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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

also das Land der Rhein-, Maas- und Scheldemündungen eine politische
Sonderstellung anstrebt, so hat das nichts mit der Vodengestalt zu thun,
sondern es erinnert an ein Grundgesetz der Staatenentwicklung, das die frühe
Abschließung fortgeschrittner Sonderentwicklungen bestimmt. Wir sehen es in
den phönizischen Pflanzstädten so gut wie in den deutschen Reichsstädten
wirksam. Wenn nicht die raummächtigste Organisation dieser Zeit, die Kirche
selbst, das deutsche Ordensland in Preußen mit dem Reich verbunden hätte,
wie sern und fremd wäre es geblieben. Es bewahrte sich ohnehin sast die
volle Selbständigkeit, mit der die norddeutschen Länder zu Rudolfs von
Habsburg Zeiten dem allein kaiserlichen Südwesten als peripherische, fremd
gewordne Glieder gegenüberstanden.

Da mußte sich nun der natürliche Unterschied zwischen dem Norden und
dem Süden unsers Landes zur breiten Kluft erweitern. Der Norden stellte
in Deutschland als . östlich und westlich greuzloses Tiefland ganz andre Raum¬
aufgaben als der Süden. Quer durch alle die Stromsysteinc und an all den
Gebirgsgruppen hin sich als ein Ganzes vom Kanal bis zur Memel hinlagernd
verneinte das norddeutsche Tiefland die Sonderexistenzen des reich und eng
gegliederten Südens. Wenn die Geschichtschreiber Deutschlands so oft ein
vielfach eigentümliches sächsisches Sonderdasein betonen, liegt es wesentlich in
diesem Unterschied. Man bedenke, daß much heute der althistorische Südwesten
ein enges Land ist. Baden, Reichsland, Württemberg, Hohenzollern, Pfalz.
Hessen stehen mit 64000 Quadratkilometern schon hinter den 69000 Quadrat¬
kilometern Schlesiens und Posens zurück. Schon darum war Süddeutschland
früher fertig. Es steht daher noch in der Stauferzeit als ein kompaktes Land
gegenüber dem weiten, durch englische, dänische, slawische Einflüsse auseinander¬
gezognen Norddeutschland. Die überall gewaltigen Ausgaben des Kaisertums
waren nach Lage und Raum im Norden schwerer als im Süden.

Der Gegensatz von, süd- und norddeutsch geht also nicht gerade auf die
Zeit zurück, wo salische und staufische Kaiser mehr in Italien als an der Nord-
uud Ostsee deutsche Interessen wahrnahmen, "ein süddeutsches Kaiserreich und
ein norddeutscher Bereich autonomer Weiterbildung" (Lamprecht) entstanden.
Der tiefste Grund dieser Sonderung liegt in dein Ungenügen der Raum¬
beherrschung, die sich zu große Aufgaben gestellt hatte. Als vorübergehend
Ungarn und Burgund unter den salischen Kaisern dem Reich angeschlossen
und der Norden sich selbst überlassen wurde, war das eine gesunde, durch die
Alpen fester begründete Politik, deren folgerichtiger Fortschritt Deutschland die
Vorteile der Lage Deutschlands und Frankreichs zusammen gegeben hätte. Aber
Burgund, "der Riegel dieses deutsch-italienischen Reichs," ging verloren, und
nun erlangten die östlichen Verbindungen im Tiefland eine neue Bedeutung,
denn dieses Tiefland wird nach Osten zu immer breiter, birgt immer mehr
Raum, aus dessen Fülle schöpfend ein neues Deutschland die im Westen und


Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

also das Land der Rhein-, Maas- und Scheldemündungen eine politische
Sonderstellung anstrebt, so hat das nichts mit der Vodengestalt zu thun,
sondern es erinnert an ein Grundgesetz der Staatenentwicklung, das die frühe
Abschließung fortgeschrittner Sonderentwicklungen bestimmt. Wir sehen es in
den phönizischen Pflanzstädten so gut wie in den deutschen Reichsstädten
wirksam. Wenn nicht die raummächtigste Organisation dieser Zeit, die Kirche
selbst, das deutsche Ordensland in Preußen mit dem Reich verbunden hätte,
wie sern und fremd wäre es geblieben. Es bewahrte sich ohnehin sast die
volle Selbständigkeit, mit der die norddeutschen Länder zu Rudolfs von
Habsburg Zeiten dem allein kaiserlichen Südwesten als peripherische, fremd
gewordne Glieder gegenüberstanden.

Da mußte sich nun der natürliche Unterschied zwischen dem Norden und
dem Süden unsers Landes zur breiten Kluft erweitern. Der Norden stellte
in Deutschland als . östlich und westlich greuzloses Tiefland ganz andre Raum¬
aufgaben als der Süden. Quer durch alle die Stromsysteinc und an all den
Gebirgsgruppen hin sich als ein Ganzes vom Kanal bis zur Memel hinlagernd
verneinte das norddeutsche Tiefland die Sonderexistenzen des reich und eng
gegliederten Südens. Wenn die Geschichtschreiber Deutschlands so oft ein
vielfach eigentümliches sächsisches Sonderdasein betonen, liegt es wesentlich in
diesem Unterschied. Man bedenke, daß much heute der althistorische Südwesten
ein enges Land ist. Baden, Reichsland, Württemberg, Hohenzollern, Pfalz.
Hessen stehen mit 64000 Quadratkilometern schon hinter den 69000 Quadrat¬
kilometern Schlesiens und Posens zurück. Schon darum war Süddeutschland
früher fertig. Es steht daher noch in der Stauferzeit als ein kompaktes Land
gegenüber dem weiten, durch englische, dänische, slawische Einflüsse auseinander¬
gezognen Norddeutschland. Die überall gewaltigen Ausgaben des Kaisertums
waren nach Lage und Raum im Norden schwerer als im Süden.

Der Gegensatz von, süd- und norddeutsch geht also nicht gerade auf die
Zeit zurück, wo salische und staufische Kaiser mehr in Italien als an der Nord-
uud Ostsee deutsche Interessen wahrnahmen, „ein süddeutsches Kaiserreich und
ein norddeutscher Bereich autonomer Weiterbildung" (Lamprecht) entstanden.
Der tiefste Grund dieser Sonderung liegt in dein Ungenügen der Raum¬
beherrschung, die sich zu große Aufgaben gestellt hatte. Als vorübergehend
Ungarn und Burgund unter den salischen Kaisern dem Reich angeschlossen
und der Norden sich selbst überlassen wurde, war das eine gesunde, durch die
Alpen fester begründete Politik, deren folgerichtiger Fortschritt Deutschland die
Vorteile der Lage Deutschlands und Frankreichs zusammen gegeben hätte. Aber
Burgund, „der Riegel dieses deutsch-italienischen Reichs," ging verloren, und
nun erlangten die östlichen Verbindungen im Tiefland eine neue Bedeutung,
denn dieses Tiefland wird nach Osten zu immer breiter, birgt immer mehr
Raum, aus dessen Fülle schöpfend ein neues Deutschland die im Westen und


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[0607] Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte also das Land der Rhein-, Maas- und Scheldemündungen eine politische Sonderstellung anstrebt, so hat das nichts mit der Vodengestalt zu thun, sondern es erinnert an ein Grundgesetz der Staatenentwicklung, das die frühe Abschließung fortgeschrittner Sonderentwicklungen bestimmt. Wir sehen es in den phönizischen Pflanzstädten so gut wie in den deutschen Reichsstädten wirksam. Wenn nicht die raummächtigste Organisation dieser Zeit, die Kirche selbst, das deutsche Ordensland in Preußen mit dem Reich verbunden hätte, wie sern und fremd wäre es geblieben. Es bewahrte sich ohnehin sast die volle Selbständigkeit, mit der die norddeutschen Länder zu Rudolfs von Habsburg Zeiten dem allein kaiserlichen Südwesten als peripherische, fremd gewordne Glieder gegenüberstanden. Da mußte sich nun der natürliche Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden unsers Landes zur breiten Kluft erweitern. Der Norden stellte in Deutschland als . östlich und westlich greuzloses Tiefland ganz andre Raum¬ aufgaben als der Süden. Quer durch alle die Stromsysteinc und an all den Gebirgsgruppen hin sich als ein Ganzes vom Kanal bis zur Memel hinlagernd verneinte das norddeutsche Tiefland die Sonderexistenzen des reich und eng gegliederten Südens. Wenn die Geschichtschreiber Deutschlands so oft ein vielfach eigentümliches sächsisches Sonderdasein betonen, liegt es wesentlich in diesem Unterschied. Man bedenke, daß much heute der althistorische Südwesten ein enges Land ist. Baden, Reichsland, Württemberg, Hohenzollern, Pfalz. Hessen stehen mit 64000 Quadratkilometern schon hinter den 69000 Quadrat¬ kilometern Schlesiens und Posens zurück. Schon darum war Süddeutschland früher fertig. Es steht daher noch in der Stauferzeit als ein kompaktes Land gegenüber dem weiten, durch englische, dänische, slawische Einflüsse auseinander¬ gezognen Norddeutschland. Die überall gewaltigen Ausgaben des Kaisertums waren nach Lage und Raum im Norden schwerer als im Süden. Der Gegensatz von, süd- und norddeutsch geht also nicht gerade auf die Zeit zurück, wo salische und staufische Kaiser mehr in Italien als an der Nord- uud Ostsee deutsche Interessen wahrnahmen, „ein süddeutsches Kaiserreich und ein norddeutscher Bereich autonomer Weiterbildung" (Lamprecht) entstanden. Der tiefste Grund dieser Sonderung liegt in dein Ungenügen der Raum¬ beherrschung, die sich zu große Aufgaben gestellt hatte. Als vorübergehend Ungarn und Burgund unter den salischen Kaisern dem Reich angeschlossen und der Norden sich selbst überlassen wurde, war das eine gesunde, durch die Alpen fester begründete Politik, deren folgerichtiger Fortschritt Deutschland die Vorteile der Lage Deutschlands und Frankreichs zusammen gegeben hätte. Aber Burgund, „der Riegel dieses deutsch-italienischen Reichs," ging verloren, und nun erlangten die östlichen Verbindungen im Tiefland eine neue Bedeutung, denn dieses Tiefland wird nach Osten zu immer breiter, birgt immer mehr Raum, aus dessen Fülle schöpfend ein neues Deutschland die im Westen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/607>, abgerufen am 01.09.2024.