalstab ist eine Schule, um die uns alle andern Armeen beneiden: die verschiedenartigsten Generalstabsreisen, Kriegsspielübungen und endlich die großen Herbstübungen verfolgen in der Hauptsache den Zweck, Führer zu bilden. Besonders muß aber bemerkt werden, daß in allen Chargen, auch den höchsten, die Anforde¬ rungen in intellektueller und in körperlicher Hinsicht möglichst hoch gestellt werden, und daß Untüchtigkeit ohne Frage das Ausscheiden aus der Armee oder doch aus der Stellung zur Folge haben muß. In diesen Verhältnissen und in der Beachtung solcher Grundsätze liegt eine wesentliche Bürgschaft für den Sieg in kommenden Kriegen. Wer unsre Armee kennt und einen Einblick hat in die stete und gewissenhafte Fürsorge, die ganz besonders der Frage der Kommandoführung gewidmet wird, der wird mit ernstem Vertrauen in die Zukunft sehen können. Es erscheint unter diesen Verhältnissen Wohl berechtigt, wenn man der Frage näher tritt: Wie steht es in dieser Beziehung bei unsern westlichen Nachbarn? Daß diese Frage nicht müßig ist, kann man daraus ersehen, daß kürzlich eine französische Militär¬ zeitung bei der Besprechung der Avancementsverhältnisfe französischer Generäle schrieb: Huöllö <möst.inen vini8 toruztts plus 1s 8g.ng' «zells-ol: 0ü est-it l« g'suvM — insoupyonnv xsut-Serf — ani mens rsnclra, 1ö8 xrovinoss xsräuss? Wenn also bei uns die Frage der Tüchtigkeit der Führer mehr oder weniger militärisch ist, so ist sie in Frankreich vorwiegend politisch. Der Gedanke an Revanche und an die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen wird mit allen Mitteln in der französischen Armee gehegt und gepflegt und wird sozusagen als ein Gegenstand der militärischen Erziehung betrachtet. Es ist kein Ge¬ heimnis, daß fortwährend nach dem „großen General" gesucht wird, der einmal den Nevanchekricg führen könne; man stößt aber dabei immer auf gewisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/611>, abgerufen am 28.07.2024.