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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

bürtig sein soll, der Bürgerstand schlechthin aber nicht, ist mir -- trotz meines
streng konservativen Standpunkts -- ganz unbegreiflich.

Es will mir durchaus nicht in den Kopf, daß ein begründeter Unterschied
zwischen dem niedern Adel aller Titulaturen und dem Bürgerstande im neun¬
zehnten Jahrhundert bestehe, und welcher Unterschied das sein soll, der es
rechtfertigt, daß die Tochter einer hochangesehenen bürgerlichen Familie einem
Herrn aus regierenden Hause unebenbürtig, die Tochter aus einem minder an¬
gesehenen adlichen Hause ihm aber ebenbürtig sein soll. Noch weniger kaun
ich begreifen, daß ein bei dem einen oder dem andern der kleinern deutschen
Höfe zuweilen leicht und bequem zu erwirkender Adelstitel etwaige "Eben¬
bürtigkeitsmängel" der Braut heilen soll. Ich bekenne gern, modern genug
zu sei", daß ich des Glaubens bin, eine verständige, "moderne," gemeine Rechts¬
überzeugung könne nur dahin gehen, entweder den ganzen niedern Adel aller
Titulaturen samt dem Bürgerstande von der Ebenbürtigkeit mit den regie¬
renden Häusern auszuschließen, oder den ganzen Ebenbürtigkeitsbegriff in die
Rumpelkammer zu werfen.

Wenn also diese letzte Ansicht von ganz liberaler Seite vertreten wird, so
vermag ich darin nur das natürliche Weiterschreiten ans der einmal betretnen
^ meiner Meinung nach abschüssigen -- Bahn zu sehen. Um übrigens Mi߬
verständnissen vorzubeugen, muß noch ausdrücklich bemerkt werden, daß hier
der Fall, daß das Hausrecht durch positive Normen die Ebenbürtigkeit des
niedern Adels ausdrücklich festsetzt, außer Betracht zu lassen ist. Geltendes Recht
muß unter allen Umständen befolgt oder -- es muß eben abgeändert werden.

Doch um zu den legitimistisch-konservativen Gegnern der Ebenbürtigkeit
zurückzukehren, so liegt ihren Schlußfolgerungen ein Übersehen und ein Denk¬
fehler zu Grunde. Sie übersehen, daß die "Legitimität" an rechtliche Voraus¬
setzungen gebunden sein kann und in den meisten Fällen auch thatsächlich ge¬
bunden ist, und daß infolge dessen der im natürlichen Sinne "Primogenitus
der ältesten Linie" in keiner Weise durch irgend welche geltenden Rechtssätze
von der Thronfolge ausgeschlossen sein darf, sonst ist er nicht Primogenitus der
ältesten Linie im Rechtssinne. Ihr Denkfehler aber liegt in der Annahme, daß ein
andrer als der Primogenitus der ältesten Linie im Rechtssinne der "legitime"
Thronfolger sein könnte. Ganz unbestritten gilt z. B. der Satz, daß der
uneheliche Sohn auch bei der Legitimation durch die nachfolgende Ehe kein
Thronfolgerecht hat. Der Fall ist nicht praktisch geworden und wird auch
wohl nie praktisch werden. Gesetzt aber, er würde einmal praktisch, so wäre es
unzweifelhaft lehrreich, zu sehen, welche Stellung diese konservativen Legitimisten
dazu nehmen würden. Denn es müßte konsequenterweise bei solcher Über¬
spannung des Legitimitätsgedankens der durch die nachfolgende Ehe legitimirte
Sohn, wenn er der Primogenitus ist, der Thronerbe seines Vaters sein,
während in Wirklichkeit, nach der eomnrunis opinio, der Thron an den ältesten


Ebenbürtigkeit

bürtig sein soll, der Bürgerstand schlechthin aber nicht, ist mir — trotz meines
streng konservativen Standpunkts — ganz unbegreiflich.

Es will mir durchaus nicht in den Kopf, daß ein begründeter Unterschied
zwischen dem niedern Adel aller Titulaturen und dem Bürgerstande im neun¬
zehnten Jahrhundert bestehe, und welcher Unterschied das sein soll, der es
rechtfertigt, daß die Tochter einer hochangesehenen bürgerlichen Familie einem
Herrn aus regierenden Hause unebenbürtig, die Tochter aus einem minder an¬
gesehenen adlichen Hause ihm aber ebenbürtig sein soll. Noch weniger kaun
ich begreifen, daß ein bei dem einen oder dem andern der kleinern deutschen
Höfe zuweilen leicht und bequem zu erwirkender Adelstitel etwaige „Eben¬
bürtigkeitsmängel" der Braut heilen soll. Ich bekenne gern, modern genug
zu sei», daß ich des Glaubens bin, eine verständige, „moderne," gemeine Rechts¬
überzeugung könne nur dahin gehen, entweder den ganzen niedern Adel aller
Titulaturen samt dem Bürgerstande von der Ebenbürtigkeit mit den regie¬
renden Häusern auszuschließen, oder den ganzen Ebenbürtigkeitsbegriff in die
Rumpelkammer zu werfen.

Wenn also diese letzte Ansicht von ganz liberaler Seite vertreten wird, so
vermag ich darin nur das natürliche Weiterschreiten ans der einmal betretnen
^ meiner Meinung nach abschüssigen — Bahn zu sehen. Um übrigens Mi߬
verständnissen vorzubeugen, muß noch ausdrücklich bemerkt werden, daß hier
der Fall, daß das Hausrecht durch positive Normen die Ebenbürtigkeit des
niedern Adels ausdrücklich festsetzt, außer Betracht zu lassen ist. Geltendes Recht
muß unter allen Umständen befolgt oder — es muß eben abgeändert werden.

Doch um zu den legitimistisch-konservativen Gegnern der Ebenbürtigkeit
zurückzukehren, so liegt ihren Schlußfolgerungen ein Übersehen und ein Denk¬
fehler zu Grunde. Sie übersehen, daß die „Legitimität" an rechtliche Voraus¬
setzungen gebunden sein kann und in den meisten Fällen auch thatsächlich ge¬
bunden ist, und daß infolge dessen der im natürlichen Sinne „Primogenitus
der ältesten Linie" in keiner Weise durch irgend welche geltenden Rechtssätze
von der Thronfolge ausgeschlossen sein darf, sonst ist er nicht Primogenitus der
ältesten Linie im Rechtssinne. Ihr Denkfehler aber liegt in der Annahme, daß ein
andrer als der Primogenitus der ältesten Linie im Rechtssinne der „legitime"
Thronfolger sein könnte. Ganz unbestritten gilt z. B. der Satz, daß der
uneheliche Sohn auch bei der Legitimation durch die nachfolgende Ehe kein
Thronfolgerecht hat. Der Fall ist nicht praktisch geworden und wird auch
wohl nie praktisch werden. Gesetzt aber, er würde einmal praktisch, so wäre es
unzweifelhaft lehrreich, zu sehen, welche Stellung diese konservativen Legitimisten
dazu nehmen würden. Denn es müßte konsequenterweise bei solcher Über¬
spannung des Legitimitätsgedankens der durch die nachfolgende Ehe legitimirte
Sohn, wenn er der Primogenitus ist, der Thronerbe seines Vaters sein,
während in Wirklichkeit, nach der eomnrunis opinio, der Thron an den ältesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/549>, abgerufen am 27.07.2024.