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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gegen die agrarischen Übertreibungen

Grundlage seiner Urproduktion, d. h. der Land- und Forstwirtschaft, des Berg¬
baues und der Fischerei schmälert oder gar verlassen will, um durch Bearbei¬
tungstechnik an eingeführten Rohstoffen oder durch Handelsgeschäfte aller Art
seinen mehr oder weniger anschwellenden Nachwuchs zu ernähren, muß mit
Naturnotwendigkeit zu Grunde gehen, wenn es eines Tages nicht mehr die
Macht hat, irgend welche, jene Rohstoffe ihm liefernden Völker zum Austausch
gegen die Arbeitsprodukte zu zwingen." Diese Macht habe freilich das
württembergische "Volk" als solches nicht und werde es auch nie bekommen,
das Deutsche Reich habe die Sache zu besorgen usw. Aber wie das Deutsche
Reich es anfangen soll, für alle Zukunft die Macht zu haben, das gesamte
Ausland zum Waren- und Getreideaustausch mit seinen Angehörigen, auch den
Württembergern, zu "zwingen," das hat auch er mit keiner Silbe angedeutet.

Und was sagt nun Professor Cohn zu diesen, wahrhaftig nicht neuen,
freilich an die "Moderne" nur zu sehr erinnernden gelehrten Übungen?

Ist es möglich, meint er, im Bereiche der eignen staatlichen Herrschaft
den Raum für die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu finden,
trotz einer Bevölkerungszunahme wie die deutsche und englische, so ist die
Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit (Autarkie nennt das der Verfasser) und
die darauf gebaute Harmonie von Landwirtschaft und Industrie in ihren An¬
teilen an der Gesamtbevölkerung etwas sehr schönes. Die Vereinigten Staaten
und Nußland hätten in diesem Sinne entschieden ein bequemeres Wirtschaften
als Deutschland und England. Wo das aber nicht möglich sei, solle dort die
Zunahme der Bevölkerung unterbleiben, oder solle dieser Zuwachs auswandern?
Hätte die Bevölkerung des Deutschen Reichs, um das Hinausbauen des
"obern Stockwerks" überflüssig zu machen, sich nicht vermehren sollen? Hätte
sie bei dreißig bis vierzig Millionen stehen bleiben sollen und für alle Zeiten
diese Grenze einhalten, bloß um jene "Autarkie" als das geforderte Ideal nicht
zu verletzen?

Und wolle und könne denn, fragt er weiter, die gepriesene Eigenwirtschaft
all und jede Zufuhr vom Auslande, z. B. auch die der Baumwolle, ablehnen?
Glaubt man in ihr die "unbedingte Sicherheit" schaffen zu köunen, die man
durch den internationalen Handel als gefährdet ansieht, ohne zugleich doch
allerhand Gefahren als Folge so "überspannter Voraussetzungen" in den Kauf
nehmen zu müssen? Müsse einem dabei nicht von selbst der Gedanke kommen,
"es gebe überhaupt in der Einrichtung des staatlichen und geschichtlichen Daseins
keine derartigen Bürgschaften und Sicherheiten?" Freilich verlange die Handels¬
politik nach englischem Vorbild Kämpfe, den Kampf um den Weltmarkt, den
Kampf um den Welthandel. Aber sei das nicht die fortlaufende Reihe der
historischen Entwicklung, an der jedes einzelne Volk von hohen Zielen teil zu
nehmen habe, wie an der Weltgeschichte selber?

Alle historische Entwicklung, jeden Fortschritt in der Weltgeschichte wie


Gegen die agrarischen Übertreibungen

Grundlage seiner Urproduktion, d. h. der Land- und Forstwirtschaft, des Berg¬
baues und der Fischerei schmälert oder gar verlassen will, um durch Bearbei¬
tungstechnik an eingeführten Rohstoffen oder durch Handelsgeschäfte aller Art
seinen mehr oder weniger anschwellenden Nachwuchs zu ernähren, muß mit
Naturnotwendigkeit zu Grunde gehen, wenn es eines Tages nicht mehr die
Macht hat, irgend welche, jene Rohstoffe ihm liefernden Völker zum Austausch
gegen die Arbeitsprodukte zu zwingen." Diese Macht habe freilich das
württembergische „Volk" als solches nicht und werde es auch nie bekommen,
das Deutsche Reich habe die Sache zu besorgen usw. Aber wie das Deutsche
Reich es anfangen soll, für alle Zukunft die Macht zu haben, das gesamte
Ausland zum Waren- und Getreideaustausch mit seinen Angehörigen, auch den
Württembergern, zu „zwingen," das hat auch er mit keiner Silbe angedeutet.

Und was sagt nun Professor Cohn zu diesen, wahrhaftig nicht neuen,
freilich an die „Moderne" nur zu sehr erinnernden gelehrten Übungen?

Ist es möglich, meint er, im Bereiche der eignen staatlichen Herrschaft
den Raum für die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu finden,
trotz einer Bevölkerungszunahme wie die deutsche und englische, so ist die
Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit (Autarkie nennt das der Verfasser) und
die darauf gebaute Harmonie von Landwirtschaft und Industrie in ihren An¬
teilen an der Gesamtbevölkerung etwas sehr schönes. Die Vereinigten Staaten
und Nußland hätten in diesem Sinne entschieden ein bequemeres Wirtschaften
als Deutschland und England. Wo das aber nicht möglich sei, solle dort die
Zunahme der Bevölkerung unterbleiben, oder solle dieser Zuwachs auswandern?
Hätte die Bevölkerung des Deutschen Reichs, um das Hinausbauen des
„obern Stockwerks" überflüssig zu machen, sich nicht vermehren sollen? Hätte
sie bei dreißig bis vierzig Millionen stehen bleiben sollen und für alle Zeiten
diese Grenze einhalten, bloß um jene „Autarkie" als das geforderte Ideal nicht
zu verletzen?

Und wolle und könne denn, fragt er weiter, die gepriesene Eigenwirtschaft
all und jede Zufuhr vom Auslande, z. B. auch die der Baumwolle, ablehnen?
Glaubt man in ihr die „unbedingte Sicherheit" schaffen zu köunen, die man
durch den internationalen Handel als gefährdet ansieht, ohne zugleich doch
allerhand Gefahren als Folge so „überspannter Voraussetzungen" in den Kauf
nehmen zu müssen? Müsse einem dabei nicht von selbst der Gedanke kommen,
«es gebe überhaupt in der Einrichtung des staatlichen und geschichtlichen Daseins
keine derartigen Bürgschaften und Sicherheiten?" Freilich verlange die Handels¬
politik nach englischem Vorbild Kämpfe, den Kampf um den Weltmarkt, den
Kampf um den Welthandel. Aber sei das nicht die fortlaufende Reihe der
historischen Entwicklung, an der jedes einzelne Volk von hohen Zielen teil zu
nehmen habe, wie an der Weltgeschichte selber?

Alle historische Entwicklung, jeden Fortschritt in der Weltgeschichte wie


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[0447] Gegen die agrarischen Übertreibungen Grundlage seiner Urproduktion, d. h. der Land- und Forstwirtschaft, des Berg¬ baues und der Fischerei schmälert oder gar verlassen will, um durch Bearbei¬ tungstechnik an eingeführten Rohstoffen oder durch Handelsgeschäfte aller Art seinen mehr oder weniger anschwellenden Nachwuchs zu ernähren, muß mit Naturnotwendigkeit zu Grunde gehen, wenn es eines Tages nicht mehr die Macht hat, irgend welche, jene Rohstoffe ihm liefernden Völker zum Austausch gegen die Arbeitsprodukte zu zwingen." Diese Macht habe freilich das württembergische „Volk" als solches nicht und werde es auch nie bekommen, das Deutsche Reich habe die Sache zu besorgen usw. Aber wie das Deutsche Reich es anfangen soll, für alle Zukunft die Macht zu haben, das gesamte Ausland zum Waren- und Getreideaustausch mit seinen Angehörigen, auch den Württembergern, zu „zwingen," das hat auch er mit keiner Silbe angedeutet. Und was sagt nun Professor Cohn zu diesen, wahrhaftig nicht neuen, freilich an die „Moderne" nur zu sehr erinnernden gelehrten Übungen? Ist es möglich, meint er, im Bereiche der eignen staatlichen Herrschaft den Raum für die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu finden, trotz einer Bevölkerungszunahme wie die deutsche und englische, so ist die Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit (Autarkie nennt das der Verfasser) und die darauf gebaute Harmonie von Landwirtschaft und Industrie in ihren An¬ teilen an der Gesamtbevölkerung etwas sehr schönes. Die Vereinigten Staaten und Nußland hätten in diesem Sinne entschieden ein bequemeres Wirtschaften als Deutschland und England. Wo das aber nicht möglich sei, solle dort die Zunahme der Bevölkerung unterbleiben, oder solle dieser Zuwachs auswandern? Hätte die Bevölkerung des Deutschen Reichs, um das Hinausbauen des „obern Stockwerks" überflüssig zu machen, sich nicht vermehren sollen? Hätte sie bei dreißig bis vierzig Millionen stehen bleiben sollen und für alle Zeiten diese Grenze einhalten, bloß um jene „Autarkie" als das geforderte Ideal nicht zu verletzen? Und wolle und könne denn, fragt er weiter, die gepriesene Eigenwirtschaft all und jede Zufuhr vom Auslande, z. B. auch die der Baumwolle, ablehnen? Glaubt man in ihr die „unbedingte Sicherheit" schaffen zu köunen, die man durch den internationalen Handel als gefährdet ansieht, ohne zugleich doch allerhand Gefahren als Folge so „überspannter Voraussetzungen" in den Kauf nehmen zu müssen? Müsse einem dabei nicht von selbst der Gedanke kommen, «es gebe überhaupt in der Einrichtung des staatlichen und geschichtlichen Daseins keine derartigen Bürgschaften und Sicherheiten?" Freilich verlange die Handels¬ politik nach englischem Vorbild Kämpfe, den Kampf um den Weltmarkt, den Kampf um den Welthandel. Aber sei das nicht die fortlaufende Reihe der historischen Entwicklung, an der jedes einzelne Volk von hohen Zielen teil zu nehmen habe, wie an der Weltgeschichte selber? Alle historische Entwicklung, jeden Fortschritt in der Weltgeschichte wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/447>, abgerufen am 28.07.2024.