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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Theorie des Grafen Gobineau

männlichen stellt er die Chinesen, an die der weiblichen die Hindu. Der Fall,
daß sich der Mann in der Verfolgung geistiger Interessen in Hirngespinste
verirrt, während das Weib auf den praktischen Nutzen bedacht ist. kommt doch
wohl öfter vor als der umgekehrte. Mag der Unterschied des männlichen
vom weiblichen Gemüt liegen, wo er will, im Vorherrschen des Geistigen oder
des Sinnlichen liegt er gewiß nicht. Daß die Hindu etwas weibliches haben,
ist richtig, aber den Eindruck entschiedner Männlichkeit machen die ganz anders
gearteten Chinesen wahrhaftig nicht. Richtig ist auch, daß die Römer in ihrer
ältern Zeit sehr männlich waren, und daß einander heute Germanen und Ro¬
manen als männliche und weibliche Erscheinungen gegenüberstehen. Aber doch
nur mit Einschränkungen; die Spanier z. V. haben mehr männliches als weib¬
liches oder weibisches an sich.

Die Dauerhaftigkeit einer Kultur soll nun auf ihrer Gleichartigkeit und
diese auf der Rassenreinheit beruhen. Die Nasfenreinheit bringt es mit sich,
daß das Mischungsverhältnis der Grundtriebe, vorzugsweise der beiden Triebe,
die Gobineau fälschlich als den männlichen und den weiblichen bezeichnet,
konstant bleibt. Das ist im ganzen richtig, aber in der Anwendung macht
Gobineau sonderbare Schnitzer, so z. B. wenn er Seite 136 schreibt: "In der
Kunst des Regierens sehen wir sdie moderne Zivilisation^ den Schwankungen,
die durch die Ansprüche der so grell von einander abstechenden Rassen, die sie
in sich begreift, herbeigeführt werden, sklavisch unterworfen. In England, in
Holland, in Neapel, in Rußland sind die Grundlagen noch ziemlich dauerhaft,
weil die Bevölkerungen homogener sind oder wenigstens Gruppen der näm¬
lichen Art angehören und verwandte Instinkte haben." Neapel und Gleich¬
artigkeit der Bevölkerung! Neapel und Dauerhaftigkeit der politischen Grund¬
lagen! Haben doch schon mittelalterliche Chronisten erkannt, daß dort das
Volk nichts tauge, weil es aus zu vielen verschiednen Völkern gemischt sei!

Gobineau preist die Einheitlichkeit der Zivilisationen reiner Rassen, z. B.
der Griechen in ihrer Blütezeit, und sucht nachzuweisen, daß im heutigen
Frankreich eine tiefe Kluft die Gebildeten von den Volksmassen trenne; die
Bauern dächten und fühlten ganz anders als die Gebildeten, hätten ein ganz
andres Christentums als diese und haßten deren Zivilisation. Das mag
wahr sein, aber Gobineau ist entschieden im Irrtum, wenn er die starken Bil¬
dungsunterschiede innerhalb jedes modernen Volks auf Rassenmischung und nur
auf solche zurückführt. Die Hauptsache ist die moderne Arbeitsteilung in Ver¬
bindung mit den starken Vermögensunterschieden. Möchte ein Volk so rassen¬
rein sein, wie es will, bei der heutigen Arbeitsteilung, die auf der einen Seite
einen mit ungeheuerm Fachwissen beschwerten Gelehrtenstand, auf der andern



Sollte nicht auch das Christentum des bekehrten Negers ein wenig anders aussehen,
als das des gebildeten Franzosen, und bekommt nicht dadurch die Behauptung, daß alle
Menschenrassen gleichmäßig der Aufnahme des Christentums fähig seien, einen eigentümlichen
Sinn?
Die Theorie des Grafen Gobineau

männlichen stellt er die Chinesen, an die der weiblichen die Hindu. Der Fall,
daß sich der Mann in der Verfolgung geistiger Interessen in Hirngespinste
verirrt, während das Weib auf den praktischen Nutzen bedacht ist. kommt doch
wohl öfter vor als der umgekehrte. Mag der Unterschied des männlichen
vom weiblichen Gemüt liegen, wo er will, im Vorherrschen des Geistigen oder
des Sinnlichen liegt er gewiß nicht. Daß die Hindu etwas weibliches haben,
ist richtig, aber den Eindruck entschiedner Männlichkeit machen die ganz anders
gearteten Chinesen wahrhaftig nicht. Richtig ist auch, daß die Römer in ihrer
ältern Zeit sehr männlich waren, und daß einander heute Germanen und Ro¬
manen als männliche und weibliche Erscheinungen gegenüberstehen. Aber doch
nur mit Einschränkungen; die Spanier z. V. haben mehr männliches als weib¬
liches oder weibisches an sich.

Die Dauerhaftigkeit einer Kultur soll nun auf ihrer Gleichartigkeit und
diese auf der Rassenreinheit beruhen. Die Nasfenreinheit bringt es mit sich,
daß das Mischungsverhältnis der Grundtriebe, vorzugsweise der beiden Triebe,
die Gobineau fälschlich als den männlichen und den weiblichen bezeichnet,
konstant bleibt. Das ist im ganzen richtig, aber in der Anwendung macht
Gobineau sonderbare Schnitzer, so z. B. wenn er Seite 136 schreibt: „In der
Kunst des Regierens sehen wir sdie moderne Zivilisation^ den Schwankungen,
die durch die Ansprüche der so grell von einander abstechenden Rassen, die sie
in sich begreift, herbeigeführt werden, sklavisch unterworfen. In England, in
Holland, in Neapel, in Rußland sind die Grundlagen noch ziemlich dauerhaft,
weil die Bevölkerungen homogener sind oder wenigstens Gruppen der näm¬
lichen Art angehören und verwandte Instinkte haben." Neapel und Gleich¬
artigkeit der Bevölkerung! Neapel und Dauerhaftigkeit der politischen Grund¬
lagen! Haben doch schon mittelalterliche Chronisten erkannt, daß dort das
Volk nichts tauge, weil es aus zu vielen verschiednen Völkern gemischt sei!

Gobineau preist die Einheitlichkeit der Zivilisationen reiner Rassen, z. B.
der Griechen in ihrer Blütezeit, und sucht nachzuweisen, daß im heutigen
Frankreich eine tiefe Kluft die Gebildeten von den Volksmassen trenne; die
Bauern dächten und fühlten ganz anders als die Gebildeten, hätten ein ganz
andres Christentums als diese und haßten deren Zivilisation. Das mag
wahr sein, aber Gobineau ist entschieden im Irrtum, wenn er die starken Bil¬
dungsunterschiede innerhalb jedes modernen Volks auf Rassenmischung und nur
auf solche zurückführt. Die Hauptsache ist die moderne Arbeitsteilung in Ver¬
bindung mit den starken Vermögensunterschieden. Möchte ein Volk so rassen¬
rein sein, wie es will, bei der heutigen Arbeitsteilung, die auf der einen Seite
einen mit ungeheuerm Fachwissen beschwerten Gelehrtenstand, auf der andern



Sollte nicht auch das Christentum des bekehrten Negers ein wenig anders aussehen,
als das des gebildeten Franzosen, und bekommt nicht dadurch die Behauptung, daß alle
Menschenrassen gleichmäßig der Aufnahme des Christentums fähig seien, einen eigentümlichen
Sinn?
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[0458] Die Theorie des Grafen Gobineau männlichen stellt er die Chinesen, an die der weiblichen die Hindu. Der Fall, daß sich der Mann in der Verfolgung geistiger Interessen in Hirngespinste verirrt, während das Weib auf den praktischen Nutzen bedacht ist. kommt doch wohl öfter vor als der umgekehrte. Mag der Unterschied des männlichen vom weiblichen Gemüt liegen, wo er will, im Vorherrschen des Geistigen oder des Sinnlichen liegt er gewiß nicht. Daß die Hindu etwas weibliches haben, ist richtig, aber den Eindruck entschiedner Männlichkeit machen die ganz anders gearteten Chinesen wahrhaftig nicht. Richtig ist auch, daß die Römer in ihrer ältern Zeit sehr männlich waren, und daß einander heute Germanen und Ro¬ manen als männliche und weibliche Erscheinungen gegenüberstehen. Aber doch nur mit Einschränkungen; die Spanier z. V. haben mehr männliches als weib¬ liches oder weibisches an sich. Die Dauerhaftigkeit einer Kultur soll nun auf ihrer Gleichartigkeit und diese auf der Rassenreinheit beruhen. Die Nasfenreinheit bringt es mit sich, daß das Mischungsverhältnis der Grundtriebe, vorzugsweise der beiden Triebe, die Gobineau fälschlich als den männlichen und den weiblichen bezeichnet, konstant bleibt. Das ist im ganzen richtig, aber in der Anwendung macht Gobineau sonderbare Schnitzer, so z. B. wenn er Seite 136 schreibt: „In der Kunst des Regierens sehen wir sdie moderne Zivilisation^ den Schwankungen, die durch die Ansprüche der so grell von einander abstechenden Rassen, die sie in sich begreift, herbeigeführt werden, sklavisch unterworfen. In England, in Holland, in Neapel, in Rußland sind die Grundlagen noch ziemlich dauerhaft, weil die Bevölkerungen homogener sind oder wenigstens Gruppen der näm¬ lichen Art angehören und verwandte Instinkte haben." Neapel und Gleich¬ artigkeit der Bevölkerung! Neapel und Dauerhaftigkeit der politischen Grund¬ lagen! Haben doch schon mittelalterliche Chronisten erkannt, daß dort das Volk nichts tauge, weil es aus zu vielen verschiednen Völkern gemischt sei! Gobineau preist die Einheitlichkeit der Zivilisationen reiner Rassen, z. B. der Griechen in ihrer Blütezeit, und sucht nachzuweisen, daß im heutigen Frankreich eine tiefe Kluft die Gebildeten von den Volksmassen trenne; die Bauern dächten und fühlten ganz anders als die Gebildeten, hätten ein ganz andres Christentums als diese und haßten deren Zivilisation. Das mag wahr sein, aber Gobineau ist entschieden im Irrtum, wenn er die starken Bil¬ dungsunterschiede innerhalb jedes modernen Volks auf Rassenmischung und nur auf solche zurückführt. Die Hauptsache ist die moderne Arbeitsteilung in Ver¬ bindung mit den starken Vermögensunterschieden. Möchte ein Volk so rassen¬ rein sein, wie es will, bei der heutigen Arbeitsteilung, die auf der einen Seite einen mit ungeheuerm Fachwissen beschwerten Gelehrtenstand, auf der andern Sollte nicht auch das Christentum des bekehrten Negers ein wenig anders aussehen, als das des gebildeten Franzosen, und bekommt nicht dadurch die Behauptung, daß alle Menschenrassen gleichmäßig der Aufnahme des Christentums fähig seien, einen eigentümlichen Sinn?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/458>, abgerufen am 01.09.2024.