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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Upanischads

führt, als Schreckgespenst die grauenhafte Absurdität der Prädestination stehen
sah. Und freilich stellt sich diese als unvermeidliche Konsequenz ein, sobald
man jene so tiefe wie wahre christliche Erkenntnis des Monergismus ver¬
knüpft mit dem aus dem Alten Testament überkommncn jüdischen Realismus,
welcher Gott und Mensch als zwei sich ausschließende Wesenheiten einander
gegenüber stellt." In diesem Dunkel komme uns Licht aus dem Osten. Zwar
nehme auch Paulus einen Anlauf, Gott mit dem geistigen Menschen zu iden-
tifiziren, und Kant lasse den metaphysischen Menschen im kategorischen Impe¬
rativ dem Erscheinungsmenschen Gesetze geben, "aber was bedeuten diese schüch¬
ternen und tastenden Versuche gegenüber der großen, auf jeder Seite der Upa¬
nischads durchblickenden Grundanschauung des Vedcmta, daß der Gott, der
allein alles Gute in uns wirkt, nicht, wie im Alten Testament, ein uns als
ein andrer gegenüber stehendes Wesen, sondern vielmehr -- unbeschadet seiner
vollen Gegensätzlichkeit zu unserm verderbten empirischen Ich -- unser eigenstes
metaphysisches Ich, unser, bei allen Abirrungen der menschlichen Natur, in
ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst, unser
Atman ist!" Das Dasein birgt eben Geheimnisse, die auch von der christlichen
Theologie nicht aufgeklärt werden können. Weit weniger noch ist aber die
Weisheit der Brahmanen imstande gewesen, befriedigende Aufschlüsse zu geben.
In dem fraglichen Punkte erklärt diese Weisheit gar nichts. Schält man aus
dem Wust von Fabeln, Phantasien und Wortspielereien, der in den Upani¬
schads aufgehäuft ist, die Lehre vom Atman als den Kern heraus, so gelangt
man überhaupt nicht zu einem Gegensatz von Gut und Böse innerhalb der
Welt, sondern die Welt selbst, d. h. Gott selbst, sofern er Erscheinung ge¬
worden ist, ist das Böse, und das Gute ist nichts Positives, sondern nur die
Verneinung des Bösen, d. h. des Daseins. Das empirische Ich ist nicht ver¬
derbt, wie Deußen irreführend es nennt, sondern es ist von vornherein schlecht,
bloß darum, weil es da ist, weil dadurch der von Übeln freie Tiefschlaf des
Atman gestört wird. Die Bewußtlosigkeit, der die indischen Asketen zustreben,
ein in ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst
zu nennen, ist ein ganz ungehöriges Spiel mit Worten. Auf den Gedanken,
die Upanischads mit der Bibel zu vergleichen, kann man überhaupt nur dann
kommen, wenn man aus all diesen Kindereien und Abgeschmacktheiten, der¬
gleichen es in der Bibel nicht giebt, ein paar Hauptgedanken herausschält.

Wer beim Lesen des ausführlichen Textes an die Bibel denkt, der wird,
wenn er nicht in Vorurteilen befangen ist, nichts andres denken als: wie hoch
steht doch die Bibel über diesem Unsinn! Und gerade an den Stellen, wo Deußen
Anklänge an die Bibel findet, tritt der Unterschied am kräftigsten hervor. So
erinnert er einmal an 1. Korinther 10, 31. Der Apostel hat die Frage, ob
man den Götzen geweihtes Fleisch essen dürfe, dahin beantwortet, daß dies
erlaubt sei, wenn daraus nicht geschlossen werde, daß der Genießende seinen


Die Upanischads

führt, als Schreckgespenst die grauenhafte Absurdität der Prädestination stehen
sah. Und freilich stellt sich diese als unvermeidliche Konsequenz ein, sobald
man jene so tiefe wie wahre christliche Erkenntnis des Monergismus ver¬
knüpft mit dem aus dem Alten Testament überkommncn jüdischen Realismus,
welcher Gott und Mensch als zwei sich ausschließende Wesenheiten einander
gegenüber stellt." In diesem Dunkel komme uns Licht aus dem Osten. Zwar
nehme auch Paulus einen Anlauf, Gott mit dem geistigen Menschen zu iden-
tifiziren, und Kant lasse den metaphysischen Menschen im kategorischen Impe¬
rativ dem Erscheinungsmenschen Gesetze geben, „aber was bedeuten diese schüch¬
ternen und tastenden Versuche gegenüber der großen, auf jeder Seite der Upa¬
nischads durchblickenden Grundanschauung des Vedcmta, daß der Gott, der
allein alles Gute in uns wirkt, nicht, wie im Alten Testament, ein uns als
ein andrer gegenüber stehendes Wesen, sondern vielmehr — unbeschadet seiner
vollen Gegensätzlichkeit zu unserm verderbten empirischen Ich — unser eigenstes
metaphysisches Ich, unser, bei allen Abirrungen der menschlichen Natur, in
ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst, unser
Atman ist!" Das Dasein birgt eben Geheimnisse, die auch von der christlichen
Theologie nicht aufgeklärt werden können. Weit weniger noch ist aber die
Weisheit der Brahmanen imstande gewesen, befriedigende Aufschlüsse zu geben.
In dem fraglichen Punkte erklärt diese Weisheit gar nichts. Schält man aus
dem Wust von Fabeln, Phantasien und Wortspielereien, der in den Upani¬
schads aufgehäuft ist, die Lehre vom Atman als den Kern heraus, so gelangt
man überhaupt nicht zu einem Gegensatz von Gut und Böse innerhalb der
Welt, sondern die Welt selbst, d. h. Gott selbst, sofern er Erscheinung ge¬
worden ist, ist das Böse, und das Gute ist nichts Positives, sondern nur die
Verneinung des Bösen, d. h. des Daseins. Das empirische Ich ist nicht ver¬
derbt, wie Deußen irreführend es nennt, sondern es ist von vornherein schlecht,
bloß darum, weil es da ist, weil dadurch der von Übeln freie Tiefschlaf des
Atman gestört wird. Die Bewußtlosigkeit, der die indischen Asketen zustreben,
ein in ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst
zu nennen, ist ein ganz ungehöriges Spiel mit Worten. Auf den Gedanken,
die Upanischads mit der Bibel zu vergleichen, kann man überhaupt nur dann
kommen, wenn man aus all diesen Kindereien und Abgeschmacktheiten, der¬
gleichen es in der Bibel nicht giebt, ein paar Hauptgedanken herausschält.

Wer beim Lesen des ausführlichen Textes an die Bibel denkt, der wird,
wenn er nicht in Vorurteilen befangen ist, nichts andres denken als: wie hoch
steht doch die Bibel über diesem Unsinn! Und gerade an den Stellen, wo Deußen
Anklänge an die Bibel findet, tritt der Unterschied am kräftigsten hervor. So
erinnert er einmal an 1. Korinther 10, 31. Der Apostel hat die Frage, ob
man den Götzen geweihtes Fleisch essen dürfe, dahin beantwortet, daß dies
erlaubt sei, wenn daraus nicht geschlossen werde, daß der Genießende seinen


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[0562] Die Upanischads führt, als Schreckgespenst die grauenhafte Absurdität der Prädestination stehen sah. Und freilich stellt sich diese als unvermeidliche Konsequenz ein, sobald man jene so tiefe wie wahre christliche Erkenntnis des Monergismus ver¬ knüpft mit dem aus dem Alten Testament überkommncn jüdischen Realismus, welcher Gott und Mensch als zwei sich ausschließende Wesenheiten einander gegenüber stellt." In diesem Dunkel komme uns Licht aus dem Osten. Zwar nehme auch Paulus einen Anlauf, Gott mit dem geistigen Menschen zu iden- tifiziren, und Kant lasse den metaphysischen Menschen im kategorischen Impe¬ rativ dem Erscheinungsmenschen Gesetze geben, „aber was bedeuten diese schüch¬ ternen und tastenden Versuche gegenüber der großen, auf jeder Seite der Upa¬ nischads durchblickenden Grundanschauung des Vedcmta, daß der Gott, der allein alles Gute in uns wirkt, nicht, wie im Alten Testament, ein uns als ein andrer gegenüber stehendes Wesen, sondern vielmehr — unbeschadet seiner vollen Gegensätzlichkeit zu unserm verderbten empirischen Ich — unser eigenstes metaphysisches Ich, unser, bei allen Abirrungen der menschlichen Natur, in ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst, unser Atman ist!" Das Dasein birgt eben Geheimnisse, die auch von der christlichen Theologie nicht aufgeklärt werden können. Weit weniger noch ist aber die Weisheit der Brahmanen imstande gewesen, befriedigende Aufschlüsse zu geben. In dem fraglichen Punkte erklärt diese Weisheit gar nichts. Schält man aus dem Wust von Fabeln, Phantasien und Wortspielereien, der in den Upani¬ schads aufgehäuft ist, die Lehre vom Atman als den Kern heraus, so gelangt man überhaupt nicht zu einem Gegensatz von Gut und Böse innerhalb der Welt, sondern die Welt selbst, d. h. Gott selbst, sofern er Erscheinung ge¬ worden ist, ist das Böse, und das Gute ist nichts Positives, sondern nur die Verneinung des Bösen, d. h. des Daseins. Das empirische Ich ist nicht ver¬ derbt, wie Deußen irreführend es nennt, sondern es ist von vornherein schlecht, bloß darum, weil es da ist, weil dadurch der von Übeln freie Tiefschlaf des Atman gestört wird. Die Bewußtlosigkeit, der die indischen Asketen zustreben, ein in ungetrübter Heiligkeit verharrendes, ewiges, seliges, göttliches Selbst zu nennen, ist ein ganz ungehöriges Spiel mit Worten. Auf den Gedanken, die Upanischads mit der Bibel zu vergleichen, kann man überhaupt nur dann kommen, wenn man aus all diesen Kindereien und Abgeschmacktheiten, der¬ gleichen es in der Bibel nicht giebt, ein paar Hauptgedanken herausschält. Wer beim Lesen des ausführlichen Textes an die Bibel denkt, der wird, wenn er nicht in Vorurteilen befangen ist, nichts andres denken als: wie hoch steht doch die Bibel über diesem Unsinn! Und gerade an den Stellen, wo Deußen Anklänge an die Bibel findet, tritt der Unterschied am kräftigsten hervor. So erinnert er einmal an 1. Korinther 10, 31. Der Apostel hat die Frage, ob man den Götzen geweihtes Fleisch essen dürfe, dahin beantwortet, daß dies erlaubt sei, wenn daraus nicht geschlossen werde, daß der Genießende seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/562>, abgerufen am 28.07.2024.