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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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2000 Mark Belohnung I

Trinkgelderwirtschaft sind, geht schon daraus hervor, daß die Entlassung dieser
Beamten fast immer nur erfolgte, weil sie ihre Spürkraft auch außeramtlich
den Privatinteressen des einen oder andern -- natürlich gegen gute Be¬
zahlung -- zur Verfügung gestellt hatten. Und warum sollen sie es schlie߬
lich in dem einen Falle nicht thun, wenn man es ihnen in dem andern er¬
laubt? Im übrigen bedarf es doch wohl gar keiner Worte, daß die feste
Zusage eines hohen Trinkgeldes für irgend eine Leistung das beste Mittel ist,
den Veamtenstand gründlich zu demoralisiren. sodaß man sich schließlich nicht
weiter wundern darf, wenn die polizeiliche Verfolgung des Verbrechens ganz
nach dem alten Kelluergrundsatz erfolgt: Der splendideste Zahler wird am
Promptesten bedient.

Nun vergegenwärtige man sich einmal ferner die Möglichkeiten, die da¬
durch entstehen, daß nicht die Ermittlung des Thäters, sondern die Herbei¬
schaffung des gestohlnen Geldes der Hauptzweck dieser Prämie ist. Ange¬
nommen, es sei der Polizei gelungen, den flüchtigen Defraudanten zu ver¬
haften, ohne aber die unterschlagne Summe noch bei ihm vorzufinden, weil
der Kerl schlau genug war, mit seiner etwaigen Verhaftung zu rechnen und
das Geld vorher in Sicherheit zu bringen. Welche schwere Versuchung tritt
da an die Beamten heran, denen dieser Mensch doch während seiner Haft so
gut wie wehrlos überliefert ist, ihm durch allerlei kleine Mittelchen de" Mund
M öffnen, um sich jene Belohnung zu verdienen, die auf das Herbeischaffen
der betreffenden Summe ausgesetzt ist?

"Na, was schadet es denn schließlich so einem Kerl, wenn er mal fünf¬
undzwanzig aufgedrückt bekommt?" wirft vielleicht der eine oder der andre ein.

Behüte! Es schadet ihm gewiß nichts! Im Gegenteil, es ist ihm wahr¬
scheinlich dienlicher als die paar Jahre Gefängnis, die man von Gerichts wegen
über ihn verhängt; aber darum handelt es sich auch hier gar nicht, sondern
lediglich darum, daß der doch immerhin verhältnismäßig harmlose Verbrecher
gemißhandelt und vergewaltigt wird, während sich vielleicht in der Nebenzelle
ein siebenfacher Raubmörder der humanster Behandlung erfreut, weil eben
keine Belohnung da ist, die zu seiner Malträtirung verlockt. Das muß eben
wmer wieder betont werden, daß es nicht das besonders stark verletzte Rechts-
gefühl der ganzen Gesellschaft, sondern lediglich das finanzielle Sonderinteresse
des Einzelnen ist, um dessenwillen die Wachsamkeit und der Eifer des Be¬
amten gesteigert werden sollen. Stünden die ausgesetzten Belohnungen in
irgend welchem Verhältnis zu der Gemeingefährlichkeit des betreffenden Ver¬
brechers, so würde sich ja wenig dagegen sagen lassen, denn ich brauche wohl
kaum noch zu versichern, daß sich meine Ausführungen selbstverständlich nicht
gegen solche Prämien richten, die aus völlig uneigennützigen Motiven, ledig¬
lich als Ausdruck allgemeiner Entrüstung über eine besonders verdammens-
werte Unthat ausgesetzt werden. Solche Belohnungen, wie die des Staats
oder beispielsweise des Auwaltverbcmdes auf die Ermittlung der Mörder des


2000 Mark Belohnung I

Trinkgelderwirtschaft sind, geht schon daraus hervor, daß die Entlassung dieser
Beamten fast immer nur erfolgte, weil sie ihre Spürkraft auch außeramtlich
den Privatinteressen des einen oder andern — natürlich gegen gute Be¬
zahlung — zur Verfügung gestellt hatten. Und warum sollen sie es schlie߬
lich in dem einen Falle nicht thun, wenn man es ihnen in dem andern er¬
laubt? Im übrigen bedarf es doch wohl gar keiner Worte, daß die feste
Zusage eines hohen Trinkgeldes für irgend eine Leistung das beste Mittel ist,
den Veamtenstand gründlich zu demoralisiren. sodaß man sich schließlich nicht
weiter wundern darf, wenn die polizeiliche Verfolgung des Verbrechens ganz
nach dem alten Kelluergrundsatz erfolgt: Der splendideste Zahler wird am
Promptesten bedient.

Nun vergegenwärtige man sich einmal ferner die Möglichkeiten, die da¬
durch entstehen, daß nicht die Ermittlung des Thäters, sondern die Herbei¬
schaffung des gestohlnen Geldes der Hauptzweck dieser Prämie ist. Ange¬
nommen, es sei der Polizei gelungen, den flüchtigen Defraudanten zu ver¬
haften, ohne aber die unterschlagne Summe noch bei ihm vorzufinden, weil
der Kerl schlau genug war, mit seiner etwaigen Verhaftung zu rechnen und
das Geld vorher in Sicherheit zu bringen. Welche schwere Versuchung tritt
da an die Beamten heran, denen dieser Mensch doch während seiner Haft so
gut wie wehrlos überliefert ist, ihm durch allerlei kleine Mittelchen de» Mund
M öffnen, um sich jene Belohnung zu verdienen, die auf das Herbeischaffen
der betreffenden Summe ausgesetzt ist?

„Na, was schadet es denn schließlich so einem Kerl, wenn er mal fünf¬
undzwanzig aufgedrückt bekommt?" wirft vielleicht der eine oder der andre ein.

Behüte! Es schadet ihm gewiß nichts! Im Gegenteil, es ist ihm wahr¬
scheinlich dienlicher als die paar Jahre Gefängnis, die man von Gerichts wegen
über ihn verhängt; aber darum handelt es sich auch hier gar nicht, sondern
lediglich darum, daß der doch immerhin verhältnismäßig harmlose Verbrecher
gemißhandelt und vergewaltigt wird, während sich vielleicht in der Nebenzelle
ein siebenfacher Raubmörder der humanster Behandlung erfreut, weil eben
keine Belohnung da ist, die zu seiner Malträtirung verlockt. Das muß eben
wmer wieder betont werden, daß es nicht das besonders stark verletzte Rechts-
gefühl der ganzen Gesellschaft, sondern lediglich das finanzielle Sonderinteresse
des Einzelnen ist, um dessenwillen die Wachsamkeit und der Eifer des Be¬
amten gesteigert werden sollen. Stünden die ausgesetzten Belohnungen in
irgend welchem Verhältnis zu der Gemeingefährlichkeit des betreffenden Ver¬
brechers, so würde sich ja wenig dagegen sagen lassen, denn ich brauche wohl
kaum noch zu versichern, daß sich meine Ausführungen selbstverständlich nicht
gegen solche Prämien richten, die aus völlig uneigennützigen Motiven, ledig¬
lich als Ausdruck allgemeiner Entrüstung über eine besonders verdammens-
werte Unthat ausgesetzt werden. Solche Belohnungen, wie die des Staats
oder beispielsweise des Auwaltverbcmdes auf die Ermittlung der Mörder des


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[0413] 2000 Mark Belohnung I Trinkgelderwirtschaft sind, geht schon daraus hervor, daß die Entlassung dieser Beamten fast immer nur erfolgte, weil sie ihre Spürkraft auch außeramtlich den Privatinteressen des einen oder andern — natürlich gegen gute Be¬ zahlung — zur Verfügung gestellt hatten. Und warum sollen sie es schlie߬ lich in dem einen Falle nicht thun, wenn man es ihnen in dem andern er¬ laubt? Im übrigen bedarf es doch wohl gar keiner Worte, daß die feste Zusage eines hohen Trinkgeldes für irgend eine Leistung das beste Mittel ist, den Veamtenstand gründlich zu demoralisiren. sodaß man sich schließlich nicht weiter wundern darf, wenn die polizeiliche Verfolgung des Verbrechens ganz nach dem alten Kelluergrundsatz erfolgt: Der splendideste Zahler wird am Promptesten bedient. Nun vergegenwärtige man sich einmal ferner die Möglichkeiten, die da¬ durch entstehen, daß nicht die Ermittlung des Thäters, sondern die Herbei¬ schaffung des gestohlnen Geldes der Hauptzweck dieser Prämie ist. Ange¬ nommen, es sei der Polizei gelungen, den flüchtigen Defraudanten zu ver¬ haften, ohne aber die unterschlagne Summe noch bei ihm vorzufinden, weil der Kerl schlau genug war, mit seiner etwaigen Verhaftung zu rechnen und das Geld vorher in Sicherheit zu bringen. Welche schwere Versuchung tritt da an die Beamten heran, denen dieser Mensch doch während seiner Haft so gut wie wehrlos überliefert ist, ihm durch allerlei kleine Mittelchen de» Mund M öffnen, um sich jene Belohnung zu verdienen, die auf das Herbeischaffen der betreffenden Summe ausgesetzt ist? „Na, was schadet es denn schließlich so einem Kerl, wenn er mal fünf¬ undzwanzig aufgedrückt bekommt?" wirft vielleicht der eine oder der andre ein. Behüte! Es schadet ihm gewiß nichts! Im Gegenteil, es ist ihm wahr¬ scheinlich dienlicher als die paar Jahre Gefängnis, die man von Gerichts wegen über ihn verhängt; aber darum handelt es sich auch hier gar nicht, sondern lediglich darum, daß der doch immerhin verhältnismäßig harmlose Verbrecher gemißhandelt und vergewaltigt wird, während sich vielleicht in der Nebenzelle ein siebenfacher Raubmörder der humanster Behandlung erfreut, weil eben keine Belohnung da ist, die zu seiner Malträtirung verlockt. Das muß eben wmer wieder betont werden, daß es nicht das besonders stark verletzte Rechts- gefühl der ganzen Gesellschaft, sondern lediglich das finanzielle Sonderinteresse des Einzelnen ist, um dessenwillen die Wachsamkeit und der Eifer des Be¬ amten gesteigert werden sollen. Stünden die ausgesetzten Belohnungen in irgend welchem Verhältnis zu der Gemeingefährlichkeit des betreffenden Ver¬ brechers, so würde sich ja wenig dagegen sagen lassen, denn ich brauche wohl kaum noch zu versichern, daß sich meine Ausführungen selbstverständlich nicht gegen solche Prämien richten, die aus völlig uneigennützigen Motiven, ledig¬ lich als Ausdruck allgemeiner Entrüstung über eine besonders verdammens- werte Unthat ausgesetzt werden. Solche Belohnungen, wie die des Staats oder beispielsweise des Auwaltverbcmdes auf die Ermittlung der Mörder des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/413>, abgerufen am 28.07.2024.