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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelalterliches Bauernleben

entsprossen und keineswegs Nachkommen versklavter Bauern gewesen seien. Daß
von der karolingischen Zeit ab freie Bauern in großer Zahl ihre Freiheit ein¬
gebüßt haben, ist nicht zu bezweifeln, aber unter den Hörigen des zwölften
Jahrhunderts wird es freilich auch viele gegeben haben, deren Vorfahren seit
der Besiedlung Deutschlands durch die Germanen niemals frei gewesen waren.
Hagelstange hebt nun zwei Umstände hervor, die zwei von uns oft erwähnte
Gesetze bestätigen, nämlich daß es kein Mittel giebt, Arbeiter festzuhalten, die
in einer unerträglichen Lage sind, und daß es nur ein Mittel giebt, die Lage
freier Lohnarbeiter gründlich zu bessern: die Verminderung ihrer Zahl bis
zu dem Punkte, wo die Nachfrage nach Arbeit das Angebot übersteigt. Im
elften und im Anfange des zwölften Jahrhunderts war die Lage der leibeignen
Bauern vielfach so drückend, daß sie scharenweise fortliefen, ihre Scholle brach
liegen ließen und Vagabunden und Räuber wurden. Dann gaben die Kreuz¬
züge und die emporsteigenden Städte der Landflucht Richtung und Ziel; in
den Kreuzzügen konnte der Bauer irdische Beute und nebenbei die himmlische
Seligkeit erringen, in der Stadt, wo er als Arbeitsgenosse mit offnen Armen
aufgenommen wurde, und wo die Luft frei machte, zu Wohlstand, Ehre und
Ansehen gelangen. Dazu kamen dann auch die großen Wohlthäter der mittel¬
alterlichen Arbeiterbevölkerung, Hungersnot und Pest und verödeten das Land,
und siehe da -- der Grundherr wurde so höflich und liebenswürdig gegen
Bauern, wie der Berliner Hauswirt in der Zeit, wo 20000 Wohnungen leer
standen, gegen den Mieter gewesen sein soll. Der ehemalige Hörige wurde
ein Erbpächter, und jeder Landmann, der sich anbot, war als Erbpächter will¬
kommen. Er brauchte nur zum Hofschultheißen zu gehen, und dieser zeigte
ihm sofort ein Ackerstück; war der Ankömmling damit zufrieden, so wurde er
ohne Umstände damit belehnt und übernahm nur die Verpflichtung, eine geringe
Abgabe zu zahlen und drei Tage im Jahre auf dem Herrenhöfe zu arbeiten.
Gefiel es ihm nach einiger Zeit nicht mehr, so durfte ihn der Herr nicht am
Fortziehen hindern, mußte ihm wohl gar noch behilflich sein und das
Geleit geben oder ihm zum Abschied sagen: "var an gottes namen, und kom
Herwider, so du nähst oder es dir wol fügt, so wert wir dir gütlich
tuon denne wir je geladen." So ist es immer gewesen, so wird es auch in
Zukunft immer sein, denn des Menschen Herz bleibt immer dasselbe, und
die nußern Verhältnisse üben der Hauptsache nach immer dieselbe Wirkung
darauf aus.

Als im alten Italien an die Stelle von Bauern, die mit ihren als Familien¬
glieder behandelten Knechten den Acker bebauten, Latifundien getreten waren,
deren Herren die zahlreichen Sklaven nur als wohlfeiles Arbeitsvieh behandelten,
da liefen diese Sklaven scharenweise fort, und es blieb nichts übrig, als sie
mit einer Kette an den Beinen auf den Acker zu schicken und des Nachts in
einen Zwinger zu sperren. Bald sahen die Ackerbauverständigcn ein, daß das


Mittelalterliches Bauernleben

entsprossen und keineswegs Nachkommen versklavter Bauern gewesen seien. Daß
von der karolingischen Zeit ab freie Bauern in großer Zahl ihre Freiheit ein¬
gebüßt haben, ist nicht zu bezweifeln, aber unter den Hörigen des zwölften
Jahrhunderts wird es freilich auch viele gegeben haben, deren Vorfahren seit
der Besiedlung Deutschlands durch die Germanen niemals frei gewesen waren.
Hagelstange hebt nun zwei Umstände hervor, die zwei von uns oft erwähnte
Gesetze bestätigen, nämlich daß es kein Mittel giebt, Arbeiter festzuhalten, die
in einer unerträglichen Lage sind, und daß es nur ein Mittel giebt, die Lage
freier Lohnarbeiter gründlich zu bessern: die Verminderung ihrer Zahl bis
zu dem Punkte, wo die Nachfrage nach Arbeit das Angebot übersteigt. Im
elften und im Anfange des zwölften Jahrhunderts war die Lage der leibeignen
Bauern vielfach so drückend, daß sie scharenweise fortliefen, ihre Scholle brach
liegen ließen und Vagabunden und Räuber wurden. Dann gaben die Kreuz¬
züge und die emporsteigenden Städte der Landflucht Richtung und Ziel; in
den Kreuzzügen konnte der Bauer irdische Beute und nebenbei die himmlische
Seligkeit erringen, in der Stadt, wo er als Arbeitsgenosse mit offnen Armen
aufgenommen wurde, und wo die Luft frei machte, zu Wohlstand, Ehre und
Ansehen gelangen. Dazu kamen dann auch die großen Wohlthäter der mittel¬
alterlichen Arbeiterbevölkerung, Hungersnot und Pest und verödeten das Land,
und siehe da — der Grundherr wurde so höflich und liebenswürdig gegen
Bauern, wie der Berliner Hauswirt in der Zeit, wo 20000 Wohnungen leer
standen, gegen den Mieter gewesen sein soll. Der ehemalige Hörige wurde
ein Erbpächter, und jeder Landmann, der sich anbot, war als Erbpächter will¬
kommen. Er brauchte nur zum Hofschultheißen zu gehen, und dieser zeigte
ihm sofort ein Ackerstück; war der Ankömmling damit zufrieden, so wurde er
ohne Umstände damit belehnt und übernahm nur die Verpflichtung, eine geringe
Abgabe zu zahlen und drei Tage im Jahre auf dem Herrenhöfe zu arbeiten.
Gefiel es ihm nach einiger Zeit nicht mehr, so durfte ihn der Herr nicht am
Fortziehen hindern, mußte ihm wohl gar noch behilflich sein und das
Geleit geben oder ihm zum Abschied sagen: „var an gottes namen, und kom
Herwider, so du nähst oder es dir wol fügt, so wert wir dir gütlich
tuon denne wir je geladen." So ist es immer gewesen, so wird es auch in
Zukunft immer sein, denn des Menschen Herz bleibt immer dasselbe, und
die nußern Verhältnisse üben der Hauptsache nach immer dieselbe Wirkung
darauf aus.

Als im alten Italien an die Stelle von Bauern, die mit ihren als Familien¬
glieder behandelten Knechten den Acker bebauten, Latifundien getreten waren,
deren Herren die zahlreichen Sklaven nur als wohlfeiles Arbeitsvieh behandelten,
da liefen diese Sklaven scharenweise fort, und es blieb nichts übrig, als sie
mit einer Kette an den Beinen auf den Acker zu schicken und des Nachts in
einen Zwinger zu sperren. Bald sahen die Ackerbauverständigcn ein, daß das


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[0059] Mittelalterliches Bauernleben entsprossen und keineswegs Nachkommen versklavter Bauern gewesen seien. Daß von der karolingischen Zeit ab freie Bauern in großer Zahl ihre Freiheit ein¬ gebüßt haben, ist nicht zu bezweifeln, aber unter den Hörigen des zwölften Jahrhunderts wird es freilich auch viele gegeben haben, deren Vorfahren seit der Besiedlung Deutschlands durch die Germanen niemals frei gewesen waren. Hagelstange hebt nun zwei Umstände hervor, die zwei von uns oft erwähnte Gesetze bestätigen, nämlich daß es kein Mittel giebt, Arbeiter festzuhalten, die in einer unerträglichen Lage sind, und daß es nur ein Mittel giebt, die Lage freier Lohnarbeiter gründlich zu bessern: die Verminderung ihrer Zahl bis zu dem Punkte, wo die Nachfrage nach Arbeit das Angebot übersteigt. Im elften und im Anfange des zwölften Jahrhunderts war die Lage der leibeignen Bauern vielfach so drückend, daß sie scharenweise fortliefen, ihre Scholle brach liegen ließen und Vagabunden und Räuber wurden. Dann gaben die Kreuz¬ züge und die emporsteigenden Städte der Landflucht Richtung und Ziel; in den Kreuzzügen konnte der Bauer irdische Beute und nebenbei die himmlische Seligkeit erringen, in der Stadt, wo er als Arbeitsgenosse mit offnen Armen aufgenommen wurde, und wo die Luft frei machte, zu Wohlstand, Ehre und Ansehen gelangen. Dazu kamen dann auch die großen Wohlthäter der mittel¬ alterlichen Arbeiterbevölkerung, Hungersnot und Pest und verödeten das Land, und siehe da — der Grundherr wurde so höflich und liebenswürdig gegen Bauern, wie der Berliner Hauswirt in der Zeit, wo 20000 Wohnungen leer standen, gegen den Mieter gewesen sein soll. Der ehemalige Hörige wurde ein Erbpächter, und jeder Landmann, der sich anbot, war als Erbpächter will¬ kommen. Er brauchte nur zum Hofschultheißen zu gehen, und dieser zeigte ihm sofort ein Ackerstück; war der Ankömmling damit zufrieden, so wurde er ohne Umstände damit belehnt und übernahm nur die Verpflichtung, eine geringe Abgabe zu zahlen und drei Tage im Jahre auf dem Herrenhöfe zu arbeiten. Gefiel es ihm nach einiger Zeit nicht mehr, so durfte ihn der Herr nicht am Fortziehen hindern, mußte ihm wohl gar noch behilflich sein und das Geleit geben oder ihm zum Abschied sagen: „var an gottes namen, und kom Herwider, so du nähst oder es dir wol fügt, so wert wir dir gütlich tuon denne wir je geladen." So ist es immer gewesen, so wird es auch in Zukunft immer sein, denn des Menschen Herz bleibt immer dasselbe, und die nußern Verhältnisse üben der Hauptsache nach immer dieselbe Wirkung darauf aus. Als im alten Italien an die Stelle von Bauern, die mit ihren als Familien¬ glieder behandelten Knechten den Acker bebauten, Latifundien getreten waren, deren Herren die zahlreichen Sklaven nur als wohlfeiles Arbeitsvieh behandelten, da liefen diese Sklaven scharenweise fort, und es blieb nichts übrig, als sie mit einer Kette an den Beinen auf den Acker zu schicken und des Nachts in einen Zwinger zu sperren. Bald sahen die Ackerbauverständigcn ein, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/59>, abgerufen am 01.09.2024.