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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

zu bringen, über künstlerische Dinge, über sich selbst; er legt sogar Bekenntnisse
ab über seine Künstlerlannen und die Gründe seiner einsamen Lebensweise.
Noch ist von einer christlichen Wendung auf seiner Seite nichts zu merken.
Der Marchesa, die den frommem Charakter der deutschen Kunst preist, stellt
er mit selbständigem Stolze die Kunst der italienischen Renaissance als die
vollkommnere, als die absolute entgegen. "Unsre Kunst ist die des alten
Griechenlands." Er meint, die deutsche Malerei sei für alte Frauen und junge
Mädchen, für Geistliche und Nonnen -- wir Italiener haben die wahre Kunst,
die in sich selber fromm ist, eben weil sie vollkommen ist: die wahre Malerei
stammt vom Himmel, ist nur ein Abbild der Vollkommenheit Gottes, ein
Schatten des Pinsels, mit dem der Schöpfer malt.

Diesen Standpunkt hat Michelangelo nicht bis ans Ende behauptet. Unter
dem Einfluß der seltnen Frau, die dabei an den religiösen Untergrund in seinem
Wesen anknüpfen konnte, hat sich sein Denken und Empfinden verwandelt, sind
ihm seine bisherigen Ideale erschüttert worden- In einem der noch vorhandnen
Briefe finden sich Spuren, daß sich auch in diesem Verhältnis seine leiden¬
schaftliche Natur nicht verleugnete. Sie findet es für nötig, sein Andrängen
sanft abzuwehren, und bittet ihn mit zierlich gesetzten, gutgelaunten Worten,
die Korrespondenz nicht fortzusetzen, da sie sonst ihren Obliegenheiten bei den
frommen Schwestern in Viterbo, er seinen Verpflichtungen bei der Arbeit in
der paulinischen Kapelle untreu werden möchte. "Und so könnten wir Gefahr
laufen, ich den Bräuten, Ihr dein Statthalter Christi gegenüber, unsre Pflicht
zu versäumen." Sie schreibt dann weiter von seiner mit christlichem Knoten
fest an sie geknüpften Anhänglichkeit und betet zum Herrn, von dem er ihr
bei ihrem Abschied von Rom mit heißem und demütigem Herzen gesprochen,
daß sie bei ihrer Rückkehr nach Rom den Freund mit einem erneuten und
gläubigen Herzen wiederfinden möge. Hier die erste Spur, daß eine Um¬
wandlung bei ihm begonnen hat. Die andern Briefe drehen sich meist um
Gedichte, die sie ihm gesandt, und um Zeichnungen des Gekreuzigten, die er
der Freundin versprochen hat. Sie schreibt in einem förmlichen, umständlichen
Stil, durch den doch eine aufrichtige Herzlichkeit durchscheint, immer voll Be¬
wunderung für den großen Künstler und nie, ohne Worte frommer Salbung
einfließen zu lassen. Er dagegen schreibt immer im Tone der Unterwürfigkeit,
im Gefühl des weiten Abstandes zwischen ihnen. Eine Himmelsgabe ist ihm
ihre Huld, und seitdem er ihre Gedichte besitzt, dünkt ihn sein Hans ein
Paradies zu sein. Man spürt aus den Briefen die Gewalt, die sie über ihn
ausübt. Sie zieht ihn zum Ewigen. Auch die Gedichte bezeugen es, die er
an sie gerichtet hat. Nach Condivi hat er ihr "viele und viele Sonette voll
Geistes und süßen Verlangens" gewidmet. Einige tragen schon in den Hand¬
schriften diese Bestimmung an der Stirn; andre, die in diesen Jahren ent¬
standen, sind unverkennbar in gleicher Weise zu bestimmen. Sie enthalten zum


Die Gedichte Michelangelos

zu bringen, über künstlerische Dinge, über sich selbst; er legt sogar Bekenntnisse
ab über seine Künstlerlannen und die Gründe seiner einsamen Lebensweise.
Noch ist von einer christlichen Wendung auf seiner Seite nichts zu merken.
Der Marchesa, die den frommem Charakter der deutschen Kunst preist, stellt
er mit selbständigem Stolze die Kunst der italienischen Renaissance als die
vollkommnere, als die absolute entgegen. „Unsre Kunst ist die des alten
Griechenlands." Er meint, die deutsche Malerei sei für alte Frauen und junge
Mädchen, für Geistliche und Nonnen — wir Italiener haben die wahre Kunst,
die in sich selber fromm ist, eben weil sie vollkommen ist: die wahre Malerei
stammt vom Himmel, ist nur ein Abbild der Vollkommenheit Gottes, ein
Schatten des Pinsels, mit dem der Schöpfer malt.

Diesen Standpunkt hat Michelangelo nicht bis ans Ende behauptet. Unter
dem Einfluß der seltnen Frau, die dabei an den religiösen Untergrund in seinem
Wesen anknüpfen konnte, hat sich sein Denken und Empfinden verwandelt, sind
ihm seine bisherigen Ideale erschüttert worden- In einem der noch vorhandnen
Briefe finden sich Spuren, daß sich auch in diesem Verhältnis seine leiden¬
schaftliche Natur nicht verleugnete. Sie findet es für nötig, sein Andrängen
sanft abzuwehren, und bittet ihn mit zierlich gesetzten, gutgelaunten Worten,
die Korrespondenz nicht fortzusetzen, da sie sonst ihren Obliegenheiten bei den
frommen Schwestern in Viterbo, er seinen Verpflichtungen bei der Arbeit in
der paulinischen Kapelle untreu werden möchte. „Und so könnten wir Gefahr
laufen, ich den Bräuten, Ihr dein Statthalter Christi gegenüber, unsre Pflicht
zu versäumen." Sie schreibt dann weiter von seiner mit christlichem Knoten
fest an sie geknüpften Anhänglichkeit und betet zum Herrn, von dem er ihr
bei ihrem Abschied von Rom mit heißem und demütigem Herzen gesprochen,
daß sie bei ihrer Rückkehr nach Rom den Freund mit einem erneuten und
gläubigen Herzen wiederfinden möge. Hier die erste Spur, daß eine Um¬
wandlung bei ihm begonnen hat. Die andern Briefe drehen sich meist um
Gedichte, die sie ihm gesandt, und um Zeichnungen des Gekreuzigten, die er
der Freundin versprochen hat. Sie schreibt in einem förmlichen, umständlichen
Stil, durch den doch eine aufrichtige Herzlichkeit durchscheint, immer voll Be¬
wunderung für den großen Künstler und nie, ohne Worte frommer Salbung
einfließen zu lassen. Er dagegen schreibt immer im Tone der Unterwürfigkeit,
im Gefühl des weiten Abstandes zwischen ihnen. Eine Himmelsgabe ist ihm
ihre Huld, und seitdem er ihre Gedichte besitzt, dünkt ihn sein Hans ein
Paradies zu sein. Man spürt aus den Briefen die Gewalt, die sie über ihn
ausübt. Sie zieht ihn zum Ewigen. Auch die Gedichte bezeugen es, die er
an sie gerichtet hat. Nach Condivi hat er ihr „viele und viele Sonette voll
Geistes und süßen Verlangens" gewidmet. Einige tragen schon in den Hand¬
schriften diese Bestimmung an der Stirn; andre, die in diesen Jahren ent¬
standen, sind unverkennbar in gleicher Weise zu bestimmen. Sie enthalten zum


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[0524] Die Gedichte Michelangelos zu bringen, über künstlerische Dinge, über sich selbst; er legt sogar Bekenntnisse ab über seine Künstlerlannen und die Gründe seiner einsamen Lebensweise. Noch ist von einer christlichen Wendung auf seiner Seite nichts zu merken. Der Marchesa, die den frommem Charakter der deutschen Kunst preist, stellt er mit selbständigem Stolze die Kunst der italienischen Renaissance als die vollkommnere, als die absolute entgegen. „Unsre Kunst ist die des alten Griechenlands." Er meint, die deutsche Malerei sei für alte Frauen und junge Mädchen, für Geistliche und Nonnen — wir Italiener haben die wahre Kunst, die in sich selber fromm ist, eben weil sie vollkommen ist: die wahre Malerei stammt vom Himmel, ist nur ein Abbild der Vollkommenheit Gottes, ein Schatten des Pinsels, mit dem der Schöpfer malt. Diesen Standpunkt hat Michelangelo nicht bis ans Ende behauptet. Unter dem Einfluß der seltnen Frau, die dabei an den religiösen Untergrund in seinem Wesen anknüpfen konnte, hat sich sein Denken und Empfinden verwandelt, sind ihm seine bisherigen Ideale erschüttert worden- In einem der noch vorhandnen Briefe finden sich Spuren, daß sich auch in diesem Verhältnis seine leiden¬ schaftliche Natur nicht verleugnete. Sie findet es für nötig, sein Andrängen sanft abzuwehren, und bittet ihn mit zierlich gesetzten, gutgelaunten Worten, die Korrespondenz nicht fortzusetzen, da sie sonst ihren Obliegenheiten bei den frommen Schwestern in Viterbo, er seinen Verpflichtungen bei der Arbeit in der paulinischen Kapelle untreu werden möchte. „Und so könnten wir Gefahr laufen, ich den Bräuten, Ihr dein Statthalter Christi gegenüber, unsre Pflicht zu versäumen." Sie schreibt dann weiter von seiner mit christlichem Knoten fest an sie geknüpften Anhänglichkeit und betet zum Herrn, von dem er ihr bei ihrem Abschied von Rom mit heißem und demütigem Herzen gesprochen, daß sie bei ihrer Rückkehr nach Rom den Freund mit einem erneuten und gläubigen Herzen wiederfinden möge. Hier die erste Spur, daß eine Um¬ wandlung bei ihm begonnen hat. Die andern Briefe drehen sich meist um Gedichte, die sie ihm gesandt, und um Zeichnungen des Gekreuzigten, die er der Freundin versprochen hat. Sie schreibt in einem förmlichen, umständlichen Stil, durch den doch eine aufrichtige Herzlichkeit durchscheint, immer voll Be¬ wunderung für den großen Künstler und nie, ohne Worte frommer Salbung einfließen zu lassen. Er dagegen schreibt immer im Tone der Unterwürfigkeit, im Gefühl des weiten Abstandes zwischen ihnen. Eine Himmelsgabe ist ihm ihre Huld, und seitdem er ihre Gedichte besitzt, dünkt ihn sein Hans ein Paradies zu sein. Man spürt aus den Briefen die Gewalt, die sie über ihn ausübt. Sie zieht ihn zum Ewigen. Auch die Gedichte bezeugen es, die er an sie gerichtet hat. Nach Condivi hat er ihr „viele und viele Sonette voll Geistes und süßen Verlangens" gewidmet. Einige tragen schon in den Hand¬ schriften diese Bestimmung an der Stirn; andre, die in diesen Jahren ent¬ standen, sind unverkennbar in gleicher Weise zu bestimmen. Sie enthalten zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/524>, abgerufen am 28.07.2024.