Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ludwig Goldhann

von 1348 durch diese Familie bestimmen, zu einem Schwager nach Brünn
überzusiedeln. Schon im November 1848 trat er in der mährischen Haupt¬
stadt als "Praktikant" bei einem kaiserlichen Amte ein. 1850 holte er die
über dem Wohlfahrtsausschußspielen ins Hintertreffen geratene Dissertation
wieder vor und errang die Würde eines Doktors beider Rechte. Da er wohl¬
habend war, brauchte er sich, als sich drohende Anfälle von Bluthusten bei
ihm einstellten, nicht die Genesungsreise nach dem Süden zu versagen. Als
Ergebnis dieser Reise erschien 1855 sein erstes Buch, die "Ästhetischen Wande¬
rungen in Sizilien," deren günstige Aufnahme ihm eine Zeit lang den Ge¬
danken nahe legte, sich der Kunstgeschichte zuzuwenden. Aber aus Rücksicht
sür seine Familie verzichtete er hierauf, blieb Jurist, blieb in Brünn, obschon
er 1860, nach dem Tode seines Vaters, vollständige Unabhängigkeit erlangte.
Der Biograph meint: "Es war seine passive Natur, die ihn in der verhaßten
Laufbahn verharren ließ, und zwar nur deshalb, weil er sich eben einmal darin
befand. Solche Charaktere sind zu bedauern, aber es ist ihnen nicht zu helfen."
Goldhaar war inzwischen als Dramatiker mit einem Trauerspiel "Der Land¬
richter von Urban" hervorgetreten, das in Hamburg und auf einer Anzahl
österreichischer Provinzialbühnen, zuletzt in Prag, aufgeführt wurde und das
Lieblings- und Schmerzenskind des Dichters blieb. Bedeutend genug, um über
den Troß der bei der Schule Halms und überhaupt bei den altösterreichischen
Dramatikern beliebten Spaniernachahmungcn hervorzuragen, war es doch nicht
lebensvoll und selbständig genug, um Goldhaar einen weithin sichtbaren thea¬
tralischen oder einen bleibenden litterarischen Erfolg zu sichern. Wie tief ihm
schon die ungesund raffinirte Weise des Dichters der "Griscldis" und des
"Sohns der Wildnis" ins Blut gedrungen war, verrät neben dem Entwurf
zu einer Tragödie "Herostrat" (von der söffe ein interessantes Bruchstück
mitteilt) auch das vollendete Trauerspiel "Der Günstling eines Kaisers," dessen
Held Petronius Arbiter, der Günstling Neros ist. Obschon die inzwischen er¬
folgte Bekanntschaft mit Hebbel nicht ohne Einfluß auf die Kraft des Aus¬
drucks und die größere Schärfe der Charakteristik in dieser Tragödie blieb, so
war doch die eigentliche Erfindung, das Schwelgen in der Schilderung der
üppigen Sinnenlust und der schwülen Luft am Hofe Neros, das phantastische
Motiv, nach dem Petronius die wahnsinnige Genußsucht des Imperators an¬
stachelt, um den Zusammensturz der Tyrannei früher herbeizuführen, felbst der
Zug. daß ein satirisches Buch Rettung bringen soll, während die entsittlichte
Nomerwelt dies Buch für einen geistigen Leckerbissen nimmt, durchaus noch
Halm verwandt. Was Hebbel an dem wunderlichen Drama (dem er zum
Druck bei Hoffmann und Campe in Hamburg verhalf) hochhielt, war eine ge¬
wisse phantasievolle Anschaulichkeit, die allgemeine dichterische Fähigkeit, sich in
eine fremde Welt zu versetzen und deren Einzelheiten zu beleben. Wenn daher
Soffe das Interesse Hebbels an dem Werke betont und gleichsam in Ver-


Ludwig Goldhann

von 1348 durch diese Familie bestimmen, zu einem Schwager nach Brünn
überzusiedeln. Schon im November 1848 trat er in der mährischen Haupt¬
stadt als „Praktikant" bei einem kaiserlichen Amte ein. 1850 holte er die
über dem Wohlfahrtsausschußspielen ins Hintertreffen geratene Dissertation
wieder vor und errang die Würde eines Doktors beider Rechte. Da er wohl¬
habend war, brauchte er sich, als sich drohende Anfälle von Bluthusten bei
ihm einstellten, nicht die Genesungsreise nach dem Süden zu versagen. Als
Ergebnis dieser Reise erschien 1855 sein erstes Buch, die „Ästhetischen Wande¬
rungen in Sizilien," deren günstige Aufnahme ihm eine Zeit lang den Ge¬
danken nahe legte, sich der Kunstgeschichte zuzuwenden. Aber aus Rücksicht
sür seine Familie verzichtete er hierauf, blieb Jurist, blieb in Brünn, obschon
er 1860, nach dem Tode seines Vaters, vollständige Unabhängigkeit erlangte.
Der Biograph meint: „Es war seine passive Natur, die ihn in der verhaßten
Laufbahn verharren ließ, und zwar nur deshalb, weil er sich eben einmal darin
befand. Solche Charaktere sind zu bedauern, aber es ist ihnen nicht zu helfen."
Goldhaar war inzwischen als Dramatiker mit einem Trauerspiel „Der Land¬
richter von Urban" hervorgetreten, das in Hamburg und auf einer Anzahl
österreichischer Provinzialbühnen, zuletzt in Prag, aufgeführt wurde und das
Lieblings- und Schmerzenskind des Dichters blieb. Bedeutend genug, um über
den Troß der bei der Schule Halms und überhaupt bei den altösterreichischen
Dramatikern beliebten Spaniernachahmungcn hervorzuragen, war es doch nicht
lebensvoll und selbständig genug, um Goldhaar einen weithin sichtbaren thea¬
tralischen oder einen bleibenden litterarischen Erfolg zu sichern. Wie tief ihm
schon die ungesund raffinirte Weise des Dichters der „Griscldis" und des
„Sohns der Wildnis" ins Blut gedrungen war, verrät neben dem Entwurf
zu einer Tragödie „Herostrat" (von der söffe ein interessantes Bruchstück
mitteilt) auch das vollendete Trauerspiel „Der Günstling eines Kaisers," dessen
Held Petronius Arbiter, der Günstling Neros ist. Obschon die inzwischen er¬
folgte Bekanntschaft mit Hebbel nicht ohne Einfluß auf die Kraft des Aus¬
drucks und die größere Schärfe der Charakteristik in dieser Tragödie blieb, so
war doch die eigentliche Erfindung, das Schwelgen in der Schilderung der
üppigen Sinnenlust und der schwülen Luft am Hofe Neros, das phantastische
Motiv, nach dem Petronius die wahnsinnige Genußsucht des Imperators an¬
stachelt, um den Zusammensturz der Tyrannei früher herbeizuführen, felbst der
Zug. daß ein satirisches Buch Rettung bringen soll, während die entsittlichte
Nomerwelt dies Buch für einen geistigen Leckerbissen nimmt, durchaus noch
Halm verwandt. Was Hebbel an dem wunderlichen Drama (dem er zum
Druck bei Hoffmann und Campe in Hamburg verhalf) hochhielt, war eine ge¬
wisse phantasievolle Anschaulichkeit, die allgemeine dichterische Fähigkeit, sich in
eine fremde Welt zu versetzen und deren Einzelheiten zu beleben. Wenn daher
Soffe das Interesse Hebbels an dem Werke betont und gleichsam in Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228726"/>
          <fw type="header" place="top"> Ludwig Goldhann</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" prev="#ID_1478" next="#ID_1480"> von 1348 durch diese Familie bestimmen, zu einem Schwager nach Brünn<lb/>
überzusiedeln. Schon im November 1848 trat er in der mährischen Haupt¬<lb/>
stadt als &#x201E;Praktikant" bei einem kaiserlichen Amte ein. 1850 holte er die<lb/>
über dem Wohlfahrtsausschußspielen ins Hintertreffen geratene Dissertation<lb/>
wieder vor und errang die Würde eines Doktors beider Rechte. Da er wohl¬<lb/>
habend war, brauchte er sich, als sich drohende Anfälle von Bluthusten bei<lb/>
ihm einstellten, nicht die Genesungsreise nach dem Süden zu versagen. Als<lb/>
Ergebnis dieser Reise erschien 1855 sein erstes Buch, die &#x201E;Ästhetischen Wande¬<lb/>
rungen in Sizilien," deren günstige Aufnahme ihm eine Zeit lang den Ge¬<lb/>
danken nahe legte, sich der Kunstgeschichte zuzuwenden. Aber aus Rücksicht<lb/>
sür seine Familie verzichtete er hierauf, blieb Jurist, blieb in Brünn, obschon<lb/>
er 1860, nach dem Tode seines Vaters, vollständige Unabhängigkeit erlangte.<lb/>
Der Biograph meint: &#x201E;Es war seine passive Natur, die ihn in der verhaßten<lb/>
Laufbahn verharren ließ, und zwar nur deshalb, weil er sich eben einmal darin<lb/>
befand. Solche Charaktere sind zu bedauern, aber es ist ihnen nicht zu helfen."<lb/>
Goldhaar war inzwischen als Dramatiker mit einem Trauerspiel &#x201E;Der Land¬<lb/>
richter von Urban" hervorgetreten, das in Hamburg und auf einer Anzahl<lb/>
österreichischer Provinzialbühnen, zuletzt in Prag, aufgeführt wurde und das<lb/>
Lieblings- und Schmerzenskind des Dichters blieb. Bedeutend genug, um über<lb/>
den Troß der bei der Schule Halms und überhaupt bei den altösterreichischen<lb/>
Dramatikern beliebten Spaniernachahmungcn hervorzuragen, war es doch nicht<lb/>
lebensvoll und selbständig genug, um Goldhaar einen weithin sichtbaren thea¬<lb/>
tralischen oder einen bleibenden litterarischen Erfolg zu sichern. Wie tief ihm<lb/>
schon die ungesund raffinirte Weise des Dichters der &#x201E;Griscldis" und des<lb/>
&#x201E;Sohns der Wildnis" ins Blut gedrungen war, verrät neben dem Entwurf<lb/>
zu einer Tragödie &#x201E;Herostrat" (von der söffe ein interessantes Bruchstück<lb/>
mitteilt) auch das vollendete Trauerspiel &#x201E;Der Günstling eines Kaisers," dessen<lb/>
Held Petronius Arbiter, der Günstling Neros ist. Obschon die inzwischen er¬<lb/>
folgte Bekanntschaft mit Hebbel nicht ohne Einfluß auf die Kraft des Aus¬<lb/>
drucks und die größere Schärfe der Charakteristik in dieser Tragödie blieb, so<lb/>
war doch die eigentliche Erfindung, das Schwelgen in der Schilderung der<lb/>
üppigen Sinnenlust und der schwülen Luft am Hofe Neros, das phantastische<lb/>
Motiv, nach dem Petronius die wahnsinnige Genußsucht des Imperators an¬<lb/>
stachelt, um den Zusammensturz der Tyrannei früher herbeizuführen, felbst der<lb/>
Zug. daß ein satirisches Buch Rettung bringen soll, während die entsittlichte<lb/>
Nomerwelt dies Buch für einen geistigen Leckerbissen nimmt, durchaus noch<lb/>
Halm verwandt. Was Hebbel an dem wunderlichen Drama (dem er zum<lb/>
Druck bei Hoffmann und Campe in Hamburg verhalf) hochhielt, war eine ge¬<lb/>
wisse phantasievolle Anschaulichkeit, die allgemeine dichterische Fähigkeit, sich in<lb/>
eine fremde Welt zu versetzen und deren Einzelheiten zu beleben. Wenn daher<lb/>
Soffe das Interesse Hebbels an dem Werke betont und gleichsam in Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] Ludwig Goldhann von 1348 durch diese Familie bestimmen, zu einem Schwager nach Brünn überzusiedeln. Schon im November 1848 trat er in der mährischen Haupt¬ stadt als „Praktikant" bei einem kaiserlichen Amte ein. 1850 holte er die über dem Wohlfahrtsausschußspielen ins Hintertreffen geratene Dissertation wieder vor und errang die Würde eines Doktors beider Rechte. Da er wohl¬ habend war, brauchte er sich, als sich drohende Anfälle von Bluthusten bei ihm einstellten, nicht die Genesungsreise nach dem Süden zu versagen. Als Ergebnis dieser Reise erschien 1855 sein erstes Buch, die „Ästhetischen Wande¬ rungen in Sizilien," deren günstige Aufnahme ihm eine Zeit lang den Ge¬ danken nahe legte, sich der Kunstgeschichte zuzuwenden. Aber aus Rücksicht sür seine Familie verzichtete er hierauf, blieb Jurist, blieb in Brünn, obschon er 1860, nach dem Tode seines Vaters, vollständige Unabhängigkeit erlangte. Der Biograph meint: „Es war seine passive Natur, die ihn in der verhaßten Laufbahn verharren ließ, und zwar nur deshalb, weil er sich eben einmal darin befand. Solche Charaktere sind zu bedauern, aber es ist ihnen nicht zu helfen." Goldhaar war inzwischen als Dramatiker mit einem Trauerspiel „Der Land¬ richter von Urban" hervorgetreten, das in Hamburg und auf einer Anzahl österreichischer Provinzialbühnen, zuletzt in Prag, aufgeführt wurde und das Lieblings- und Schmerzenskind des Dichters blieb. Bedeutend genug, um über den Troß der bei der Schule Halms und überhaupt bei den altösterreichischen Dramatikern beliebten Spaniernachahmungcn hervorzuragen, war es doch nicht lebensvoll und selbständig genug, um Goldhaar einen weithin sichtbaren thea¬ tralischen oder einen bleibenden litterarischen Erfolg zu sichern. Wie tief ihm schon die ungesund raffinirte Weise des Dichters der „Griscldis" und des „Sohns der Wildnis" ins Blut gedrungen war, verrät neben dem Entwurf zu einer Tragödie „Herostrat" (von der söffe ein interessantes Bruchstück mitteilt) auch das vollendete Trauerspiel „Der Günstling eines Kaisers," dessen Held Petronius Arbiter, der Günstling Neros ist. Obschon die inzwischen er¬ folgte Bekanntschaft mit Hebbel nicht ohne Einfluß auf die Kraft des Aus¬ drucks und die größere Schärfe der Charakteristik in dieser Tragödie blieb, so war doch die eigentliche Erfindung, das Schwelgen in der Schilderung der üppigen Sinnenlust und der schwülen Luft am Hofe Neros, das phantastische Motiv, nach dem Petronius die wahnsinnige Genußsucht des Imperators an¬ stachelt, um den Zusammensturz der Tyrannei früher herbeizuführen, felbst der Zug. daß ein satirisches Buch Rettung bringen soll, während die entsittlichte Nomerwelt dies Buch für einen geistigen Leckerbissen nimmt, durchaus noch Halm verwandt. Was Hebbel an dem wunderlichen Drama (dem er zum Druck bei Hoffmann und Campe in Hamburg verhalf) hochhielt, war eine ge¬ wisse phantasievolle Anschaulichkeit, die allgemeine dichterische Fähigkeit, sich in eine fremde Welt zu versetzen und deren Einzelheiten zu beleben. Wenn daher Soffe das Interesse Hebbels an dem Werke betont und gleichsam in Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/424>, abgerufen am 28.07.2024.