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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelstandspolitik in Österreich

so oft es die Umstände fordern, schon Gesagtes wiederholen oder auf That¬
sachen hinweisen, die unsre Auffassung bestätigen, und wir dürfen ein Buch
nicht unerwähnt lassen, das eine Fülle solcher Thatsachen enthält: Gewerb¬
liche Mittelstandspolitik. Eine rechtshistorisch-wirtschaftspolitische Studie
auf Grund österreichischer Quellen von Heinrich Waentig, a. v. Professor an
der Universität Marburg. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898.) Waentig hat
sich zum Zweck der Abfassung dieses Buches nahezu anderthalb Jahre in ver-
schiednen Teilen Österreichs aufgehalten und den Stoff nicht bloß aus Büchern
und Akten, sondern auch aus dem unmittelbar geschauten Leben zusammen¬
getragen.

Der erste, historische Teil erzählt die Geschichte der österreichischen Ge¬
werbepolitik in der Ära des Absolutismus, in der des Liberalismus und in
der der heutigen Mittelstandspolitik. Das Verordnungswesen der absolutistisch-
bureaukratischen Zeit und die Parteikümpfe der folgenden beiden Zeiten sind
zu verwickelt, als daß ein Versuch gelingen könnte, ihren Verlauf in einem
kurzen Abriß darzustellen. Wir beschränken uns daher daraus, aus dem zweiten
und dritten Abschnitt ein paar besonders merkwürdige Punkte hervorzuheben.
Wie in Deutschland, so war es auch in Österreich der Klerus, der die 1848
errungne Freiheit am besten auszunutzen verstand. Mit dem Klerus fand sich
der Adel eng verbündet. Beide, Aristokratie und Klerus, "hatten das Inter¬
regnum dazu benutzt, sich in Anlehnung an die bedrängte Dynastie eine selb¬
ständige Stellung zu erringen, und fühlten sich jetzt stark genug, eine eigne
Politik zu verfolgen, eine Politik, die sich natürlich gegen den verhaßten Staats¬
absolutismus kehrte und, in den Lauf der Jahrhunderte zurückgreifend, der
Wiedererweckung mittelalterlicher Lebensformen zustrebte." Aber nur politisch
war der Hochadel reaktionär, an den Bestrebungen des Klerus, das Wirt¬
schaftsleben in mittelalterliche Formen zurückzudrängen, nahm er nicht teil.
Hegte er doch schon damals keineswegs ausschließlich agrarische Interessen.
"Schon frühzeitig hatte er sich um die Förderung der Großindustrie verdient
gemacht, bedeutende Werte darin angelegt, auch vom Baume des Kapitalismus
gekostet und seine Früchte süß und nahrhaft befunden." Mit Konzessionen zu
industriellen Unternehmungen ließ er sich vom wiederhergestellten Absolutismus
sür die im Sturm- und Drangjahre erlittne Einbuße an unmittelbarem poli¬
tischem Einfluß entschädigen. "Hierzu kam noch, daß die zur Sanirung der
zerrütteten Staatsfinanzen in Szene gesetzten Finanzoperationen ein allgemeines
Spelnlativnsfieber hervorriefen, ein Treiben, worein zahlreiche Glieder der
Aristokratie verstrickt wurden. Verschmähten es doch die Schwarzenberg,
Fürstenberg, Metternich, Esterhazy, Sapicha, Jablonowski, Waldstein, Cholet,
Larisch, Wickenburg, Andrassy und allen voran die Zichy keineswegs, im Bunde
mit den Haber, Lümmel und Rothschild ihre hocharistokratischen Wappen und
Namen herzugeben, wenn es galt, das Publikum zu Aktienunternehmungen


Mittelstandspolitik in Österreich

so oft es die Umstände fordern, schon Gesagtes wiederholen oder auf That¬
sachen hinweisen, die unsre Auffassung bestätigen, und wir dürfen ein Buch
nicht unerwähnt lassen, das eine Fülle solcher Thatsachen enthält: Gewerb¬
liche Mittelstandspolitik. Eine rechtshistorisch-wirtschaftspolitische Studie
auf Grund österreichischer Quellen von Heinrich Waentig, a. v. Professor an
der Universität Marburg. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898.) Waentig hat
sich zum Zweck der Abfassung dieses Buches nahezu anderthalb Jahre in ver-
schiednen Teilen Österreichs aufgehalten und den Stoff nicht bloß aus Büchern
und Akten, sondern auch aus dem unmittelbar geschauten Leben zusammen¬
getragen.

Der erste, historische Teil erzählt die Geschichte der österreichischen Ge¬
werbepolitik in der Ära des Absolutismus, in der des Liberalismus und in
der der heutigen Mittelstandspolitik. Das Verordnungswesen der absolutistisch-
bureaukratischen Zeit und die Parteikümpfe der folgenden beiden Zeiten sind
zu verwickelt, als daß ein Versuch gelingen könnte, ihren Verlauf in einem
kurzen Abriß darzustellen. Wir beschränken uns daher daraus, aus dem zweiten
und dritten Abschnitt ein paar besonders merkwürdige Punkte hervorzuheben.
Wie in Deutschland, so war es auch in Österreich der Klerus, der die 1848
errungne Freiheit am besten auszunutzen verstand. Mit dem Klerus fand sich
der Adel eng verbündet. Beide, Aristokratie und Klerus, „hatten das Inter¬
regnum dazu benutzt, sich in Anlehnung an die bedrängte Dynastie eine selb¬
ständige Stellung zu erringen, und fühlten sich jetzt stark genug, eine eigne
Politik zu verfolgen, eine Politik, die sich natürlich gegen den verhaßten Staats¬
absolutismus kehrte und, in den Lauf der Jahrhunderte zurückgreifend, der
Wiedererweckung mittelalterlicher Lebensformen zustrebte." Aber nur politisch
war der Hochadel reaktionär, an den Bestrebungen des Klerus, das Wirt¬
schaftsleben in mittelalterliche Formen zurückzudrängen, nahm er nicht teil.
Hegte er doch schon damals keineswegs ausschließlich agrarische Interessen.
„Schon frühzeitig hatte er sich um die Förderung der Großindustrie verdient
gemacht, bedeutende Werte darin angelegt, auch vom Baume des Kapitalismus
gekostet und seine Früchte süß und nahrhaft befunden." Mit Konzessionen zu
industriellen Unternehmungen ließ er sich vom wiederhergestellten Absolutismus
sür die im Sturm- und Drangjahre erlittne Einbuße an unmittelbarem poli¬
tischem Einfluß entschädigen. „Hierzu kam noch, daß die zur Sanirung der
zerrütteten Staatsfinanzen in Szene gesetzten Finanzoperationen ein allgemeines
Spelnlativnsfieber hervorriefen, ein Treiben, worein zahlreiche Glieder der
Aristokratie verstrickt wurden. Verschmähten es doch die Schwarzenberg,
Fürstenberg, Metternich, Esterhazy, Sapicha, Jablonowski, Waldstein, Cholet,
Larisch, Wickenburg, Andrassy und allen voran die Zichy keineswegs, im Bunde
mit den Haber, Lümmel und Rothschild ihre hocharistokratischen Wappen und
Namen herzugeben, wenn es galt, das Publikum zu Aktienunternehmungen


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[0499] Mittelstandspolitik in Österreich so oft es die Umstände fordern, schon Gesagtes wiederholen oder auf That¬ sachen hinweisen, die unsre Auffassung bestätigen, und wir dürfen ein Buch nicht unerwähnt lassen, das eine Fülle solcher Thatsachen enthält: Gewerb¬ liche Mittelstandspolitik. Eine rechtshistorisch-wirtschaftspolitische Studie auf Grund österreichischer Quellen von Heinrich Waentig, a. v. Professor an der Universität Marburg. (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898.) Waentig hat sich zum Zweck der Abfassung dieses Buches nahezu anderthalb Jahre in ver- schiednen Teilen Österreichs aufgehalten und den Stoff nicht bloß aus Büchern und Akten, sondern auch aus dem unmittelbar geschauten Leben zusammen¬ getragen. Der erste, historische Teil erzählt die Geschichte der österreichischen Ge¬ werbepolitik in der Ära des Absolutismus, in der des Liberalismus und in der der heutigen Mittelstandspolitik. Das Verordnungswesen der absolutistisch- bureaukratischen Zeit und die Parteikümpfe der folgenden beiden Zeiten sind zu verwickelt, als daß ein Versuch gelingen könnte, ihren Verlauf in einem kurzen Abriß darzustellen. Wir beschränken uns daher daraus, aus dem zweiten und dritten Abschnitt ein paar besonders merkwürdige Punkte hervorzuheben. Wie in Deutschland, so war es auch in Österreich der Klerus, der die 1848 errungne Freiheit am besten auszunutzen verstand. Mit dem Klerus fand sich der Adel eng verbündet. Beide, Aristokratie und Klerus, „hatten das Inter¬ regnum dazu benutzt, sich in Anlehnung an die bedrängte Dynastie eine selb¬ ständige Stellung zu erringen, und fühlten sich jetzt stark genug, eine eigne Politik zu verfolgen, eine Politik, die sich natürlich gegen den verhaßten Staats¬ absolutismus kehrte und, in den Lauf der Jahrhunderte zurückgreifend, der Wiedererweckung mittelalterlicher Lebensformen zustrebte." Aber nur politisch war der Hochadel reaktionär, an den Bestrebungen des Klerus, das Wirt¬ schaftsleben in mittelalterliche Formen zurückzudrängen, nahm er nicht teil. Hegte er doch schon damals keineswegs ausschließlich agrarische Interessen. „Schon frühzeitig hatte er sich um die Förderung der Großindustrie verdient gemacht, bedeutende Werte darin angelegt, auch vom Baume des Kapitalismus gekostet und seine Früchte süß und nahrhaft befunden." Mit Konzessionen zu industriellen Unternehmungen ließ er sich vom wiederhergestellten Absolutismus sür die im Sturm- und Drangjahre erlittne Einbuße an unmittelbarem poli¬ tischem Einfluß entschädigen. „Hierzu kam noch, daß die zur Sanirung der zerrütteten Staatsfinanzen in Szene gesetzten Finanzoperationen ein allgemeines Spelnlativnsfieber hervorriefen, ein Treiben, worein zahlreiche Glieder der Aristokratie verstrickt wurden. Verschmähten es doch die Schwarzenberg, Fürstenberg, Metternich, Esterhazy, Sapicha, Jablonowski, Waldstein, Cholet, Larisch, Wickenburg, Andrassy und allen voran die Zichy keineswegs, im Bunde mit den Haber, Lümmel und Rothschild ihre hocharistokratischen Wappen und Namen herzugeben, wenn es galt, das Publikum zu Aktienunternehmungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/499>, abgerufen am 01.09.2024.