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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

daß, je angesehener, unabhängiger, unparteiischer die regierende Familie ist,
desto besser sie ihren Aufgaben gerecht werden kann. Er wird, meine ich,
diese Ebenbürtigkeitstheorie demnach einerseits als zweckmäßig anerkennen
müssen, andrerseits sie mit seinen sonstigen Gefühlen in Einklang bringen
können. Der "Liberalismus" allerdings, in dessen innerstem Herzen die
Monarchie sür eine längst überwundne Staatsform gilt, die je schneller je
besser aus dem zivilisirteu Europa zu verschwinden habe, handelt nur, wenn
auch vielleicht unbewußt, folgerichtig, wenn er für die gänzliche Abschaffung
der Ebenbürtigkeitsinstitution und zur Zeit jedenfalls für eine möglichst milde
Ebenbürtigkeitspraxis eintritt, da dadurch die monarchische Familie aus ihrer
hohen, unabhängigen und unparteiischen Stellung hinabsinken würde. Hinab¬
sinken aber ist der erste Schritt zum Untergange.

Nun stellen sich aber der strengen Durchführung der ausschließlichen
Ebenbürtigkeit der regierenden Familien unter sich Bedenken entgegen. Das
eine ist nachgerade zu einem Gemeinplatz geworden, deshalb hält es auch einer
nähern Prüfung nicht Stand. Dieses Bedenken ist: durch das ausschließliche
Heiraten der regierenden Häuser unter sich würden zu viele Verwandtcncheu
stattfinden, und durch die Verwandtenehen degenerirten die Familien. Das
erste mag wahr sein, aber die zweite Frage ist in der Wissenschaft noch durch¬
aus offen. Ich kann hierzu nur auf das neue Lehrbuch der gesamten wissen¬
schaftlichen Genealogie von Ottokar Lorenz verweisen und im übrigen meine
eigne Ansicht ohne weitere Begründung dahin zusammenfassen, daß kein Grund
vorliegt, Verwandtenehen für verderblich anzusehen. Im übrigen sind ja auch
die regierenden Familien an die gesetzlichen Ehehindernisse wegen verbotner
Verwandtschaftsgrade gebunden. Das andre Bedenken ist solgendes: Wie,
wenn ein regierendes Haus plötzlich entthront wird? Soll es dadurch für
seine Töchter die Ebenbürtigkeit mit den noch regierenden Familien verlieren?
Vielleicht sogar mit rückwirkender Kraft, sodaß die Ehe eines Herrn aus
regierenden Hause plötzlich zu einer unebenbürtiger werden würde, weil die
Familie seiner Gemahlin lange nach dem Eheabschluß den Thron verliert?
Das geht doch unmöglich an. Aber auch abgesehen hiervon scheinen Gründe
der Billigkeit dafür zu sprechen, erst kürzlich entthronte Familien in der Eben¬
bürtigkeit den regierenden Familien gleichzustellen. Einer ganzen Gruppe ent¬
thronter Familien ist das garantirt durch Artikel 14 der deutschen Bundesakte
von 1815, nämlich den sogenannten Mediatisirten, denen die Ebenbürtigkeit
mit den souveränen Häusern "nichtsdestoweniger verbleibt," d. h. trotzdem daß
sie die Eigenschaft einer regierenden Familie eingebüßt haben.

Hinsichtlich der Mediatisirten spricht der alte Röscher den Wunsch aus,
"daß sich die souveränen Familien häufiger mit den juristisch ihnen schon jetzt
ebenbürtigen Familien des mediatisirten hohen Adels vermählen." Dieser Satz
Noschers ist in mehr als einer Richtung interessant. Einmal, weil daraus


Ebenbürtigkeit

daß, je angesehener, unabhängiger, unparteiischer die regierende Familie ist,
desto besser sie ihren Aufgaben gerecht werden kann. Er wird, meine ich,
diese Ebenbürtigkeitstheorie demnach einerseits als zweckmäßig anerkennen
müssen, andrerseits sie mit seinen sonstigen Gefühlen in Einklang bringen
können. Der „Liberalismus" allerdings, in dessen innerstem Herzen die
Monarchie sür eine längst überwundne Staatsform gilt, die je schneller je
besser aus dem zivilisirteu Europa zu verschwinden habe, handelt nur, wenn
auch vielleicht unbewußt, folgerichtig, wenn er für die gänzliche Abschaffung
der Ebenbürtigkeitsinstitution und zur Zeit jedenfalls für eine möglichst milde
Ebenbürtigkeitspraxis eintritt, da dadurch die monarchische Familie aus ihrer
hohen, unabhängigen und unparteiischen Stellung hinabsinken würde. Hinab¬
sinken aber ist der erste Schritt zum Untergange.

Nun stellen sich aber der strengen Durchführung der ausschließlichen
Ebenbürtigkeit der regierenden Familien unter sich Bedenken entgegen. Das
eine ist nachgerade zu einem Gemeinplatz geworden, deshalb hält es auch einer
nähern Prüfung nicht Stand. Dieses Bedenken ist: durch das ausschließliche
Heiraten der regierenden Häuser unter sich würden zu viele Verwandtcncheu
stattfinden, und durch die Verwandtenehen degenerirten die Familien. Das
erste mag wahr sein, aber die zweite Frage ist in der Wissenschaft noch durch¬
aus offen. Ich kann hierzu nur auf das neue Lehrbuch der gesamten wissen¬
schaftlichen Genealogie von Ottokar Lorenz verweisen und im übrigen meine
eigne Ansicht ohne weitere Begründung dahin zusammenfassen, daß kein Grund
vorliegt, Verwandtenehen für verderblich anzusehen. Im übrigen sind ja auch
die regierenden Familien an die gesetzlichen Ehehindernisse wegen verbotner
Verwandtschaftsgrade gebunden. Das andre Bedenken ist solgendes: Wie,
wenn ein regierendes Haus plötzlich entthront wird? Soll es dadurch für
seine Töchter die Ebenbürtigkeit mit den noch regierenden Familien verlieren?
Vielleicht sogar mit rückwirkender Kraft, sodaß die Ehe eines Herrn aus
regierenden Hause plötzlich zu einer unebenbürtiger werden würde, weil die
Familie seiner Gemahlin lange nach dem Eheabschluß den Thron verliert?
Das geht doch unmöglich an. Aber auch abgesehen hiervon scheinen Gründe
der Billigkeit dafür zu sprechen, erst kürzlich entthronte Familien in der Eben¬
bürtigkeit den regierenden Familien gleichzustellen. Einer ganzen Gruppe ent¬
thronter Familien ist das garantirt durch Artikel 14 der deutschen Bundesakte
von 1815, nämlich den sogenannten Mediatisirten, denen die Ebenbürtigkeit
mit den souveränen Häusern „nichtsdestoweniger verbleibt," d. h. trotzdem daß
sie die Eigenschaft einer regierenden Familie eingebüßt haben.

Hinsichtlich der Mediatisirten spricht der alte Röscher den Wunsch aus,
„daß sich die souveränen Familien häufiger mit den juristisch ihnen schon jetzt
ebenbürtigen Familien des mediatisirten hohen Adels vermählen." Dieser Satz
Noschers ist in mehr als einer Richtung interessant. Einmal, weil daraus


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[0552] Ebenbürtigkeit daß, je angesehener, unabhängiger, unparteiischer die regierende Familie ist, desto besser sie ihren Aufgaben gerecht werden kann. Er wird, meine ich, diese Ebenbürtigkeitstheorie demnach einerseits als zweckmäßig anerkennen müssen, andrerseits sie mit seinen sonstigen Gefühlen in Einklang bringen können. Der „Liberalismus" allerdings, in dessen innerstem Herzen die Monarchie sür eine längst überwundne Staatsform gilt, die je schneller je besser aus dem zivilisirteu Europa zu verschwinden habe, handelt nur, wenn auch vielleicht unbewußt, folgerichtig, wenn er für die gänzliche Abschaffung der Ebenbürtigkeitsinstitution und zur Zeit jedenfalls für eine möglichst milde Ebenbürtigkeitspraxis eintritt, da dadurch die monarchische Familie aus ihrer hohen, unabhängigen und unparteiischen Stellung hinabsinken würde. Hinab¬ sinken aber ist der erste Schritt zum Untergange. Nun stellen sich aber der strengen Durchführung der ausschließlichen Ebenbürtigkeit der regierenden Familien unter sich Bedenken entgegen. Das eine ist nachgerade zu einem Gemeinplatz geworden, deshalb hält es auch einer nähern Prüfung nicht Stand. Dieses Bedenken ist: durch das ausschließliche Heiraten der regierenden Häuser unter sich würden zu viele Verwandtcncheu stattfinden, und durch die Verwandtenehen degenerirten die Familien. Das erste mag wahr sein, aber die zweite Frage ist in der Wissenschaft noch durch¬ aus offen. Ich kann hierzu nur auf das neue Lehrbuch der gesamten wissen¬ schaftlichen Genealogie von Ottokar Lorenz verweisen und im übrigen meine eigne Ansicht ohne weitere Begründung dahin zusammenfassen, daß kein Grund vorliegt, Verwandtenehen für verderblich anzusehen. Im übrigen sind ja auch die regierenden Familien an die gesetzlichen Ehehindernisse wegen verbotner Verwandtschaftsgrade gebunden. Das andre Bedenken ist solgendes: Wie, wenn ein regierendes Haus plötzlich entthront wird? Soll es dadurch für seine Töchter die Ebenbürtigkeit mit den noch regierenden Familien verlieren? Vielleicht sogar mit rückwirkender Kraft, sodaß die Ehe eines Herrn aus regierenden Hause plötzlich zu einer unebenbürtiger werden würde, weil die Familie seiner Gemahlin lange nach dem Eheabschluß den Thron verliert? Das geht doch unmöglich an. Aber auch abgesehen hiervon scheinen Gründe der Billigkeit dafür zu sprechen, erst kürzlich entthronte Familien in der Eben¬ bürtigkeit den regierenden Familien gleichzustellen. Einer ganzen Gruppe ent¬ thronter Familien ist das garantirt durch Artikel 14 der deutschen Bundesakte von 1815, nämlich den sogenannten Mediatisirten, denen die Ebenbürtigkeit mit den souveränen Häusern „nichtsdestoweniger verbleibt," d. h. trotzdem daß sie die Eigenschaft einer regierenden Familie eingebüßt haben. Hinsichtlich der Mediatisirten spricht der alte Röscher den Wunsch aus, „daß sich die souveränen Familien häufiger mit den juristisch ihnen schon jetzt ebenbürtigen Familien des mediatisirten hohen Adels vermählen." Dieser Satz Noschers ist in mehr als einer Richtung interessant. Einmal, weil daraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/552>, abgerufen am 28.07.2024.