Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Upanischads

Glauben verleugne, daß es aber unerlaubt sei, wenn es als eine den GöKen
dargebrachte Huldigung erscheine, und daran schließt sich der Satz: "Mögt ihr
also essen oder trinken oder sonst etwas thun, thuet alles zur Ehre Gottes."
Das bedeutet dem Zusammenhange nach offenbar: in allem, was ihr thut, ver¬
haltet euch so, daß euer Thun dem heiligen Willen Gottes entspricht, und daß
also Gott dadurch verherrlicht wird. Was aber besagt die indische Stelle, die
nach Deußen denselben Sinn haben soll! "So lange ein Mensch redet, so
lauge kann er nicht einatmen; dann opfert er den Odem in der Rede; und so¬
lange ein Mensch einatmet, kann er nicht reden, dann opfert er die Rede in
dem Odem. Diese beiden Opferungen sind unendlich, unsterblich, denn man
bringt sie dar ohne Unterlaß im Wachen wie im Schlafen." Hier wird also
die leichte Kunst gelehrt, zwei Körperfunktionen, von denen die eine ganz von
selber unaufhörlich vor sich geht, durch die bloße Absicht in ein Opfer zu ver¬
wandeln, wodurch man in jedem Augenblick die Huld der Götter erwirbt.
S. 121 ff. wird erzählt, wie einem Jünglinge vier Wesen das Brcchmcm
offenbaren; es sind dies: ein Stier, ein Feuer, eine Gans, ein Tauchervögel,
und sie thun es mit recht kindischem Gewäsch, z. B.: "Der Odem ist ein Sech¬
zehntel, das Auge ein Sechzehntel, das Ohr ein Sechzehntel, das Mamas ein
Sechzehntel; dieses, mein Lieber, ist der aus vier Sechzehnteln bestehende Fuß
des Brahman, der da heißet der Stützehafte." Und diesen Unsinn vergleicht
Deußen mit der erhabnen Offenbarung, die dem Moses aus dem brennenden
Dornbusch zu teil ward!

Was endlich die praktischen Wirkungen der indischen Weisheit anlangt,
so hat ja die Weltgeschichte die Frage darnach beantwortet, und die Antwort
konnte auch gar nicht anders ausfallen, als sie ausgefallen ist. Die bürger¬
liche Sittlichkeit der Inder ist selbstverständlich keine andre als die aller andern
Kulturvölker, denn wie die Metaphysik und die Logik, so hat auch die Sitt¬
lichkeit in diesem Sinne, seitdem sie den Menschen einmal zum Bewußtsein ge¬
kommen ist, keinen Schritt vorwärts gethan, und dem Hindu gilt wie uns
jede Verletzung des Eigentums, der Person und der Ehre des Nächsten, sowie
der ehelichen und Familienpflichten als Sünde. Was den Unterschied zwischen
den großen Kulturvölkern begründet, das ist weder die Metaphysik noch der
Moralkodex, sondern das sind die praktischen Ideale, das ist der Vernunft¬
instinkt, der die richtigen Ideale finden lehrt. Der Abendländer Fichte ist von
einer Metaphysik aus, die mit der indischen zusammenfällt, zu ganz andern
Praktischen Folgerungen gelangt wie die Vrcchmanen. Diese predigen die Er¬
lösung durch Weltflucht und haben eine eigne Praxis ausgebildet, Aoga ge¬
nannt, durch die der Asket, der auf dieser höchsten Stufe angelangt Yogin
heißt, schon bei Lebzeiten erlöst werden soll. Alle Glieder und Sinne an sich
"ut einziehend gleich der Schildkröte soll er dasitzen, den Blick auf die Nasen¬
spitze gerichtet, und auf alles Denken und Empfinden verzichten.


Die Upanischads

Glauben verleugne, daß es aber unerlaubt sei, wenn es als eine den GöKen
dargebrachte Huldigung erscheine, und daran schließt sich der Satz: „Mögt ihr
also essen oder trinken oder sonst etwas thun, thuet alles zur Ehre Gottes."
Das bedeutet dem Zusammenhange nach offenbar: in allem, was ihr thut, ver¬
haltet euch so, daß euer Thun dem heiligen Willen Gottes entspricht, und daß
also Gott dadurch verherrlicht wird. Was aber besagt die indische Stelle, die
nach Deußen denselben Sinn haben soll! „So lange ein Mensch redet, so
lauge kann er nicht einatmen; dann opfert er den Odem in der Rede; und so¬
lange ein Mensch einatmet, kann er nicht reden, dann opfert er die Rede in
dem Odem. Diese beiden Opferungen sind unendlich, unsterblich, denn man
bringt sie dar ohne Unterlaß im Wachen wie im Schlafen." Hier wird also
die leichte Kunst gelehrt, zwei Körperfunktionen, von denen die eine ganz von
selber unaufhörlich vor sich geht, durch die bloße Absicht in ein Opfer zu ver¬
wandeln, wodurch man in jedem Augenblick die Huld der Götter erwirbt.
S. 121 ff. wird erzählt, wie einem Jünglinge vier Wesen das Brcchmcm
offenbaren; es sind dies: ein Stier, ein Feuer, eine Gans, ein Tauchervögel,
und sie thun es mit recht kindischem Gewäsch, z. B.: „Der Odem ist ein Sech¬
zehntel, das Auge ein Sechzehntel, das Ohr ein Sechzehntel, das Mamas ein
Sechzehntel; dieses, mein Lieber, ist der aus vier Sechzehnteln bestehende Fuß
des Brahman, der da heißet der Stützehafte." Und diesen Unsinn vergleicht
Deußen mit der erhabnen Offenbarung, die dem Moses aus dem brennenden
Dornbusch zu teil ward!

Was endlich die praktischen Wirkungen der indischen Weisheit anlangt,
so hat ja die Weltgeschichte die Frage darnach beantwortet, und die Antwort
konnte auch gar nicht anders ausfallen, als sie ausgefallen ist. Die bürger¬
liche Sittlichkeit der Inder ist selbstverständlich keine andre als die aller andern
Kulturvölker, denn wie die Metaphysik und die Logik, so hat auch die Sitt¬
lichkeit in diesem Sinne, seitdem sie den Menschen einmal zum Bewußtsein ge¬
kommen ist, keinen Schritt vorwärts gethan, und dem Hindu gilt wie uns
jede Verletzung des Eigentums, der Person und der Ehre des Nächsten, sowie
der ehelichen und Familienpflichten als Sünde. Was den Unterschied zwischen
den großen Kulturvölkern begründet, das ist weder die Metaphysik noch der
Moralkodex, sondern das sind die praktischen Ideale, das ist der Vernunft¬
instinkt, der die richtigen Ideale finden lehrt. Der Abendländer Fichte ist von
einer Metaphysik aus, die mit der indischen zusammenfällt, zu ganz andern
Praktischen Folgerungen gelangt wie die Vrcchmanen. Diese predigen die Er¬
lösung durch Weltflucht und haben eine eigne Praxis ausgebildet, Aoga ge¬
nannt, durch die der Asket, der auf dieser höchsten Stufe angelangt Yogin
heißt, schon bei Lebzeiten erlöst werden soll. Alle Glieder und Sinne an sich
"ut einziehend gleich der Schildkröte soll er dasitzen, den Blick auf die Nasen¬
spitze gerichtet, und auf alles Denken und Empfinden verzichten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0563" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228865"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Upanischads</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1943" prev="#ID_1942"> Glauben verleugne, daß es aber unerlaubt sei, wenn es als eine den GöKen<lb/>
dargebrachte Huldigung erscheine, und daran schließt sich der Satz: &#x201E;Mögt ihr<lb/>
also essen oder trinken oder sonst etwas thun, thuet alles zur Ehre Gottes."<lb/>
Das bedeutet dem Zusammenhange nach offenbar: in allem, was ihr thut, ver¬<lb/>
haltet euch so, daß euer Thun dem heiligen Willen Gottes entspricht, und daß<lb/>
also Gott dadurch verherrlicht wird. Was aber besagt die indische Stelle, die<lb/>
nach Deußen denselben Sinn haben soll! &#x201E;So lange ein Mensch redet, so<lb/>
lauge kann er nicht einatmen; dann opfert er den Odem in der Rede; und so¬<lb/>
lange ein Mensch einatmet, kann er nicht reden, dann opfert er die Rede in<lb/>
dem Odem. Diese beiden Opferungen sind unendlich, unsterblich, denn man<lb/>
bringt sie dar ohne Unterlaß im Wachen wie im Schlafen." Hier wird also<lb/>
die leichte Kunst gelehrt, zwei Körperfunktionen, von denen die eine ganz von<lb/>
selber unaufhörlich vor sich geht, durch die bloße Absicht in ein Opfer zu ver¬<lb/>
wandeln, wodurch man in jedem Augenblick die Huld der Götter erwirbt.<lb/>
S. 121 ff. wird erzählt, wie einem Jünglinge vier Wesen das Brcchmcm<lb/>
offenbaren; es sind dies: ein Stier, ein Feuer, eine Gans, ein Tauchervögel,<lb/>
und sie thun es mit recht kindischem Gewäsch, z. B.: &#x201E;Der Odem ist ein Sech¬<lb/>
zehntel, das Auge ein Sechzehntel, das Ohr ein Sechzehntel, das Mamas ein<lb/>
Sechzehntel; dieses, mein Lieber, ist der aus vier Sechzehnteln bestehende Fuß<lb/>
des Brahman, der da heißet der Stützehafte." Und diesen Unsinn vergleicht<lb/>
Deußen mit der erhabnen Offenbarung, die dem Moses aus dem brennenden<lb/>
Dornbusch zu teil ward!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1944"> Was endlich die praktischen Wirkungen der indischen Weisheit anlangt,<lb/>
so hat ja die Weltgeschichte die Frage darnach beantwortet, und die Antwort<lb/>
konnte auch gar nicht anders ausfallen, als sie ausgefallen ist. Die bürger¬<lb/>
liche Sittlichkeit der Inder ist selbstverständlich keine andre als die aller andern<lb/>
Kulturvölker, denn wie die Metaphysik und die Logik, so hat auch die Sitt¬<lb/>
lichkeit in diesem Sinne, seitdem sie den Menschen einmal zum Bewußtsein ge¬<lb/>
kommen ist, keinen Schritt vorwärts gethan, und dem Hindu gilt wie uns<lb/>
jede Verletzung des Eigentums, der Person und der Ehre des Nächsten, sowie<lb/>
der ehelichen und Familienpflichten als Sünde. Was den Unterschied zwischen<lb/>
den großen Kulturvölkern begründet, das ist weder die Metaphysik noch der<lb/>
Moralkodex, sondern das sind die praktischen Ideale, das ist der Vernunft¬<lb/>
instinkt, der die richtigen Ideale finden lehrt. Der Abendländer Fichte ist von<lb/>
einer Metaphysik aus, die mit der indischen zusammenfällt, zu ganz andern<lb/>
Praktischen Folgerungen gelangt wie die Vrcchmanen. Diese predigen die Er¬<lb/>
lösung durch Weltflucht und haben eine eigne Praxis ausgebildet, Aoga ge¬<lb/>
nannt, durch die der Asket, der auf dieser höchsten Stufe angelangt Yogin<lb/>
heißt, schon bei Lebzeiten erlöst werden soll. Alle Glieder und Sinne an sich<lb/>
"ut einziehend gleich der Schildkröte soll er dasitzen, den Blick auf die Nasen¬<lb/>
spitze gerichtet, und auf alles Denken und Empfinden verzichten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0563] Die Upanischads Glauben verleugne, daß es aber unerlaubt sei, wenn es als eine den GöKen dargebrachte Huldigung erscheine, und daran schließt sich der Satz: „Mögt ihr also essen oder trinken oder sonst etwas thun, thuet alles zur Ehre Gottes." Das bedeutet dem Zusammenhange nach offenbar: in allem, was ihr thut, ver¬ haltet euch so, daß euer Thun dem heiligen Willen Gottes entspricht, und daß also Gott dadurch verherrlicht wird. Was aber besagt die indische Stelle, die nach Deußen denselben Sinn haben soll! „So lange ein Mensch redet, so lauge kann er nicht einatmen; dann opfert er den Odem in der Rede; und so¬ lange ein Mensch einatmet, kann er nicht reden, dann opfert er die Rede in dem Odem. Diese beiden Opferungen sind unendlich, unsterblich, denn man bringt sie dar ohne Unterlaß im Wachen wie im Schlafen." Hier wird also die leichte Kunst gelehrt, zwei Körperfunktionen, von denen die eine ganz von selber unaufhörlich vor sich geht, durch die bloße Absicht in ein Opfer zu ver¬ wandeln, wodurch man in jedem Augenblick die Huld der Götter erwirbt. S. 121 ff. wird erzählt, wie einem Jünglinge vier Wesen das Brcchmcm offenbaren; es sind dies: ein Stier, ein Feuer, eine Gans, ein Tauchervögel, und sie thun es mit recht kindischem Gewäsch, z. B.: „Der Odem ist ein Sech¬ zehntel, das Auge ein Sechzehntel, das Ohr ein Sechzehntel, das Mamas ein Sechzehntel; dieses, mein Lieber, ist der aus vier Sechzehnteln bestehende Fuß des Brahman, der da heißet der Stützehafte." Und diesen Unsinn vergleicht Deußen mit der erhabnen Offenbarung, die dem Moses aus dem brennenden Dornbusch zu teil ward! Was endlich die praktischen Wirkungen der indischen Weisheit anlangt, so hat ja die Weltgeschichte die Frage darnach beantwortet, und die Antwort konnte auch gar nicht anders ausfallen, als sie ausgefallen ist. Die bürger¬ liche Sittlichkeit der Inder ist selbstverständlich keine andre als die aller andern Kulturvölker, denn wie die Metaphysik und die Logik, so hat auch die Sitt¬ lichkeit in diesem Sinne, seitdem sie den Menschen einmal zum Bewußtsein ge¬ kommen ist, keinen Schritt vorwärts gethan, und dem Hindu gilt wie uns jede Verletzung des Eigentums, der Person und der Ehre des Nächsten, sowie der ehelichen und Familienpflichten als Sünde. Was den Unterschied zwischen den großen Kulturvölkern begründet, das ist weder die Metaphysik noch der Moralkodex, sondern das sind die praktischen Ideale, das ist der Vernunft¬ instinkt, der die richtigen Ideale finden lehrt. Der Abendländer Fichte ist von einer Metaphysik aus, die mit der indischen zusammenfällt, zu ganz andern Praktischen Folgerungen gelangt wie die Vrcchmanen. Diese predigen die Er¬ lösung durch Weltflucht und haben eine eigne Praxis ausgebildet, Aoga ge¬ nannt, durch die der Asket, der auf dieser höchsten Stufe angelangt Yogin heißt, schon bei Lebzeiten erlöst werden soll. Alle Glieder und Sinne an sich "ut einziehend gleich der Schildkröte soll er dasitzen, den Blick auf die Nasen¬ spitze gerichtet, und auf alles Denken und Empfinden verzichten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/563
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/563>, abgerufen am 28.07.2024.