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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Theorie des Grafen Gobineau

"Wissenschaften" himmelweit verschiedne Wissenschaft arbeitet, und sie haben uns
unsterbliche Muster wissenschaftlicher Untersuchung hinterlassen. Die Griechen
sind die einzigen unter den alten Völkern, die in ihrer Kunst Schönheitsideale
verwirklicht haben, und sie sind darin unübertroffen geblieben. Bei ihren
Dichtern und Philosophen finden wir die äußerste Zartheit und den feinsten
Takt des sittlichen Empfindens, sodaß noch heute jeder Herz und Gemüt an
ihnen bilden kann. Und diese drei Gebiete des Seelenlebens erscheinen unter
sich und mit dem Leibesleben zur harmonischen Einheit verschmolzen in vielen
ihrer geschichtlichen wie der von ihren Dichtern geschaffnen Personen; denn es
gehörte ja bekanntlich zum Wesen ihres Volkstums, daß ihre Geistes- und
Herzensbildung nicht zur Verkümmerung, sondern zur Vollendung ihrer leib¬
lichen Kraft und Schönheit führte. Dieses Humanitätsideal konnte deswegen
nur kurze Zeit lang und nur in einem winzigen Bruchteile der weißen Rasse
verwirklicht werden, weil, wie ja auch Gobineau richtig bemerkt hat, die Auf¬
gaben, die der wechselnde Strom des Lebens den Völkern stellt, einander für
gewöhnlich ausschließen, sodaß man die eine fahren lassen muß, wenn man die
andre ergreift. Die Kultur der Völker und der Einzelnen erscheint daher ein¬
seitig, die Gesamtkultur stückweise an ihre Trüger verteilt; aber daß diese
Träger Teilhaber der echten Kultur sind, die man wohl als die europäische
bezeichnen darf, müssen sie dadurch beweisen, daß ihnen die Sehnsucht nach
dem im hellenischen Vorbilde verwirklichten Ganzen und das Verständnis für
dieses Vorbild nicht verloren gegangen ist. Das Ästhetische bleibt dabei das
Entscheidende, wie sich jeder klar machen kann, wenn er überlegt, was uns
denn eigentlich die exotischen Kulturen niedriger erscheinen läßt als die unsern;
nicht als ob leibliche Schönheit das höchste wäre, aber weil es das unmittelbar
Wahrnehmbare ist, das, worin sich uns das Wesen der Menschen offenbart.
Auch Gobineau hebt hervor, daß von wirklicher Schönheit nur bei der weißen
Nasse gesprochen werden könne. Eine Rasse aber, deren Mitglieder keine
Menschenschönheit zu sehen bekommen, kann auch von Schönheit keinen Begriff
haben, und schon darum fehlt ihrem Seelenleben ein wesentlicher Bestandteil,
schon darum leidet ihr Wesen an einer UnVollkommenheit, die als Häßlichkeit
oder Mangel an Schönheit zu Tage treten muß.

Gobineau ist also auf dieses Wesen der Kultur im höchsten Sinne, das
zugleich die Eigentümlichkeit der weißen Rasse ausmacht, nicht eingegangen
und hat dafür die Rassen und Völker daraufhin angesehen, welcher der oben
genannten beiden Triebe bei ihnen vorherrscht. Mit den Ergebnissen dieser
Untersuchung sind wir nur zu einem sehr geringen Teile einverstanden, gar
nicht aber mit der Bezeichnung der Charaktere, die aus dem Vorherrschen
des einen Triebes entstehen. Er bezeichnet die Völker, bei denen die Richtung
auf das Materielle und Nützliche vorherrscht, als die männlichen, und die
mehr auf das Geistige gerichteten als die weiblichen. An die Spitze der


Grenzboten III 1898 S7
Die Theorie des Grafen Gobineau

„Wissenschaften" himmelweit verschiedne Wissenschaft arbeitet, und sie haben uns
unsterbliche Muster wissenschaftlicher Untersuchung hinterlassen. Die Griechen
sind die einzigen unter den alten Völkern, die in ihrer Kunst Schönheitsideale
verwirklicht haben, und sie sind darin unübertroffen geblieben. Bei ihren
Dichtern und Philosophen finden wir die äußerste Zartheit und den feinsten
Takt des sittlichen Empfindens, sodaß noch heute jeder Herz und Gemüt an
ihnen bilden kann. Und diese drei Gebiete des Seelenlebens erscheinen unter
sich und mit dem Leibesleben zur harmonischen Einheit verschmolzen in vielen
ihrer geschichtlichen wie der von ihren Dichtern geschaffnen Personen; denn es
gehörte ja bekanntlich zum Wesen ihres Volkstums, daß ihre Geistes- und
Herzensbildung nicht zur Verkümmerung, sondern zur Vollendung ihrer leib¬
lichen Kraft und Schönheit führte. Dieses Humanitätsideal konnte deswegen
nur kurze Zeit lang und nur in einem winzigen Bruchteile der weißen Rasse
verwirklicht werden, weil, wie ja auch Gobineau richtig bemerkt hat, die Auf¬
gaben, die der wechselnde Strom des Lebens den Völkern stellt, einander für
gewöhnlich ausschließen, sodaß man die eine fahren lassen muß, wenn man die
andre ergreift. Die Kultur der Völker und der Einzelnen erscheint daher ein¬
seitig, die Gesamtkultur stückweise an ihre Trüger verteilt; aber daß diese
Träger Teilhaber der echten Kultur sind, die man wohl als die europäische
bezeichnen darf, müssen sie dadurch beweisen, daß ihnen die Sehnsucht nach
dem im hellenischen Vorbilde verwirklichten Ganzen und das Verständnis für
dieses Vorbild nicht verloren gegangen ist. Das Ästhetische bleibt dabei das
Entscheidende, wie sich jeder klar machen kann, wenn er überlegt, was uns
denn eigentlich die exotischen Kulturen niedriger erscheinen läßt als die unsern;
nicht als ob leibliche Schönheit das höchste wäre, aber weil es das unmittelbar
Wahrnehmbare ist, das, worin sich uns das Wesen der Menschen offenbart.
Auch Gobineau hebt hervor, daß von wirklicher Schönheit nur bei der weißen
Nasse gesprochen werden könne. Eine Rasse aber, deren Mitglieder keine
Menschenschönheit zu sehen bekommen, kann auch von Schönheit keinen Begriff
haben, und schon darum fehlt ihrem Seelenleben ein wesentlicher Bestandteil,
schon darum leidet ihr Wesen an einer UnVollkommenheit, die als Häßlichkeit
oder Mangel an Schönheit zu Tage treten muß.

Gobineau ist also auf dieses Wesen der Kultur im höchsten Sinne, das
zugleich die Eigentümlichkeit der weißen Rasse ausmacht, nicht eingegangen
und hat dafür die Rassen und Völker daraufhin angesehen, welcher der oben
genannten beiden Triebe bei ihnen vorherrscht. Mit den Ergebnissen dieser
Untersuchung sind wir nur zu einem sehr geringen Teile einverstanden, gar
nicht aber mit der Bezeichnung der Charaktere, die aus dem Vorherrschen
des einen Triebes entstehen. Er bezeichnet die Völker, bei denen die Richtung
auf das Materielle und Nützliche vorherrscht, als die männlichen, und die
mehr auf das Geistige gerichteten als die weiblichen. An die Spitze der


Grenzboten III 1898 S7
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[0457] Die Theorie des Grafen Gobineau „Wissenschaften" himmelweit verschiedne Wissenschaft arbeitet, und sie haben uns unsterbliche Muster wissenschaftlicher Untersuchung hinterlassen. Die Griechen sind die einzigen unter den alten Völkern, die in ihrer Kunst Schönheitsideale verwirklicht haben, und sie sind darin unübertroffen geblieben. Bei ihren Dichtern und Philosophen finden wir die äußerste Zartheit und den feinsten Takt des sittlichen Empfindens, sodaß noch heute jeder Herz und Gemüt an ihnen bilden kann. Und diese drei Gebiete des Seelenlebens erscheinen unter sich und mit dem Leibesleben zur harmonischen Einheit verschmolzen in vielen ihrer geschichtlichen wie der von ihren Dichtern geschaffnen Personen; denn es gehörte ja bekanntlich zum Wesen ihres Volkstums, daß ihre Geistes- und Herzensbildung nicht zur Verkümmerung, sondern zur Vollendung ihrer leib¬ lichen Kraft und Schönheit führte. Dieses Humanitätsideal konnte deswegen nur kurze Zeit lang und nur in einem winzigen Bruchteile der weißen Rasse verwirklicht werden, weil, wie ja auch Gobineau richtig bemerkt hat, die Auf¬ gaben, die der wechselnde Strom des Lebens den Völkern stellt, einander für gewöhnlich ausschließen, sodaß man die eine fahren lassen muß, wenn man die andre ergreift. Die Kultur der Völker und der Einzelnen erscheint daher ein¬ seitig, die Gesamtkultur stückweise an ihre Trüger verteilt; aber daß diese Träger Teilhaber der echten Kultur sind, die man wohl als die europäische bezeichnen darf, müssen sie dadurch beweisen, daß ihnen die Sehnsucht nach dem im hellenischen Vorbilde verwirklichten Ganzen und das Verständnis für dieses Vorbild nicht verloren gegangen ist. Das Ästhetische bleibt dabei das Entscheidende, wie sich jeder klar machen kann, wenn er überlegt, was uns denn eigentlich die exotischen Kulturen niedriger erscheinen läßt als die unsern; nicht als ob leibliche Schönheit das höchste wäre, aber weil es das unmittelbar Wahrnehmbare ist, das, worin sich uns das Wesen der Menschen offenbart. Auch Gobineau hebt hervor, daß von wirklicher Schönheit nur bei der weißen Nasse gesprochen werden könne. Eine Rasse aber, deren Mitglieder keine Menschenschönheit zu sehen bekommen, kann auch von Schönheit keinen Begriff haben, und schon darum fehlt ihrem Seelenleben ein wesentlicher Bestandteil, schon darum leidet ihr Wesen an einer UnVollkommenheit, die als Häßlichkeit oder Mangel an Schönheit zu Tage treten muß. Gobineau ist also auf dieses Wesen der Kultur im höchsten Sinne, das zugleich die Eigentümlichkeit der weißen Rasse ausmacht, nicht eingegangen und hat dafür die Rassen und Völker daraufhin angesehen, welcher der oben genannten beiden Triebe bei ihnen vorherrscht. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung sind wir nur zu einem sehr geringen Teile einverstanden, gar nicht aber mit der Bezeichnung der Charaktere, die aus dem Vorherrschen des einen Triebes entstehen. Er bezeichnet die Völker, bei denen die Richtung auf das Materielle und Nützliche vorherrscht, als die männlichen, und die mehr auf das Geistige gerichteten als die weiblichen. An die Spitze der Grenzboten III 1898 S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/457>, abgerufen am 28.07.2024.