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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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lvas ist uns Anatolien?

ihren Fleiß zugewandt haben, als gerade der Ackerbau. Der Wein war gewiß
dort im Anfang ebenso schlecht, wie der anatolische in diesem Land der Reben,
der, von den einheimischen Griechen hergestellt, absolut ungenießbar ist. (Nur
am Marmarameer wird unter europäischer Anleitung guter Wein für den Ver¬
sand hergestellt.) Jetzt hat der algerische Weinexport eine Zahl von drei
Millionen Hektolitern erreicht. Im Ackerbau ist man noch längst nicht auf die
Erträge gekommen, die aus den Zeiten der Römer berichtet werden. Aber
man hofft von der Zukunft, denn man ist überzeugt, daß sich das Klima
seitdem nicht wesentlich geändert hat. Die ausgedehnten Bewässerungswerke
der Römer beweisen, daß schon damals jeder Tropfen kostbar gewesen ist.
Wer Interessantes hören will über die Art der römischen Anlagen und
über allerlei Fehlerfolge der großartigen modernen Anlagen, der lese nach.
Nur einmal spricht der Verfasser von einer Klimaveränderung, als er den
Elefantenreichtum erwähnt, den man einst diesen Gegenden nachgerühmt hat-

In diesem Lande nun geht die Verwüstung, die man in Anatolien ver¬
mutet, unter den Augen der Franzosen noch weiter vorwärts. Ich übersetze:
"Die Araber haben sich seit der Okkupation, weil sie vor Hungersnöten und
Epidemien sichrer waren, bedeutend vermehrt. Dabei haben sie aber aus den
reichen Niederungsweiden weichen müssen und find in die Wälder der Gebirge
gezogen. Dort haben sie ihre Herden vermehrt, und zwar weniger die Schafe,
die in den Wäldern nicht genügend Futter finden, als die Ziegen, die alles
fressen, jeden jungen Schößling, die Zweige von den Gebüschen und die Rinde
von den jungen Bäumen. Nur die großen Bäume, deren Rinde sie ver¬
schmähen, bleiben stehen, bis sie das Alter fällt. Dann ist der Wald ver¬
schwunden. Man hat noch ungeheure Wälder dort, aber man muß sie den
bedürftigen Arabern überlassen. Sonst zerstören diese aus Rache ungeheure
Strecken durch Feuer, was sie mit Methode und Kunst auszuüben verstehen.
Die Folgen dieser Entwaldung sind verschieden. Hier bleibt ein Rasenteppich,
der den Boden vor der Erosionskrast des Wassers schützt; dort verschwindet
binnen kurzem die Krume, der Fels tritt zu Tage, und die Verwüstung wird
vollständig. Aber selbst auf den berasten Stellen wächst viel weniger Gras
als im Schatten der Bäume. Noch unter einem einzelnen Baum, der vom
Walde übrig geblieben ist, ist der Graswuchs viel üppiger als dicht daneben
auf dem besonnten Boden. Der Baum schützt gegen die Sonne; er vermindert
die Verdunstung; er läßt den Schnee länger liegen; er produzirt Humus und
thut noch andre gute Dinge, die man nicht kennt. Jedenfalls muß Trocken¬
heit und Unfruchtbarkeit durch die Entwaldung zunehmen und das Klima
schlechter werden."

Was Menschen zerstört haben, können Menschen auch wieder herstellen.
Aber wenn Menschenalter daran gearbeitet haben, dieses Land zu verwüsten, so
werden andre Menschenalter arbeiten müssen, es wieder anzubauen. Unsre
schnell lebende Zeit interessirt nur das, was schnell zu erreichen ist. Darum ist


lvas ist uns Anatolien?

ihren Fleiß zugewandt haben, als gerade der Ackerbau. Der Wein war gewiß
dort im Anfang ebenso schlecht, wie der anatolische in diesem Land der Reben,
der, von den einheimischen Griechen hergestellt, absolut ungenießbar ist. (Nur
am Marmarameer wird unter europäischer Anleitung guter Wein für den Ver¬
sand hergestellt.) Jetzt hat der algerische Weinexport eine Zahl von drei
Millionen Hektolitern erreicht. Im Ackerbau ist man noch längst nicht auf die
Erträge gekommen, die aus den Zeiten der Römer berichtet werden. Aber
man hofft von der Zukunft, denn man ist überzeugt, daß sich das Klima
seitdem nicht wesentlich geändert hat. Die ausgedehnten Bewässerungswerke
der Römer beweisen, daß schon damals jeder Tropfen kostbar gewesen ist.
Wer Interessantes hören will über die Art der römischen Anlagen und
über allerlei Fehlerfolge der großartigen modernen Anlagen, der lese nach.
Nur einmal spricht der Verfasser von einer Klimaveränderung, als er den
Elefantenreichtum erwähnt, den man einst diesen Gegenden nachgerühmt hat-

In diesem Lande nun geht die Verwüstung, die man in Anatolien ver¬
mutet, unter den Augen der Franzosen noch weiter vorwärts. Ich übersetze:
„Die Araber haben sich seit der Okkupation, weil sie vor Hungersnöten und
Epidemien sichrer waren, bedeutend vermehrt. Dabei haben sie aber aus den
reichen Niederungsweiden weichen müssen und find in die Wälder der Gebirge
gezogen. Dort haben sie ihre Herden vermehrt, und zwar weniger die Schafe,
die in den Wäldern nicht genügend Futter finden, als die Ziegen, die alles
fressen, jeden jungen Schößling, die Zweige von den Gebüschen und die Rinde
von den jungen Bäumen. Nur die großen Bäume, deren Rinde sie ver¬
schmähen, bleiben stehen, bis sie das Alter fällt. Dann ist der Wald ver¬
schwunden. Man hat noch ungeheure Wälder dort, aber man muß sie den
bedürftigen Arabern überlassen. Sonst zerstören diese aus Rache ungeheure
Strecken durch Feuer, was sie mit Methode und Kunst auszuüben verstehen.
Die Folgen dieser Entwaldung sind verschieden. Hier bleibt ein Rasenteppich,
der den Boden vor der Erosionskrast des Wassers schützt; dort verschwindet
binnen kurzem die Krume, der Fels tritt zu Tage, und die Verwüstung wird
vollständig. Aber selbst auf den berasten Stellen wächst viel weniger Gras
als im Schatten der Bäume. Noch unter einem einzelnen Baum, der vom
Walde übrig geblieben ist, ist der Graswuchs viel üppiger als dicht daneben
auf dem besonnten Boden. Der Baum schützt gegen die Sonne; er vermindert
die Verdunstung; er läßt den Schnee länger liegen; er produzirt Humus und
thut noch andre gute Dinge, die man nicht kennt. Jedenfalls muß Trocken¬
heit und Unfruchtbarkeit durch die Entwaldung zunehmen und das Klima
schlechter werden."

Was Menschen zerstört haben, können Menschen auch wieder herstellen.
Aber wenn Menschenalter daran gearbeitet haben, dieses Land zu verwüsten, so
werden andre Menschenalter arbeiten müssen, es wieder anzubauen. Unsre
schnell lebende Zeit interessirt nur das, was schnell zu erreichen ist. Darum ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/539>, abgerufen am 28.07.2024.