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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

in solchen regierenden Häusern außerhalb Deutschlands, in denen früher die
Maßregel der Ebenbürtigkeit ganz unbekannt war, im Verlaufe des neunzehnten
Jahrhunderts eine strenge Ebenbürtigkeitspraxis Platz greift.

So vermählte sich der Herzog Georg von Cambridge, der Oheim der Königin
Viktoria von England, morgcmatisch mit einer vornehmen englischen Dame:
Luise Farebrother, und die Kinder aus dieser Ehe führen den Namen Fitz-
George. Dieser Fall ist sehr bemerkenswert. Der Liberalismus beruft sich
ja so gern mit Emphase auf englische Einrichtungen, und die Presse, die in
der jüngsten Zeit ihr Licht über die Ebenbürtigkeitsfragen leuchten ließ, konnte
man immer mit dem Gedankengange glänzen sehen: Das ganze Institut der
Ebenbürtigkeit ist ein Unsinn, denn in England kennt man es nicht. Man
wende nicht ein, daß dem Falle des Herzogs von Cambridge dadurch die
Beweiskraft genommen werde, daß sich Töchter der Königin von England mit
Herren aus den großen englischen, den regierenden Häusern Deutschlands nicht
ebenbürtigen Adelsfamilien vermählt haben. Ist schon an sich aus Ehen der
Damen aus regierenden Häusern auf das Ebenbürtigkeitsrecht des betreffenden
Hauses kein sicherer Schluß zulässig, aus dem sehr einleuchtenden Grnnde, weil
nnr in den seltensten Fallen der Weiberstamm für die Thronfolge in Betracht
kommt, in den Fällen aber, wo er in Betracht kam, immer ein den strengsten
Ebenbürtigkeitsgrundsätzen genügender Ehegatte gewühlt worden ist (Maria
Theresia, Königin Viktoria von England), so ist die Berufung auf diese Ehe¬
schließungsfülle im englischen Königshause ganz verfehlt, weil alle englischen
Prinzessinnen, die "unebenbürtige" Ehen eingegangen sind, auf das Thron-
folgerecht auch für ihre Nachkommen ausdrücklich verzichten mußten.

Daß sich das Rechtsbewußtsein der außerdeutschen regierenden Hünser
dem der souveränen Familien Deutschlands nähert, zeigt sich aber auch ferner
darin, daß in dem neusouveränen Hause -- man verzeihe den Ausdruck --
Schweden der Urenkel einer bürgerlichen Kaufmannstochter aus Marseille, der
Königin Desiree Clary (die Bernadotte waren, entgegen der darüber meist ver¬
breiteten Meinung, ein altangesehenes und vornehmes Geschlecht), der Prinz
Oskar von Schweden auf die Thronfolge, auf deu Namen, den Stand und
das Wappen eines Prinzen von Schweden und Herzogs von Gotland ver¬
zichten mußte, um sich mit dem adlichen Fräulein Ebbn Munk von Fnlkila
vermählen zu können.

Nach diesen Vorgängen und nach der Eheschließungspraxis der gesamten
christlichen regierenden Häuser Europas im neunzehnten Jahrhundert überhaupt
muß man schließen, daß das oben genau formulirte Rechtsbewußtsein der
souveränen Häuser Deutschlands schon zu einer gemeinen Rechtsüberzeugung
der gesamten christlichen regierenden Familien Europas geworden ist, kurz, einen
völkerrechtlichen Charakter angenommen hat.


Ebenbürtigkeit

in solchen regierenden Häusern außerhalb Deutschlands, in denen früher die
Maßregel der Ebenbürtigkeit ganz unbekannt war, im Verlaufe des neunzehnten
Jahrhunderts eine strenge Ebenbürtigkeitspraxis Platz greift.

So vermählte sich der Herzog Georg von Cambridge, der Oheim der Königin
Viktoria von England, morgcmatisch mit einer vornehmen englischen Dame:
Luise Farebrother, und die Kinder aus dieser Ehe führen den Namen Fitz-
George. Dieser Fall ist sehr bemerkenswert. Der Liberalismus beruft sich
ja so gern mit Emphase auf englische Einrichtungen, und die Presse, die in
der jüngsten Zeit ihr Licht über die Ebenbürtigkeitsfragen leuchten ließ, konnte
man immer mit dem Gedankengange glänzen sehen: Das ganze Institut der
Ebenbürtigkeit ist ein Unsinn, denn in England kennt man es nicht. Man
wende nicht ein, daß dem Falle des Herzogs von Cambridge dadurch die
Beweiskraft genommen werde, daß sich Töchter der Königin von England mit
Herren aus den großen englischen, den regierenden Häusern Deutschlands nicht
ebenbürtigen Adelsfamilien vermählt haben. Ist schon an sich aus Ehen der
Damen aus regierenden Häusern auf das Ebenbürtigkeitsrecht des betreffenden
Hauses kein sicherer Schluß zulässig, aus dem sehr einleuchtenden Grnnde, weil
nnr in den seltensten Fallen der Weiberstamm für die Thronfolge in Betracht
kommt, in den Fällen aber, wo er in Betracht kam, immer ein den strengsten
Ebenbürtigkeitsgrundsätzen genügender Ehegatte gewühlt worden ist (Maria
Theresia, Königin Viktoria von England), so ist die Berufung auf diese Ehe¬
schließungsfülle im englischen Königshause ganz verfehlt, weil alle englischen
Prinzessinnen, die „unebenbürtige" Ehen eingegangen sind, auf das Thron-
folgerecht auch für ihre Nachkommen ausdrücklich verzichten mußten.

Daß sich das Rechtsbewußtsein der außerdeutschen regierenden Hünser
dem der souveränen Familien Deutschlands nähert, zeigt sich aber auch ferner
darin, daß in dem neusouveränen Hause — man verzeihe den Ausdruck —
Schweden der Urenkel einer bürgerlichen Kaufmannstochter aus Marseille, der
Königin Desiree Clary (die Bernadotte waren, entgegen der darüber meist ver¬
breiteten Meinung, ein altangesehenes und vornehmes Geschlecht), der Prinz
Oskar von Schweden auf die Thronfolge, auf deu Namen, den Stand und
das Wappen eines Prinzen von Schweden und Herzogs von Gotland ver¬
zichten mußte, um sich mit dem adlichen Fräulein Ebbn Munk von Fnlkila
vermählen zu können.

Nach diesen Vorgängen und nach der Eheschließungspraxis der gesamten
christlichen regierenden Häuser Europas im neunzehnten Jahrhundert überhaupt
muß man schließen, daß das oben genau formulirte Rechtsbewußtsein der
souveränen Häuser Deutschlands schon zu einer gemeinen Rechtsüberzeugung
der gesamten christlichen regierenden Familien Europas geworden ist, kurz, einen
völkerrechtlichen Charakter angenommen hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/554>, abgerufen am 28.07.2024.