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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung

lische Aktion ohne vorherige Zustimmung der Marsstaaten. Sie zwingen ihre
"geläuterten" Anschauungen den widerstrebenden Menschen ganz in der Weise
der radikalen Weltbeglücker auf. Das Protektorat und die Erziehungsmethode
der Ruinen ruft einen Konflikt nach dem andern hervor. Es zeigt sich, daß
die Beschützer und "Kultoren" der barbarischen Menschheit unter anderm auch
die agrarische Nahrung abgewöhnen müssen, wenn nicht eine furchtbare Pest,
die früher auf dem Mars geherrscht hat, die Erde entvölkern soll. Die idealen
Marsbewohner werden als Beamte auf der schnöden Erde von einem "Erd¬
koller" ergriffen und erlauben sich tausend Ausschreitungen, auf dem Muster-
Planeten selbst aber, auf dem Mars, erheben sich "sobald mit der Erschließung
der Erde das Gefühl der Macht und die Möglichkeit sich eingestellt hatte,
Wesen, die man nicht für seinesgleichen hielt, auszubeuten, in den weniger
hochstehende" Elementen der Bevölkerung wieder jene niedern Instinkte eines
unter dem schönen Namen des Patriotismus sich verbergenden Egoismus."
Gegenüber dem unerträglich gewordnen Drucke bildet sich auf der Erde ein
Menschenhund, der "Numenheit ohne Ruine," Erringung der Kulturvorteile,
die der höhere Standpunkt der Martier bieten kann, aber Zurückgewinnung
der Unabhängigkeit als Endziel erstrebt. Die Martier greifen zum äußersten
Mittel und erklären die gesamte Bevölkerung der Erde des Rechts der freien
Selbstbestimmung für verlustig. In den Urwäldern der Vereinigten Staaten
von Amerika haben geschickte Ingenieure Luftkriegsschiffe nach dem System der
Martier erbaut und bewaffnet, ein Angriff auf die Außenstation der Ruinen
und die Polinsel gelingt, die auf der Erde vorhandnen Martier sind von der
Verbindung mit ihrem Gestirn abgeschnitten. Die Martier besäßen in ihrer
überlegnen Technik wohl noch immer die Mittel, in einem Vernichtungskriege
die Menschen und ihre Kultur auszurotten, aber vor der Verantwortung dafür
scheut ihre Regierung zurück. So kommt es zum Weltfrieden und einem
Handelsvertrag auf ewige Zeiten zwischen Nu und Ba, dem Mars und der
Erde. Die europäischen Staaten vertrauen sich der Führung der Vereinigten
Staaten, worauf die Menschheit ihr Haupt in Frieden, Freiheit und Würde
erhebt. Beim Überbringer der Friedensbotschaft ist Ell, der im Anfang er¬
wähnte geheimnisvolle Numensohn auf der Erde, der spätere "Kultor" der
Deutschen, in edler Aufopferung verunglückt. Toren und seine Ihna, die
längst wieder vereinigt sind, und Saltner, der die schöne Martierin La ge¬
heiratet hat, weihen dem Andenken des Edeln die üblichen Thränen.

Fassen wir den Verlauf des im flüchtigsten Umriß skizzirten Romans ins
Auge, so haben wir zunächst freilich nichts, als eine Übersteigerung der Phan¬
tasien Verres und eine technische Vision, die die Einbildungskraft der Leser
von der Erde hinweg und in den Weltraum hinausreißt. Wir erfahren ja
gelegentlich sogar, daß die Martier auch den Jupiter umschifft haben, und
dürfen unter Umständen einem Roman darüber entgegensehen, der die Ge-


Grenzboten III 1898 64
Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung

lische Aktion ohne vorherige Zustimmung der Marsstaaten. Sie zwingen ihre
„geläuterten" Anschauungen den widerstrebenden Menschen ganz in der Weise
der radikalen Weltbeglücker auf. Das Protektorat und die Erziehungsmethode
der Ruinen ruft einen Konflikt nach dem andern hervor. Es zeigt sich, daß
die Beschützer und „Kultoren" der barbarischen Menschheit unter anderm auch
die agrarische Nahrung abgewöhnen müssen, wenn nicht eine furchtbare Pest,
die früher auf dem Mars geherrscht hat, die Erde entvölkern soll. Die idealen
Marsbewohner werden als Beamte auf der schnöden Erde von einem „Erd¬
koller" ergriffen und erlauben sich tausend Ausschreitungen, auf dem Muster-
Planeten selbst aber, auf dem Mars, erheben sich „sobald mit der Erschließung
der Erde das Gefühl der Macht und die Möglichkeit sich eingestellt hatte,
Wesen, die man nicht für seinesgleichen hielt, auszubeuten, in den weniger
hochstehende» Elementen der Bevölkerung wieder jene niedern Instinkte eines
unter dem schönen Namen des Patriotismus sich verbergenden Egoismus."
Gegenüber dem unerträglich gewordnen Drucke bildet sich auf der Erde ein
Menschenhund, der „Numenheit ohne Ruine," Erringung der Kulturvorteile,
die der höhere Standpunkt der Martier bieten kann, aber Zurückgewinnung
der Unabhängigkeit als Endziel erstrebt. Die Martier greifen zum äußersten
Mittel und erklären die gesamte Bevölkerung der Erde des Rechts der freien
Selbstbestimmung für verlustig. In den Urwäldern der Vereinigten Staaten
von Amerika haben geschickte Ingenieure Luftkriegsschiffe nach dem System der
Martier erbaut und bewaffnet, ein Angriff auf die Außenstation der Ruinen
und die Polinsel gelingt, die auf der Erde vorhandnen Martier sind von der
Verbindung mit ihrem Gestirn abgeschnitten. Die Martier besäßen in ihrer
überlegnen Technik wohl noch immer die Mittel, in einem Vernichtungskriege
die Menschen und ihre Kultur auszurotten, aber vor der Verantwortung dafür
scheut ihre Regierung zurück. So kommt es zum Weltfrieden und einem
Handelsvertrag auf ewige Zeiten zwischen Nu und Ba, dem Mars und der
Erde. Die europäischen Staaten vertrauen sich der Führung der Vereinigten
Staaten, worauf die Menschheit ihr Haupt in Frieden, Freiheit und Würde
erhebt. Beim Überbringer der Friedensbotschaft ist Ell, der im Anfang er¬
wähnte geheimnisvolle Numensohn auf der Erde, der spätere „Kultor" der
Deutschen, in edler Aufopferung verunglückt. Toren und seine Ihna, die
längst wieder vereinigt sind, und Saltner, der die schöne Martierin La ge¬
heiratet hat, weihen dem Andenken des Edeln die üblichen Thränen.

Fassen wir den Verlauf des im flüchtigsten Umriß skizzirten Romans ins
Auge, so haben wir zunächst freilich nichts, als eine Übersteigerung der Phan¬
tasien Verres und eine technische Vision, die die Einbildungskraft der Leser
von der Erde hinweg und in den Weltraum hinausreißt. Wir erfahren ja
gelegentlich sogar, daß die Martier auch den Jupiter umschifft haben, und
dürfen unter Umständen einem Roman darüber entgegensehen, der die Ge-


Grenzboten III 1898 64
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[0513] Der technische Lhiliasmus in der neuern Dichtung lische Aktion ohne vorherige Zustimmung der Marsstaaten. Sie zwingen ihre „geläuterten" Anschauungen den widerstrebenden Menschen ganz in der Weise der radikalen Weltbeglücker auf. Das Protektorat und die Erziehungsmethode der Ruinen ruft einen Konflikt nach dem andern hervor. Es zeigt sich, daß die Beschützer und „Kultoren" der barbarischen Menschheit unter anderm auch die agrarische Nahrung abgewöhnen müssen, wenn nicht eine furchtbare Pest, die früher auf dem Mars geherrscht hat, die Erde entvölkern soll. Die idealen Marsbewohner werden als Beamte auf der schnöden Erde von einem „Erd¬ koller" ergriffen und erlauben sich tausend Ausschreitungen, auf dem Muster- Planeten selbst aber, auf dem Mars, erheben sich „sobald mit der Erschließung der Erde das Gefühl der Macht und die Möglichkeit sich eingestellt hatte, Wesen, die man nicht für seinesgleichen hielt, auszubeuten, in den weniger hochstehende» Elementen der Bevölkerung wieder jene niedern Instinkte eines unter dem schönen Namen des Patriotismus sich verbergenden Egoismus." Gegenüber dem unerträglich gewordnen Drucke bildet sich auf der Erde ein Menschenhund, der „Numenheit ohne Ruine," Erringung der Kulturvorteile, die der höhere Standpunkt der Martier bieten kann, aber Zurückgewinnung der Unabhängigkeit als Endziel erstrebt. Die Martier greifen zum äußersten Mittel und erklären die gesamte Bevölkerung der Erde des Rechts der freien Selbstbestimmung für verlustig. In den Urwäldern der Vereinigten Staaten von Amerika haben geschickte Ingenieure Luftkriegsschiffe nach dem System der Martier erbaut und bewaffnet, ein Angriff auf die Außenstation der Ruinen und die Polinsel gelingt, die auf der Erde vorhandnen Martier sind von der Verbindung mit ihrem Gestirn abgeschnitten. Die Martier besäßen in ihrer überlegnen Technik wohl noch immer die Mittel, in einem Vernichtungskriege die Menschen und ihre Kultur auszurotten, aber vor der Verantwortung dafür scheut ihre Regierung zurück. So kommt es zum Weltfrieden und einem Handelsvertrag auf ewige Zeiten zwischen Nu und Ba, dem Mars und der Erde. Die europäischen Staaten vertrauen sich der Führung der Vereinigten Staaten, worauf die Menschheit ihr Haupt in Frieden, Freiheit und Würde erhebt. Beim Überbringer der Friedensbotschaft ist Ell, der im Anfang er¬ wähnte geheimnisvolle Numensohn auf der Erde, der spätere „Kultor" der Deutschen, in edler Aufopferung verunglückt. Toren und seine Ihna, die längst wieder vereinigt sind, und Saltner, der die schöne Martierin La ge¬ heiratet hat, weihen dem Andenken des Edeln die üblichen Thränen. Fassen wir den Verlauf des im flüchtigsten Umriß skizzirten Romans ins Auge, so haben wir zunächst freilich nichts, als eine Übersteigerung der Phan¬ tasien Verres und eine technische Vision, die die Einbildungskraft der Leser von der Erde hinweg und in den Weltraum hinausreißt. Wir erfahren ja gelegentlich sogar, daß die Martier auch den Jupiter umschifft haben, und dürfen unter Umständen einem Roman darüber entgegensehen, der die Ge- Grenzboten III 1898 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/513>, abgerufen am 28.07.2024.