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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ludwig Goldhann

bindung damit auf eine Kritik Strodtmanns (im Orion von 1863) zurückweist,
die den Theatern ansann, das Goldhannsche Werk aufzuführen, so darf man
Wohl an die Worte Hebbels in einem Briefe an Ad. Stern erinnern: "Sie
erkundigen sich nach dem "Günstling eines Fürsten" von Goldhann. Ich muß
Wohl gut von dem Werk denken, denn ich habe es selbst zum Druck befördert.
Aber von allem, was Strodtmann daran rühmt, findet sich nichts darin. Der
Verfasser hat ein entschiednes poetisches Talent, ein sehr schwaches dramatisches
und gar kein theatralisches. Von der Taktlosigkeit in Bezug auf mich will ich
gar nicht reden. Aber die Theaterdirektoren werden über den kritischen Don
Quixote lachen, der ihnen die Jnszenirung solcher Unmöglichkeiten zumutet."
(31. Dezember 1862. Bd. 2, S. 515 des Briefwechsels.) Ein drittes großes
Drama Goldhcmns "Ein Königshaus," das in seinem Aufbau die frühern
dramatischen Dichtungen vielleicht übertraf, aber die phantasievolle Beweglich¬
keit des "Günstlings" nicht mehr aufwies, war die letzte bedeutende Schöpfung
Goldhcmns.

Von allen Seiten her wegen seines Mangels an Bühnenpraxis zurück¬
gewiesen, verlor er die Lust, seinen ernsten, einsamen Weg weiter zu verfolgen
und suchte in einer Reihe späterer Dramen: "Tief im Gebirge," "Ein ver¬
kauftes Herz" und "Am Rande des Abgrunds," sowie mit einigen kleinern
Lustspielen von dürftiger Erfindung ("Ein Solofänger," "Freigegeben," "Im
alten Raubschloß") um jeden Preis den theatralischen Forderungen zu genügen
und sich den Zugang zu den Brettern zu erzwingen. Dies gelang ihm, aber
er hätte sich bei einiger Selbsterkenntnis selbst sagen können, daß ihm die auf
solche Weise erzielten Erfolge keine Befriedigung gewähren würden. Goldhann
wurde in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens ein ziemlich verbitterter,
mehr und mehr vereinsamender Sonderling, in seiner Reizbarkeit gegen die ihn
umgebende kleine Welt von Brünn oft ungerecht und doch so sehr in der Ge¬
wohnheit befangen, daß er es auch zu der oft geplanten Übersiedlung nach Wien
nicht brachte. Glücklicherweise sicherte ihn sein Vermögen gegen jede äußere
Not des Lebens und erlaubte ihm jede Erholung und Auffrischung, nach der
es ihn verlangte. "Weil er bei den Menschen geringen Anteil fand, so rettete
er sich in die freie Natur, in die großartige Alpenwelt, oder er eilte nach dem
Süden. Er unternahm fast alljährlich Reisen, am liebsten nach der Schweiz
oder nach Italien, er sammelte da Eindrücke, die er für ein großes Reisewerk
verwenden wollte, zu dem es aber nicht mehr kam. Gestorben ist er am
18. Januar 1893 in Brünn. Seine noch unveröffentlichten litterarischen
Arbeiten, vor allem seine lyrischen Gedichte, hinterließ er seinem Neffen Franz
Goldhann.

Aus diesem Nachlaß ist der vorliegende Band "Gedichte" hervorgegangen
(der zum Besten des deutschen Journalisten- und Schriftstellervereins für
Mähren und österreichisch) Schlesien veröffentlicht worden ist). Wenn die


Grenzboten III 1898 63
Ludwig Goldhann

bindung damit auf eine Kritik Strodtmanns (im Orion von 1863) zurückweist,
die den Theatern ansann, das Goldhannsche Werk aufzuführen, so darf man
Wohl an die Worte Hebbels in einem Briefe an Ad. Stern erinnern: „Sie
erkundigen sich nach dem »Günstling eines Fürsten« von Goldhann. Ich muß
Wohl gut von dem Werk denken, denn ich habe es selbst zum Druck befördert.
Aber von allem, was Strodtmann daran rühmt, findet sich nichts darin. Der
Verfasser hat ein entschiednes poetisches Talent, ein sehr schwaches dramatisches
und gar kein theatralisches. Von der Taktlosigkeit in Bezug auf mich will ich
gar nicht reden. Aber die Theaterdirektoren werden über den kritischen Don
Quixote lachen, der ihnen die Jnszenirung solcher Unmöglichkeiten zumutet."
(31. Dezember 1862. Bd. 2, S. 515 des Briefwechsels.) Ein drittes großes
Drama Goldhcmns „Ein Königshaus," das in seinem Aufbau die frühern
dramatischen Dichtungen vielleicht übertraf, aber die phantasievolle Beweglich¬
keit des „Günstlings" nicht mehr aufwies, war die letzte bedeutende Schöpfung
Goldhcmns.

Von allen Seiten her wegen seines Mangels an Bühnenpraxis zurück¬
gewiesen, verlor er die Lust, seinen ernsten, einsamen Weg weiter zu verfolgen
und suchte in einer Reihe späterer Dramen: „Tief im Gebirge," „Ein ver¬
kauftes Herz" und „Am Rande des Abgrunds," sowie mit einigen kleinern
Lustspielen von dürftiger Erfindung („Ein Solofänger," „Freigegeben," „Im
alten Raubschloß") um jeden Preis den theatralischen Forderungen zu genügen
und sich den Zugang zu den Brettern zu erzwingen. Dies gelang ihm, aber
er hätte sich bei einiger Selbsterkenntnis selbst sagen können, daß ihm die auf
solche Weise erzielten Erfolge keine Befriedigung gewähren würden. Goldhann
wurde in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens ein ziemlich verbitterter,
mehr und mehr vereinsamender Sonderling, in seiner Reizbarkeit gegen die ihn
umgebende kleine Welt von Brünn oft ungerecht und doch so sehr in der Ge¬
wohnheit befangen, daß er es auch zu der oft geplanten Übersiedlung nach Wien
nicht brachte. Glücklicherweise sicherte ihn sein Vermögen gegen jede äußere
Not des Lebens und erlaubte ihm jede Erholung und Auffrischung, nach der
es ihn verlangte. „Weil er bei den Menschen geringen Anteil fand, so rettete
er sich in die freie Natur, in die großartige Alpenwelt, oder er eilte nach dem
Süden. Er unternahm fast alljährlich Reisen, am liebsten nach der Schweiz
oder nach Italien, er sammelte da Eindrücke, die er für ein großes Reisewerk
verwenden wollte, zu dem es aber nicht mehr kam. Gestorben ist er am
18. Januar 1893 in Brünn. Seine noch unveröffentlichten litterarischen
Arbeiten, vor allem seine lyrischen Gedichte, hinterließ er seinem Neffen Franz
Goldhann.

Aus diesem Nachlaß ist der vorliegende Band „Gedichte" hervorgegangen
(der zum Besten des deutschen Journalisten- und Schriftstellervereins für
Mähren und österreichisch) Schlesien veröffentlicht worden ist). Wenn die


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[0425] Ludwig Goldhann bindung damit auf eine Kritik Strodtmanns (im Orion von 1863) zurückweist, die den Theatern ansann, das Goldhannsche Werk aufzuführen, so darf man Wohl an die Worte Hebbels in einem Briefe an Ad. Stern erinnern: „Sie erkundigen sich nach dem »Günstling eines Fürsten« von Goldhann. Ich muß Wohl gut von dem Werk denken, denn ich habe es selbst zum Druck befördert. Aber von allem, was Strodtmann daran rühmt, findet sich nichts darin. Der Verfasser hat ein entschiednes poetisches Talent, ein sehr schwaches dramatisches und gar kein theatralisches. Von der Taktlosigkeit in Bezug auf mich will ich gar nicht reden. Aber die Theaterdirektoren werden über den kritischen Don Quixote lachen, der ihnen die Jnszenirung solcher Unmöglichkeiten zumutet." (31. Dezember 1862. Bd. 2, S. 515 des Briefwechsels.) Ein drittes großes Drama Goldhcmns „Ein Königshaus," das in seinem Aufbau die frühern dramatischen Dichtungen vielleicht übertraf, aber die phantasievolle Beweglich¬ keit des „Günstlings" nicht mehr aufwies, war die letzte bedeutende Schöpfung Goldhcmns. Von allen Seiten her wegen seines Mangels an Bühnenpraxis zurück¬ gewiesen, verlor er die Lust, seinen ernsten, einsamen Weg weiter zu verfolgen und suchte in einer Reihe späterer Dramen: „Tief im Gebirge," „Ein ver¬ kauftes Herz" und „Am Rande des Abgrunds," sowie mit einigen kleinern Lustspielen von dürftiger Erfindung („Ein Solofänger," „Freigegeben," „Im alten Raubschloß") um jeden Preis den theatralischen Forderungen zu genügen und sich den Zugang zu den Brettern zu erzwingen. Dies gelang ihm, aber er hätte sich bei einiger Selbsterkenntnis selbst sagen können, daß ihm die auf solche Weise erzielten Erfolge keine Befriedigung gewähren würden. Goldhann wurde in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens ein ziemlich verbitterter, mehr und mehr vereinsamender Sonderling, in seiner Reizbarkeit gegen die ihn umgebende kleine Welt von Brünn oft ungerecht und doch so sehr in der Ge¬ wohnheit befangen, daß er es auch zu der oft geplanten Übersiedlung nach Wien nicht brachte. Glücklicherweise sicherte ihn sein Vermögen gegen jede äußere Not des Lebens und erlaubte ihm jede Erholung und Auffrischung, nach der es ihn verlangte. „Weil er bei den Menschen geringen Anteil fand, so rettete er sich in die freie Natur, in die großartige Alpenwelt, oder er eilte nach dem Süden. Er unternahm fast alljährlich Reisen, am liebsten nach der Schweiz oder nach Italien, er sammelte da Eindrücke, die er für ein großes Reisewerk verwenden wollte, zu dem es aber nicht mehr kam. Gestorben ist er am 18. Januar 1893 in Brünn. Seine noch unveröffentlichten litterarischen Arbeiten, vor allem seine lyrischen Gedichte, hinterließ er seinem Neffen Franz Goldhann. Aus diesem Nachlaß ist der vorliegende Band „Gedichte" hervorgegangen (der zum Besten des deutschen Journalisten- und Schriftstellervereins für Mähren und österreichisch) Schlesien veröffentlicht worden ist). Wenn die Grenzboten III 1898 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/425>, abgerufen am 28.07.2024.