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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelalterliches Baucnileben

In jener Zeit nun, wo der deutsche Grundherr gegen den Bauer höflich
zu werden gezwungen war, stieg dieser zu solchem Wohlstand empor, daß er
durch Luxus und Übermut die Satire herausforderte. Wir würden die Schil¬
derungen bäuerlicher Üppigkeit für unwahr oder wenigstens für übertrieben
halten, wenn die Zeugnisse nicht so zahlreich wären. Wo die Satire über¬
treibt, ist es leicht zu erkennen, z. B. wenn Wernher der Gardener bei der
Schilderung des Meiersohns Helmbrecht von der Stickerei auf seiner Haube
eine Schilderung entwirft, die mit der homerischen vom Schilde des Achilleus
wetteifert; man habe darauf Karl den Großen und seine Ritter gesehen, "waz
die Wunders mit ir kraft worhten gegen der Heidenschaft," dann die Raben¬
schlacht, dann tanzende Ritter und Frauen und den videlaere dabei. Aber
sicher scheint es, daß die bäuerlichen Stutzer, die sich in die Gesellschaft der
Ritter eindrängten, reiche Stickereien an ihren Kleidern, gleich den heutigen
Damen "vogelin" auf dem Hut und falsche Locken trugen, daß sie ihre Kleider
aus mehrerlei Tuch zusammensetzten -- Vierundzwanzigerlei dürfte wohl wieder
Übertreibung sein --, daß sie sich das Haar brannten und einpomadisirten,
außerdem sich noch mit Parfüm gefüllte gestickte Beutel anhängten und die
Nähte des Rocks mit Schellen garnirten, die beim Tanzen den Frauen und
Mädchen gar lieblich geklungen zu haben scheinen. Daß der Bauerntisch gut
bestellt war, versteht sich von selbst, aber wir erfahren, daß die Speisen nicht
allein, wie heute noch bei großen Bauernhochzeiten, überaus reichlich, sondern
auch sehr gut und kunstreich zubereitet waren, und daß man seine Sachen
liebte, wie allerlei Geflügel und Wildbret. Wie die Bauern so reich sein
konnten in einer Zeit, die an technischen Hilfsmitteln so arm, und wo also die
Arbeit so wenig produktiv war, wo zudem viel weniger und mit weit ge¬
ringerer Arbeitsteilung gearbeitet wurde als heute, das erklärt sich aus zwei
Umständen. Einmal waren der geringen Vvlksdichtigkeit wegen die Naturalien,
die ja sür die Nahrung ganz allein in Betracht kommen, überall sehr reichlich
vorhanden und daher wohlfeil, Wildbret mochte beinahe wertlos sein. Dann
aber arbeitete man damals fast ausschließlich für den privaten Verbrauch, und
dieser setzte sich aus wenigen Arten von Gütern zusammen. Höhere Kultur¬
bedürfnisse gab es nicht viel -- die es etwa gab, wie die Freude an Dichtung
und Gesang, die konnten kostenlos oder durch Naturalleistungen an fahrendes
Volk befriedigt werden --, und der Luxus beschränkte sich auf Essen, Trinken
und Kleidung. Dagegen bedenke man, welche ungeheure Menge Arbeit heute
auf die Befriedigung der öffentlichen Bedürfnisse verwendet wird, auf die Her¬
stellung von Waffen, Munition, militärischen Ansrüstungsgegenständen, Schiffen,
auf die öffentliche Beleuchtung, Wasserversorgung und Unratbeseitigung, auf
Unterricht und Unterrichtsmittel, und was alles sür neue Privatbedürfniffe
hinzugekommen sind, von denen wir nur drei nennen wollen: die Zeitung, die
Ansichtspostkarten und das Reisen mit Dampf. Wer vor achthundert Jahren
reiste, der verursachte niemand Arbeit als seinen Beinen und höchstens noch


Mittelalterliches Baucnileben

In jener Zeit nun, wo der deutsche Grundherr gegen den Bauer höflich
zu werden gezwungen war, stieg dieser zu solchem Wohlstand empor, daß er
durch Luxus und Übermut die Satire herausforderte. Wir würden die Schil¬
derungen bäuerlicher Üppigkeit für unwahr oder wenigstens für übertrieben
halten, wenn die Zeugnisse nicht so zahlreich wären. Wo die Satire über¬
treibt, ist es leicht zu erkennen, z. B. wenn Wernher der Gardener bei der
Schilderung des Meiersohns Helmbrecht von der Stickerei auf seiner Haube
eine Schilderung entwirft, die mit der homerischen vom Schilde des Achilleus
wetteifert; man habe darauf Karl den Großen und seine Ritter gesehen, „waz
die Wunders mit ir kraft worhten gegen der Heidenschaft," dann die Raben¬
schlacht, dann tanzende Ritter und Frauen und den videlaere dabei. Aber
sicher scheint es, daß die bäuerlichen Stutzer, die sich in die Gesellschaft der
Ritter eindrängten, reiche Stickereien an ihren Kleidern, gleich den heutigen
Damen „vogelin" auf dem Hut und falsche Locken trugen, daß sie ihre Kleider
aus mehrerlei Tuch zusammensetzten — Vierundzwanzigerlei dürfte wohl wieder
Übertreibung sein —, daß sie sich das Haar brannten und einpomadisirten,
außerdem sich noch mit Parfüm gefüllte gestickte Beutel anhängten und die
Nähte des Rocks mit Schellen garnirten, die beim Tanzen den Frauen und
Mädchen gar lieblich geklungen zu haben scheinen. Daß der Bauerntisch gut
bestellt war, versteht sich von selbst, aber wir erfahren, daß die Speisen nicht
allein, wie heute noch bei großen Bauernhochzeiten, überaus reichlich, sondern
auch sehr gut und kunstreich zubereitet waren, und daß man seine Sachen
liebte, wie allerlei Geflügel und Wildbret. Wie die Bauern so reich sein
konnten in einer Zeit, die an technischen Hilfsmitteln so arm, und wo also die
Arbeit so wenig produktiv war, wo zudem viel weniger und mit weit ge¬
ringerer Arbeitsteilung gearbeitet wurde als heute, das erklärt sich aus zwei
Umständen. Einmal waren der geringen Vvlksdichtigkeit wegen die Naturalien,
die ja sür die Nahrung ganz allein in Betracht kommen, überall sehr reichlich
vorhanden und daher wohlfeil, Wildbret mochte beinahe wertlos sein. Dann
aber arbeitete man damals fast ausschließlich für den privaten Verbrauch, und
dieser setzte sich aus wenigen Arten von Gütern zusammen. Höhere Kultur¬
bedürfnisse gab es nicht viel — die es etwa gab, wie die Freude an Dichtung
und Gesang, die konnten kostenlos oder durch Naturalleistungen an fahrendes
Volk befriedigt werden —, und der Luxus beschränkte sich auf Essen, Trinken
und Kleidung. Dagegen bedenke man, welche ungeheure Menge Arbeit heute
auf die Befriedigung der öffentlichen Bedürfnisse verwendet wird, auf die Her¬
stellung von Waffen, Munition, militärischen Ansrüstungsgegenständen, Schiffen,
auf die öffentliche Beleuchtung, Wasserversorgung und Unratbeseitigung, auf
Unterricht und Unterrichtsmittel, und was alles sür neue Privatbedürfniffe
hinzugekommen sind, von denen wir nur drei nennen wollen: die Zeitung, die
Ansichtspostkarten und das Reisen mit Dampf. Wer vor achthundert Jahren
reiste, der verursachte niemand Arbeit als seinen Beinen und höchstens noch


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[0061] Mittelalterliches Baucnileben In jener Zeit nun, wo der deutsche Grundherr gegen den Bauer höflich zu werden gezwungen war, stieg dieser zu solchem Wohlstand empor, daß er durch Luxus und Übermut die Satire herausforderte. Wir würden die Schil¬ derungen bäuerlicher Üppigkeit für unwahr oder wenigstens für übertrieben halten, wenn die Zeugnisse nicht so zahlreich wären. Wo die Satire über¬ treibt, ist es leicht zu erkennen, z. B. wenn Wernher der Gardener bei der Schilderung des Meiersohns Helmbrecht von der Stickerei auf seiner Haube eine Schilderung entwirft, die mit der homerischen vom Schilde des Achilleus wetteifert; man habe darauf Karl den Großen und seine Ritter gesehen, „waz die Wunders mit ir kraft worhten gegen der Heidenschaft," dann die Raben¬ schlacht, dann tanzende Ritter und Frauen und den videlaere dabei. Aber sicher scheint es, daß die bäuerlichen Stutzer, die sich in die Gesellschaft der Ritter eindrängten, reiche Stickereien an ihren Kleidern, gleich den heutigen Damen „vogelin" auf dem Hut und falsche Locken trugen, daß sie ihre Kleider aus mehrerlei Tuch zusammensetzten — Vierundzwanzigerlei dürfte wohl wieder Übertreibung sein —, daß sie sich das Haar brannten und einpomadisirten, außerdem sich noch mit Parfüm gefüllte gestickte Beutel anhängten und die Nähte des Rocks mit Schellen garnirten, die beim Tanzen den Frauen und Mädchen gar lieblich geklungen zu haben scheinen. Daß der Bauerntisch gut bestellt war, versteht sich von selbst, aber wir erfahren, daß die Speisen nicht allein, wie heute noch bei großen Bauernhochzeiten, überaus reichlich, sondern auch sehr gut und kunstreich zubereitet waren, und daß man seine Sachen liebte, wie allerlei Geflügel und Wildbret. Wie die Bauern so reich sein konnten in einer Zeit, die an technischen Hilfsmitteln so arm, und wo also die Arbeit so wenig produktiv war, wo zudem viel weniger und mit weit ge¬ ringerer Arbeitsteilung gearbeitet wurde als heute, das erklärt sich aus zwei Umständen. Einmal waren der geringen Vvlksdichtigkeit wegen die Naturalien, die ja sür die Nahrung ganz allein in Betracht kommen, überall sehr reichlich vorhanden und daher wohlfeil, Wildbret mochte beinahe wertlos sein. Dann aber arbeitete man damals fast ausschließlich für den privaten Verbrauch, und dieser setzte sich aus wenigen Arten von Gütern zusammen. Höhere Kultur¬ bedürfnisse gab es nicht viel — die es etwa gab, wie die Freude an Dichtung und Gesang, die konnten kostenlos oder durch Naturalleistungen an fahrendes Volk befriedigt werden —, und der Luxus beschränkte sich auf Essen, Trinken und Kleidung. Dagegen bedenke man, welche ungeheure Menge Arbeit heute auf die Befriedigung der öffentlichen Bedürfnisse verwendet wird, auf die Her¬ stellung von Waffen, Munition, militärischen Ansrüstungsgegenständen, Schiffen, auf die öffentliche Beleuchtung, Wasserversorgung und Unratbeseitigung, auf Unterricht und Unterrichtsmittel, und was alles sür neue Privatbedürfniffe hinzugekommen sind, von denen wir nur drei nennen wollen: die Zeitung, die Ansichtspostkarten und das Reisen mit Dampf. Wer vor achthundert Jahren reiste, der verursachte niemand Arbeit als seinen Beinen und höchstens noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/61>, abgerufen am 28.07.2024.